Von Dr. Jesse Bächler
Stammkunden – an ihnen scheiden sich die Geister. Auf der einen Seite bestreitet niemand, dass es eine Gruppe von Kunden gibt, die überdurchschnittlich konsumiert; auf der anderen Seite ist diese Gruppe dermassen instabil und flüchtig, dass auf sie nicht richtig gebaut werden kann. Wie geht das Marketing mit dieser Zwickmühle am besten um? Soll man oder soll man nicht in den Ausbau der Stammkundschaft investieren? Es gibt starke Voten dafür und dagegen.
Im modernen Marketing-Selbstverständnis hat die Kundenbeziehungspflege Priorität. Das Denken in Kundenbeziehungen zielt darauf ab, anstatt einer einzelnen, gleich mehrere Transaktionen pro Kunde zu schaffen. Ein Kunde kehrt zurück, wenn das Erlebnis gut war und kauft in der Folge eher teurere Leistungen oder in höherer Anzahl. Die Ausgabebereitschaft von wiederkehrenden, loyalen Kunden ist dermassen ausgeprägt, dass es für Marken lohnenswerter ist, auf diese zahlenmässig kleinere Gruppe als jene der einmaligen Käufer zu setzen.
Soweit die bekannte und meist unwidersprochene Annahme. Jedoch taucht in den letzten Monaten immer wieder der Name Byron Sharp auf, der sich mit Händen und Füssen gegen diese Regel stemmt. In seinem Buch «How Brands Grow» (2008) schickt der Marketing-Professor vom Ehrenberg-Bass Institute Loyalitätsprogramme bachab. Wer sich für die Auseinandersetzung interessiert, findet hier den spannenden Gegensatz zweier Marketing-Ansätze, die sich partout nicht vereinen lassen: Auf der einen Seite steht die Schule der Profilierung, auf der anderen Seite die Schule der Penetration.
Die Schule der Profilierung stellt Kundenbindung über alles und unterstreicht die Bedeutung des Markenprofils. Dieses Markenprofil spricht ein klar definiertes Kundensegment an und wird von diesem als relevant wahrgenommen. Erfolgreiche Marken schaffen sich im Zielmarkt eine Nische und werden darin zu exklusiven Anbieterinnen. Der Markt ist zwar klein, dafür loyal. Das Mantra der Profil-Schule ist es, dass wenige Bestandskunden wertvoller sind als viele Neukunden.
Die Schule der Penetration dagegen, stellt Reichweite über alles und sieht die Bedeutung des Markenprofils als Mythos. Sie beschreibt die Konsumenten eines Marktsegments allesamt als «loyal switchers», die mal da und mal dort einkaufen. Erfolgreiche Marken müssen es gemäss dieser Auffassung nur schaffen, häufiger als die Konkurrenz in den Köpfen der Konsumenten zu sein – und zwar bei möglichst vielen Konsumenten. Der Markt ist illoyal, dafür gross. Das Mantra der Penetrationsschule ist, dass die Priorität auf den wenigen Bestandskunden sich niemals auszahlen kann.
Letztlich hängt es wohl stark vom Weltbild ab, welcher Schule man in der Markenführung folgen möchte: Wer an die Kraft von Beziehungen glaubt und bereit ist, in deren Pflege zu investieren, wird sich mehr Loyalität sichern können. Wem wohl beim Gedanken ist, dass Konsum nichts mehr als Konsum und jeder Kunde austauschbar ist, wird Wege finden, den Markt erfolgreich zu penetrieren. Im Alltag finden sich Brands sowieso irgendwo zwischen diesen beiden Extremen: kein Brand hat ausschliesslich Stamm- oder Neukunden. Es kann darum nur helfen zu wissen, dass einem viele Wege ans Ziel offenstehen.