Von Prof. Dr. Rainer Fuchs
Ist es ein Fluch oder ein Segen? Konsumgüter, aber auch Industriegüter und Dienstleistungen, erzeugen im Zeitalter der Digitalisierung Daten – womöglich sogar in allen Phasen ihres Lebenszyklus. Welche Aufgaben haben Produktmanager in Angesicht dieser veränderten Ausgangslage? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen, welche Chancen eröffnen sich ihnen? Ein vom Product Management Center der ZHAW kürzlich veröffentlichtes Framework bietet Struktur und Erklärungsansätze zur Beantwortung dieser Fragen.
Wie sich die Welt verändert hat, merken wir unter Umständen schon morgens beim Zähneputzen: Hatten wir bis vor einigen Jahren noch eine klassische, «analoge» Zahnbürste, so halten heute viele von uns ein Wunderwerk des Innovations- und Produktmanagements in den Händen: Ein vernetztes Gerät, das uns vorgibt, wie lange wir wo und wie fest putzen sollten, und wann wir bitte einen neuen Bürstenkopf kaufen sollten. Wie konnte es nur so weit kommen?
Klar: Schon bei Entwicklung, Produktion, Logistik und Vermarktung unserer klassischen Zahnbürste fielen Daten an. Diese halfen, Produkte und Prozesse zu optimieren – eine klassische Aufgabe des Produktmanagements. Bei der smarten Zahnbürste sind jetzt aber zwei Dinge grundlegend anders:
- Erstens, es entstehen wesentlich mehr Daten im Verlauf des Produktlebenszyklus, besonders während der Phase der Vermarktung (z.B. durch die Cookies, die wir beim Surfen auf der Suche nach der idealen Zahnbürste hinterlassen) und der Phase der Produktnutzung (dank zahlreicher Sensoren und den Segnungen des IoT). Analoge Produkte werden also zu Smart Connected Products (ein Begriff, der auf Porter und Heppelmann zurückgeht ).
- Zweitens ist es heute möglich, diese Menge an Daten, die in verschiedenen Systemen entstehen, zusammen zu ziehen und als Ganzes zu betrachten. Dank «Big Data» entsteht so der «Digital Twin» – der cyberphysische Zwilling des Produktes in der Datenwelt, der allenfalls noch durch externe Daten von Standortdiensten, Wetterdaten oder anderen Quellen ergänzt wird.
Damit wird klar, wie sich die Aufgabe des Produktmanagements geändert hat und weiter ändern wird:
- Product Manager müssen definieren können, welche Daten ihre Produkte erheben müssen, und wie das von statten gehen soll (z.B. mit welchen Sensoren, Schnittstellen, etc.).
- Sie müssen die gewonnenen Daten aggregieren und verknüpfen können, damit sie zu Informationen werden, d.h. mittels geeigneten Tools auf sie zugreifen, analysieren, aufbereiten und visualisieren.
- Somit sind sie auch in der neuen, digitalen Produktwelt in der Lage, Produkte und Prozesse zu optimieren – eines der vorrangigen Ziele der allenthalben propagierten Industrie 4.0– bzw. Industrie 2025– Initiativen.
Doch die wohl spannendste neue Aufgabe des Product Managers ergibt sich durch die Tatsache, dass Smart Connected Products plötzlich eine neue Value Proposition für den Kunden eröffnen können, mit der sich neue Ertrags- und womöglich sogar gänzliche Geschäftsmodelle schaffen lassen. Dies wird am Beispiel unserer Zahnbürste klar:
War das Leistungsversprechen unserer analogen Plastikzahnbürste einst, dem Kunden bei richtiger Anwendung gesunde Zähne zu erhalten, wird ihre smarte Weiterentwicklung zum persönlichen Zahngesundheitsassistenten: Dieser gibt uns persönliche Zahnpflegetipps, bestellt Consumables (irgendwann autark?) nach, und erlaubt uns vielleicht eines Tages den Nachweis einer lückenlosen Zahnpflege, um Rabatte bei der Krankenkasse zu erhalten – weil das Produktmanagement der Kasse mit dem Produktmanager der Zahnbürste zusammengespannt ist. Und wer weiss, vielleicht bezahlen wir irgendwann im Pay-per-Use-Modell nur noch für die Nutzungsminute der Zahnbürste – ich höre schon den Aufschrei der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft…
Über den Autor
Rainer Fuchs ist Professor für Product Management an der ZHAW und leitet das Product Management Center . Ursprünglich Physiker mit einem Dr. in Ingenieurwissenschaften und einem Master in Industrial Management, forscht er heute im Themenbereich von Smart Connected Products und teilt diese Erkenntnisse mit Studierenden in Bachelor-, Master- und Weiterbildungsstudiengängen wie dem MAS Product Management .