Adbusting und Subvertising – oder: Wenn die Kommunikationsguerilla einen Hüttenkäse attackiert

Von Regula Freuler

Eigentlich wollte die Ostschweizer Firma Züger nur ein kalorienarmes Milchprodukt verkaufen. Doch dann wurde eine lokale politische Aktion daraus.

Wir verkaufen einen Traum und haben einen Sinn für Humor: So könnte man die Botschaft der Züger Frischkäse AG zusammenfassen, mit dem das Ostschweizer Familienunternehmen kürzlich seinen Hüttenkäse beworben hat. Der Traum, das ist der schlanke Körper des gängigen Schönheitsideals. Und der Humor steckt in der ironisch überspitzten Formulierung «Offizieller Partner» drin, mit welcher normalerweise finanzstarke Sponsoren präsentiert werden.

Das Plakat des Anstosses (aufgenommen in Winterthur am 24.08.19) © Regula Freuler

Vor einigen Jahren wäre diese Werbeaktion – ausgedacht wurde sie von der Zürcher Werbeagentur Hochspannung – vermutlich auch genau so verstanden worden: Als augenzwinkernder Hinweis auf ein kalorienarmes Lebensmittel. Mit seiner Bildsprache positioniert sich der Hersteller als lokal («Partner»), natürlich (Holztisch), gesund (Vollkornbrot und Gemüse dekorieren das Produkt), kundennah (Rezeptideen auf der Firmen-Website) und kundenfreundlich (temporäre Preisvergünstigung). Das würde also alles zusammenpassen.

Doch Hersteller und Agentur haben die Dimensionen der jüngsten Bodypositivity-Bewegung unterschätzt. Bereits 2010 hatte etwa die deutsche Frauenzeitschrift «Brigitte» verkündet, Mode nicht mehr an Models, sondern an «echten» Frauen zu zeigen – denn jede Frau lasse sich gekonnt in Szene setzen, nicht nur sehr dünne. Es gab eine weltweite Debatte über Magermodels auf den Laufstegen, die in Frankreich sogar in ein Verbot mündete. Und Dove hat 2013 mit seinem Video «Real Beauty Sketches» die Hinterfragung des gängigen Schönheitsideals zum Marketing-Asset erhoben. Doves Message: Jeder Körper ist ein schöner Körper. Im Jahr 2019 wirkt eine Werbung wie jene von Züger also wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit.

Sie hat denn auch prompt kritische Reaktionen ausgelöst. A4-Papier, Klebstreifen, Edding-Stift – und fertig ist die Guerilla-Aktion. «Jede Figur ist eine Bikinifigur.», lautet eine der Botschaften an Züger/Hochspannung, die eine unbekannte Person oder Gruppe auf einem Plakat angebracht hat, das Ende August 2019 im Bahnhof Winterthur hing. Und: «Wer nackt badet, braucht keine Bikinifigur.»

Die Guerilla Botschaften auf dem Plakat © Regula Freuler

Auch für Züger ist jede Figur eine Bikinifigur

Auf eine schriftliche Anfrage hin nahm die Marketing-Leiterin Claudia Kuratli Stellung. Grundsätzlich freue sich die Züger Frischkäse AG über Reaktionen aus der Bevölkerung und nehme diese ernst, schreibt Kuratli in ihrer E-Mail. «Sollte es einen Fall geben, bei welchem wir nachträglich feststellen müssen, dass sich eine Gruppe von Menschen in ihren Gefühlen verletzt fühlt, wird der Fall bei uns intern nochmals genau geprüft, um adäquat reagieren zu können. Gleichzeitig prüfen wir auch, ob wir Anzeige gegen unbekannt erstatten, wenn Plakate oder andere Werbemittel von uns beschmiert oder überklebt werden.»

Im vorliegenden Fall ist das Unternehmen zum Schluss gekommen, dass weder das eine noch das andere gegeben sei. «‹Bikinifigur› ist ein Standardbegriff, welcher sowohl von Frauen wie auch Männern genutzt wird, um über ihre ‹Sommer- und Badifigur› zu reden», schreibt Claudia Kuratli – und fügt an : «Im übrigen sind auch wir der Meinung, dass jede Figur eine Bikinifigur ist und nackt baden Spass macht, egal mit welcher Figur.»

Wer «Bikinifigur» als Standardbegriff verwendet, perpetuiert das Schönheitsideal. Dennoch: Bei Züger hat man zumindest richtig erkannt, dass es sich bei der Aktion an ihrem Plakat im Bahnhof Winterthur nicht um plumpen Vandalismus handelt. Vielmehr geht es um eine gezielte Manipulation mit politischem Hintergrund. Der Frischkäseproduzent wurde Ziel einer Kommunikationsguerilla-Aktion, die man «Subvertising» beziehungsweise «Adbusting» nennt. Die englischen Kofferwörter Adbusting aus «ad» (Werbung) und «to bust» (zerschlagen) sowie Subvertising aus «subvert» (unterwandern) und «Advertising» (Werbung) meinen dasselbe: Bekannte Konsumprodukte oder Werbeslogans werden überklebt, parodiert, verfremdet, umgestaltet oder umformuliert. Unter Adbustern werden Ratschläge herumgereicht, wie man dabei am besten vorgeht: Vorab «coole Fluchtwege» rekognoszieren, keine Drogen und keine Personalausweise auf sich tragen.

Adbust seit den 50er Jahren

Diese Art von Aktionismus geht zurück auf das radikale französische Künstlerkollektiv Letterist International der 1950er-Jahre und die amerikanische Underground-Kultur der 1970er-Jahre. Adbusts jüngeren Datums lieferte etwa die Aktivistengruppe «Stay Behind Foundation» im vergangenen Dezember. Sie verwendeten den bekannten Brotaufstrich Nutella, um gegen die Geisteshaltung der Partei «Alternative für Deutschland» zu intervenieren.

Beim Adbusting und allgemein bei Konsumkritik spielen heute die sozialen Medien eine wichtige Rolle. Nicht nur werden Bilder von Aktionen auf diese Weise verbreitet, sie dienen auch als Forum für Protestnoten, genannt Shitstorm. Das durfte zum Beispiel die Marketingabteilung von Zara erfahren. Man versuchte, auf der Body-Positivity-Welle zu reiten – was gründlich schief lief. Mit dem Slogan «Love your curves» versuchte Zara Kleider zu verkaufen, die bis Grösse 46 erhältlich sind. Auf den Plakaten waren dennoch sehr schlanke Models zu sehen. «Wollt ihr mich verarschen», schrieb eine Twitter-Userin. Eine andere montierte das Bild eines Skeletts zum Werbespruch und schrieb: «Ich und einige meiner Freundinnen haben echte Kurven. Ich kann sie euch per Direct Message schicken, wenn ihr sie sehen wollt, okay?! Danke!»

Die Bodypositivity-Bewegung zielt darauf ab, uns von rigiden Körperidealen zu befreien, indem wir unsere Vorstellung von Schönheit erweitern. Es ist eine Widerstandsbewegung gegen psychischen Druck und schliesst nicht nur Frauen, sondern Menschen aller Art ein, unabhängig von Geschlecht beziehungsweise Geschlechteridentität, unabhängig von Ethnie und Alter. Mit ihren Hashtags und Instagram-Aktionen wirkt die Bewegung sehr jung. Ihre Geschichte ist jedoch viel älter. So setzten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr Frauen gegen den modischen Zwang zur Wehr, ein Korsett tragen zu müssen. Die enge Schnürung des Oberkörpers war ein Gesundheitsrisiko.

Wer kalorienarme Lebensmittel verkauft, sollte diese gesellschaftliche und historische Dimension mitdenken. Auch wenn es nur um Hüttenkäse geht.

Über die Autorin

© Rahel Krabichler

Regula Freuler ist Redaktorin der «NZZ am Sonntag» und schreibt über Themen wie Gesundheit, Bildung, Gesellschaft. Die studierte Geisteswissenschaftlerin ist zudem regelmässig als Blattmacherin Digital verantwortlich für den Internetauftritt der NZZaS. Oft fallen ihr Dinge im Alltag auf – zum Beispiel das Plakat für Züger-Hüttenkäse. Sie entdeckte es auf dem Weg vom Bahnhof Winterthur zur ZHAW, wo sie den CAS Marketing- und Corporate Communications absolviert.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert