Vom “Wurzelbunker” zum Vegi-Tempel: Die Hiltl Erfolgsgeschichte

Von Dr. Adrienne Suvada

Ambrosius Hiltl haben wir es zu verdanken, dass das erste vegetarische Restaurant der Welt, zum erfolgreichen Hiltl wurde. Das damalige “Vegetarierheim und Abstinenz-Café” (1898 in Zürich eröffnet) war nicht sehr angesehen und wurde als “Wurzelbunker” verspottet. Ambrosius Hiltl, der deutsche Schneidergeselle, litt an Gelenkrheuma und musste daher zwangsläufig zur vegetarischen Kost wechseln. Diese heilte sein Leiden und Ambrosius wurde zum Gastronom und konnte 1907 das Haus an der Sihlstrasse sogar erwerben.

Hiltl in der Luft

Auch die zweite Hiltl Generation war vom erfolgreichen Innovationsgeist geprägt. Leonhard Hiltl, dem Sohn von Ambrosius Hiltl, haben wir es zu verdanken, dass das Hiltl die erste voll elektrische Grossküche in Zürich besass. Auch wenn sich das ehemalige Vegetarierheim gemausert hatte, so richtig gut angesehen, waren die Vegetarier immer noch nicht. Ein Mann ohne Fleisch, das ging einfach nicht. Dank Margrith Hiltl, der Ehefrau von Leonhard, wurde die indische Küche nach Zürich exportiert. Viele indische Gäste trotzten der zürcherischen Skepsis, bis sogar die Swissair anklopfte. Schliesslich sollten auch die indischen Passagiere in der Luft ein solches Essen geniessen dürfen. Aktuell und seit über 6 Jahren, serviert SWISS vegetarische und vegane Hiltl Gerichte an Bord in allen drei Reiseklassen.

Historische Aufnahme (c) Hiltl AG

Vegetarische Unternehmensphilosophie

Heinz Hiltl übernahm die Geschicke in der dritten Generation und versuchte ein jüngeres Publikum für die vegetarische Küche zu begeistern. 1973 konnte dann das neue “Hiltl Vegi” eröffnet werden, inklusive einem innovativen Salatbuffet und frisch gepressten Fruchtsäften. Heinz Hiltls unternehmerische Philosophie war Gewinnoptimierung vor Gewinnmaximierung. Die Ziele mussten vor allem für ihn als Mensch übereinstimmen, denn der geschäftliche Erfolg war nur ein Teil der persönlichen Ambitionen.

Das Hiltl Vegi (c) Hiltl AG

Mittlerweile herrscht über den Vegi-Tempel Rolf Hiltl (geb. 1965). Eher amerikanisch inspiriert lebt er nach dem “Trial and Error Prinzip”. Der Vorteil, mittlerweile ist Vegi “in” geworden. Das Haus Hiltl wurde zu einem Trendrestaurant, einfach mit dem Unterschied, dass hier kein Fleisch zu finden ist. Rolf Hiltl ruht aber keinesfalls auf den vegetarischen Lorbeeren aus. 1998 gründete Hiltl zusammen mit den Gebrüdern Frei “tibits” mit acht Betrieben in der Schweiz und einem in London. Das Stammhaus an der Sihlstrasse wurde renoviert und um die Hiltl Akademie mit Kochschule, Seminarräume, die erste vegetarische Metzgerei der Schweiz und den Hiltl Club erweitert. Mittlerweile betreibt die Hiltl AG neben dem Stammhaus fünf weitere Betriebe in Zürich: Die Hiltl Dachterrasse an der Bahnhofstrasse, die Hiltl Pflanzbar im Blumen Krämer, die Hiltl Sihlpost und im Sommer die Restaurants der Badis Mythenquai und Kilchberg.

Den gesamten historischen Abriss, finden Sie hier.

Mit Poulets nach Dakar

Wer das Hiltl betritt, dessen Nase wird von vielen Gerüchen umspielt. Ein besonderes Flair umgibt diesen Ort und die Kundschaft lässt sich auch nicht pauschalisieren. Da steht der Öko-Typ neben dem Businessman und beide lassen es sich am riesigen Buffet gutgehen. Rolf Hiltl geht schon fast ein bisschen unter zwischen den vielen Gästen, aber seine Persönlichkeit ist spürbar. Die Hiltl Tradition lebt in ihm weiter und das spiegelt sich auch in seiner Unternehmensphilosophie. “Create a better World, ist sozusagen unser Motto, wir wollen dazu beitragen die Welt ein bisschen besser zu machen und unsere Arbeit soll einen Sinn ergeben“, meint der Gastroprofi. Das Hiltl sei nicht nur einfach ein Business Case, es hat immer das “Why” hinter der Tätigkeit verfolgt und sich auch ökologisch verhalten. “Hätte das Hiltl seit 1898 Poulets anstatt vegetarischem Essen serviert, à la KFC (Kentucky Fried Chicken), und hätte man diese aneinandergereiht, so ergäbe das eine Strecke von Zürich nach Dakar“, kalkuliert der Chef gleich selbst vor. Dennoch, es geht um gesunden Genuss, man will nicht missionarisch agieren und Fleischesser verdammen. Im Gegenteil, es gibt viele so genannte Flexitarier, die ins Hiltl kommen und viele Touristen wissen nicht einmal, dass sie in einem Vegi-Restaurant sind.

Das Hiltl in Zürich © by Adrian Bretscher/Hiltl AG

Unternehmerischer Marketingtyp

Im Hiltl Leitbild befindet sich Innovation ganz zuoberst. “Wir versuchen etwas sehr Schwieriges, nämlich Innovation und Tradition zu vereinen. Es gibt bei uns bekannte heimische Sachen und gleichzeitig waren wir zum Beispiel, das erste Restaurant in der Schweiz mit einer Website“, erklärt Rolf Hiltl. Die Leidenschaft ist klar spürbar und ein Stillstand ist nicht zu erkennen, gleichzeitig betont der Hiltl-Chef, dass er immer auch seine eigenen Wege sucht, ein Herdentierli zu sein, das läge ihm nicht. Nicht immer war es einfach Innovation und Tradition in Einklang zu bringen, denn sein Vater war kein Marketingtyp und vielleicht gerade deshalb, hat sich dann Rolf Hiltl in die Nische gesetzt. Ihm war schon während seiner Kochlehre im Dolder Grand bewusst, dass es nicht reicht gut zu kochen, man muss es auch kommunizieren. Bei aller Kreativität, ist natürlich die unternehmerische Verantwortung wichtig. Misserfolg sei nicht negativ, sondern helfe sich zu verbessern. Wichtig sei, sich nicht von jedem Wind irritieren zu lassen.

Rolf Hiltl © by Adrian Bretscher/Hiltl AG

Google und Hiltl

Rolf Hiltl geht mit der Zeit, ist aber auch fest überzeugt, dass auch in 20 Jahren noch gegessen wird. Die Menschen suchen die Geselligkeit und noch kann man Lebensmittel nicht digitalisieren. Digitales Marketing nutzt aber auch der Vegi-Tempel, sogar sehr innovativ. “ Wir Menschen tratschen ja gern“, meint Rolf Hiltl schmunzelnd. “auf unseren Social Media Walls kann man das in Echtzeit tun und wir sehen gleich, was die Menschen beschäftigt.” Angst vor Bewertungsportalen hat er keine, denn Social Media ist für ihn selbstregulierend. Wenn einer eine extrem schlechte Bewertung abgibt, sind zehn andere da, die das anders sehen. Er lässt die User gern diskutieren, auch beim letzten grossen Medienrummel, wo der Hiltl Club, Pelzträger nicht hineinliess. Hiltl zieht sein Ding durch und ist authentisch, das ist sicherlich ein grosser Teil des Erfolgsrezeptes. Auch als Chef bevorzuge er die offene Diskussion und Kritik, so beuge man Unstimmigkeiten vor und er wolle einfach keine Angstkultur in seinem Betrieb. Gemäss seinem “Trial and Error Prinzip”, vergleicht sich der Hiltl-Chef auch mit Google: “Wir sind uns recht ähnlich, denn Google probiert viel aus, wirft Dinge einfach mal auf den Markt, so ticken auch wir, zum Beispiel bei unserem Buffet.”

Das Buffet (c) Hiltl AG

Schockierende Veganer

In Zeiten von Laktoseintoleranz und Glutenunverträglichkeiten, wird das Essen nicht mehr nur zum Genuss. Rolf Hiltl sieht das durchaus kritisch, obwohl sein Restaurant schon seit zehn Jahren rund 15 Allergene deklariert: “Manchmal frage ich mich, wie sich die Leute vor 100 Jahren ernährt haben, die haben die Zeiten ja auch überlebt. Aber heutzutage ist es für die Jungen schwierig, anders zu sein, die Erwachsenen hören die gleiche Musik, ziehen dasselbe an, womit kann man die Eltern noch schockieren? Sich zum Beispiel von heute auf morgen als Veganer zu deklarieren, löst starke Reaktionen aus.” Die kritische Sicht wird bei Rolf Hiltl auch beim Thema Kleidung spürbar, schon seit einiger Zeit kaufe er aus Prinzip keine Kleider mehr, die “Made in China” sind. Mehr grundsätzliche Achtsamkeit also, die er gleich selber vorlebt.

Gesunder Genuss (c) Hiltl AG

Ziel New York?

Wer so erfolgreich ist, der könnte sich auch mal zurücklehnen. Nicht so Rolf Hiltl. Er eröffnet bald ein neues Restaurant mit Club an der Langstrasse und sein grosser Traum wäre in New York ein Hiltl Flagship zu haben. Bei seiner Umtriebigkeit wird wohl auch das eintreffen. Angehenden Marketingmenschen rät Hiltl: “Eine gute Basis ist wichtig, aber man soll dann nicht nur nach dieser arbeiten. Es ist wichtig seinen eigenen Weg zu gehen und Dinge zu hinterfragen. Man muss das Weitwinkelobjektiv aufsetzen und beobachten.” Sagt’s und geht auch schon wieder weiter, denn schliesslich sollen die Gäste „ehrlich begeistert“ werden.

 

Mehr über Hiltl:

http://hiltl.ch/de

https://www.facebook.com/hiltl

https://www.instagram.com/hiltlzurich/

https://twitter.com/hiltl

Das Essen spielt die Hauptrolle (c) Hiltl AG

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