Irrationales Kundenverhalten in der Krise

Die Bilder gingen um die Welt, leergefegte Supermarktregale und sogar Handgreiflichkeiten wegen Toilettenpapier. Was macht die Corona-Krise mit uns? Wieso verhalten wir uns plötzlich noch irrationaler, als im Normalfall? Das haben wir bei unserem Experten, Dr. Kurt Ackermann, nachgefragt.

Die aktuelle Krise und auch die Angst vor dem Virus verändert unser Konsumverhalten. Wieso reagierten die Menschen so panisch und kauften Supermärkte leer und weshalb ist in so vielen Ländern das Toilettenpapier so hoch im Kurs?

Spätestens als das Virus nach Europa übergriff, sahen sich die Menschen hier mit einem realen, ängstigenden Phänomen konfrontiert, dessen Ausmass und die damit verbundenen Gefahren für sie nicht wirklich abschätzbar waren und wo sie plötzlich mittendrin standen. Da es zumindest zu unseren Lebzeiten noch keine vergleichbare Situation gab, konnte man auch nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen und entsprechend waren viele Menschen stark verunsichert, wie man sich jetzt verhalten sollte. Nun sind aber Unsicherheit und Angst zwei Dinge, mit denen wir im Allgemeinen nicht gut  – und vor allem nicht völlig rational – umgehen können. Menschen sind risiko- sowie verlustaversiv und haben entsprechend die starke Tendenz, Risiken und potentielle Verluste mit allen Mitteln vermeiden zu wollen. Um für sich selbst so viel Sicherheit wie möglich zu haben und möglichst sicherzustellen, dass es einem selbst in dieser unsicheren Situation nicht an essentiellen Dingen mangeln wird, haben manche dann begonnen, Lebensmittel und Hygieneartikel zu hamstern – darunter auch Klopapier. In solchen Situationen sind Menschen dann auch wenig empfänglich für sachliche Informationen (z.B. dass die Grundversorgung sichergestellt ist) und rationale Überlegungen (z.B. dass man im Falle einer tatsächlichen Nahrungsmittelknappheit auch kaum mehr Klopapier bräuchte); man ist ein Stück weit im Panikmodus und das Gehirn schaltet in gewisser Weise auf den «Selbsterhaltungs-Autopiloten».

Dr. Kurt Ackermann erklärt das irrationale Kundenverhalten in der Krise

Sobald das Hamster-Verhalten dann von einer kritischen Masse gezeigt wird, setzt ein weiterer psychologischer Effekt ein. Insbesondere in Situationen, mit denen wir keine Erfahrung haben, achten wir darauf, was andere tun und haben die Tendenz, es ihnen gleichzutun. Dieser Effekt verstärkt sich dann selbst, weil immer mehr Menschen das Verhalten anderer kopieren und dies wiederum von immer mehr anderen Menschen beobachtet wird. Man spricht dann auch vom Herdenverhalten oder «Bandwagon Effect». In gewisser Hinsicht führt dies dann tragischerweise zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, so dass dann am Ende tatsächlich kein Klopapier mehr verfügbar ist. Und sobald diese Produkte dann tatsächlich knapp sind, setzt noch der Scarcity-Effekt ein: «Wenn etwas knapp verfügbar ist, muss ich es mir vielleicht doch auch noch ergattern». Und dann beginnen auch noch solche Menschen, diese Produkte nachzufragen, die sich bis dahin noch eher rational verhalten hatten.

Es handelt sich bei den Hamsterkäufen also um ein Verhalten, welches auf verschiedenen psychologischen Mechanismen basiert, die sich leider auch noch gegenseitig verstärken können. Es braucht dann eine gewisse Zeit, bis sich das wieder normalisiert.

In vielen Staaten herrscht ein Lockdown, man kann aber noch einkaufen, teilweise aber nur noch die lebensnotwendigen Artikel. Welchen Einfluss hat das auf das Konsumverhalten und kann es nachhaltige Veränderungen auslösen? Besinnen wir uns vielleicht generell auf das Wesentliche?

Das mag kurzfristig vielleicht der Fall sein, aber ich glaube diese Effekte sind nicht langfristig. Wir kennen vielleicht alle die Situation, dass wir im Urlaub waren und dort etwas nicht so gut funktioniert hat wie zu Hause, z.B. der öffentliche Verkehr oder dass man Wasser direkt aus dem Hahn trinken kann, etc. Nach der Rückkehr aus den Ferien schätzen wir die Dinge zu Hause dann wieder viel mehr, aber nur für eine gewisse Zeit bis die Gewohnheit wieder einsetzt. Ich mag mich z.B. erinnern, dass ich in den Ferien einmal über eine Woche nur mit ausserordentlich geringem Wasserdruck und höchstens lauwarmem Wasser duschen konnte. Als ich wieder zu Hause war, habe ich meine Schweizer Dusche dann wieder unglaublich geschätzt. Nach einer Weile ist der Effekt aber wieder verpufft und ich nehme es wieder als selbstverständlich wahr – wenn ich mich, wie bei der Beantwortung dieser Frage, nicht gerade explizit wieder daran zurückerinnere. Ich glaube, dass dieser Adaptionsprozess auch in Bezug auf das Konsumverhalten nach der Krise ablaufen wird. Wir werden die Konsummöglichkeiten, die wir in unserer freiheitlichen Gesellschaft zurückgewinnen werden, zunächst sicherlich wieder mehr zu schätzen wissen. Meine Prognose ist aber, dass dann über die Zeit auch die Gewohnheiten wieder einsetzen und sich das Konsumverhalten wieder demjenigen vor der Krise annähern wird.

Nehmen wir noch einmal das Beispiel Toilettenpapier. Wie sollte ein Supermarkt jetzt vorgehen, um die Panik bei diesem Produkt abzumildern? Gibt es psychologische Tricks, die man in der Kommunikation oder im Laden selbst anwenden könnte, wenn ein Produkt knapp wird?

Das ist eine wirklich sehr schwierige Herausforderung für einen Detailhändler. Wie bereits angesprochen sind Menschen im «Hamstermodus» für sachliche und rationale Apelle wenig empfänglich. Eine Möglichkeit wäre aber vielleicht, auf klassisch ökonomische Anreize zurückzugreifen, so dass man –statt wie sonst üblich – keine Mengenrabatte, sondern Mengenzuschläge gibt. Dass also z.B. wenn eine Packung Klopapier alleine 10 Franken kostet, zwei Packungen dann 50 Franken und 3 Packungen 100 Franken kosten, etc. Dies wäre gegebenenfalls eine interessante Möglichkeit, Hamsterkäufe unattraktiv zu machen.

Das aktuell begehrteste Gut – Toilettenpapier (Bild: Pixabay)

Eine solche Krise ist ein absoluter Ausnahmezustand. Viele Existenzen sind gefährdet. Nun stellt sich die moralische Frage, darf ich zum Beispiel auf meinem online Shop meine anderen Produkte trotzdem bewerben, die vielleicht nicht lebensnotwendig sind?

Ich sehe nichts Verwerfliches darin, in der aktuellen Situation auch andere Angebote zu bewerben, welche mit der Grundversorgung nichts zu tun haben. Im Gegenteil: Gerade in dieser Ausnahmesituation suchen viele Konsumenten wieder etwas Normalität und haben z.T. auch etwas mehr Zeit als sonst, sich nach Produkten umzuschauen, die das Leben in den eigenen vier Wänden vielleicht etwas versüssen und mit denen man sich etwas Gutes tun kann. So gesehen wäre es aktuell moralisch wohl fast eher geboten statt verboten, den Konsumenten etwas zu bieten und anzupreisen, was ihnen die Zeit in der Krise etwas angenehmer macht. Und aus Unternehmenssicht geht es natürlich auch darum, durch diese insbesondere auch wirtschaftlich gesehen sehr grosse Krise möglichst unbeschadet hindurchzukommen. Wenn die Konsumenten sich momentan auch für andere Produkte interessieren und vielleicht sogar in bestimmten Bereichen kauffreudiger sind als sonst, sollen die Unternehmen diese Chance doch nutzen. Ich sähe wirklich keinen Grund, sie dafür an den Pranger zu stellen.

Nicht nur Lebensmittel, sondern auch andere Produkte können die Zeit etwas versüssen (Bild: Pixabay)

Generell, wie sollten sich die Unternehmen jetzt verhalten und wie könnten sie allenfalls die Krise nutzen, um auch positive Effekte zu generieren?

Krisen haben ja immer zwei Seiten. Einerseits stellen sie einen vor grosse bis gar existenziell bedrohende Herausforderungen. Andererseits sind sie auch eine Chance, zu lernen, sich anzupassen, sich zu verändern und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Zum Beispiel wird diese Krise voraussichtlich über alle Branchen hinweg einen positiven Effekt auf das Voranschreiten der Digitalisierung haben und auch einen Fortschritt in Bezug darauf bringen, wie wir miteinander mobil und flexibel zusammenarbeiten können.

Um von einer Krise effektiv profitieren zu können, braucht es aber natürlich Flexibilität, Agilität, Anpassungsvermögen, Kreativität und Experimentierfreudigkeit. Wir sehen aktuell ja auch, dass Not durchaus erfinderisch machen kann. So bieten gewisse Hotels ihre freistehenden Zimmer nun als Arbeitsräume an für Personen, welche im Home-Office keine guten Arbeitsbedingungen vorfinden. Manche Restaurants stellen momentan auf Take-Away-Service oder Heimlieferservice um. In den Nachrichten habe ich sogar gesehen, dass Priester in den USA nun Drive-In Stationen anbieten, wo man sich die Beichte quasi im Vorbeifahren abnehmen lassen kann.

Natürlich können nicht alle Unternehmen innert kürzester Zeit ihr Geschäftsmodell umkrempeln oder erweitern. Aber es ist sicher eine gute Idee, sich zu überlegen, wie man bestmöglich und vielleicht auch kreativ auf diese Ausnahmesituation reagieren kann, um sie zu bewältigen. Im Idealfall entstehen daraus vielleicht sogar neue innovative Produkte und Services, die man nach der Krise beibehält oder sogar noch ausbaut. Ich hoffe, dass dies möglichst vielen Unternehmen gelingt.


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