Von Dr. Helen Vogt
Digitale Technologien sind der Auslöser für neue Geschäftsmodelle der produzierenden Unternehmen und ermöglichen neues Wachstum. Das Potenzial ist riesig, die globale Wertschöpfung durch digitale Technologien wird im Jahr 2025 auf bis zu 6’000 Mrd. US$ geschätzt (1). Dank digitaler Services können Industrieunternehmen nach dem Verkauf der Neuanlagen, welcher oft mit einem substantiellen Rabatt erkauft wurde, wiederkehrende Einnahmen, oftmals mit höheren Margen, erwirtschaften. Im Fokus steht dabei insbesondere der Maschinenbau und die sich dort ergebenden Möglichkeiten zur Entwicklung und Umsetzung neuer Geschäftsmodelle.
In diesem Zusammenhang avancieren Daten zu einer bedeutenden Ressource und die nutzenstiftende Verwertung dieser Daten zum Befähiger für digitale Services und Geschäftsmodelle ermöglichen Unternehmen zudem, die Kundenbeziehung nach dem Verkauf der Produkte aufrecht zu erhalten und werden daher zu den wichtigsten marktseitigen Unterscheidungsmerkmalen der Industrie 4.0 gezählt. Ein Industrievertreter (Senior Product Manager, Maschinenbauer) bringt es auf den Punkt: «Durch digitale Geschäftsmodelle können wir uns am Markt differenzieren und den Nutzen für unsere Kunden erhöhen».
Digitale Geschäftsmodelle bergen aber auch grosse Hürden bei der Umsetzung, insbesondere für Unternehmen der produzierenden Industrie. Digitale Services und Software-Lösungen haben bei Mitarbeitenden oftmals nicht den gleichen Stellenwert wie der Verkauf von grossen Anlagen. «Mit Software als Add-on kann man schwierig Umsatz machen, im Vergleich zu einigen Millionen für die Überholung einer Turbine» (Senior Product Manager, Energiesysteme).
Die Einführung von neuen Service-Geschäftsmodellen hat oftmals nicht immer den erwünschten finanziellen Erfolg gebracht. Bisher unbeantwortet ist die Frage, welche von den vorab im B2C erfolgreichen Geschäftsmodellen, welche sich auf digitale Geschäftsmodelle erweitern lassen, die grösste Relevanz für Firmen aus dem B2B Umfeld haben. Diese Fragestellung wird in einem aktuellen Innosuisse-Projekt untersucht. Zu diesem Zweck wurde bei Industrie- und Fachexperten eine Umfrage durchgeführt und an der diesjährigen Smart Service Summit präsentiert. Die Umfrage bestand aus einem offenem Experten-Interview sowie aus einer Online-Umfrage zur Bewertung von zwölf digitalen Geschäftsmodellen gemäss Gassman et al (2). und Fleisch et al. (3) hinsichtlich des erwarteten Mehrwertes sowie dem Implementierungsaufwand. Der abgefragte Mehrwert bezieht sich auf höheren Umsatz und Marge, innovatives Image, vertieftes Know-How und Transparenz bezüglich den Kundenprozessen sowie eine bessere Kundenbindung. Der Implementierungsaufwand beinhaltet die Komplexität der Datensammlung, -übermittlung und -verarbeitung, die erwartete Kundenakzeptanz sowie der Einfluss von Normen und Richtlinien.
Erste Erkenntnisse aus der Umfrage
In Abbildung 1 sind die Geschäftsmodelle hinsichtlich des erwarteten Mehrwertes sowie des Implementierungsaufwandes auf einer Skala von 1 (sehr niedrig) bis 5 (sehr hoch) bewertet.
Die Experten haben ebenfalls eine Abschätzung zur Umsetzungswahrscheinlichkeit des jeweiligen Geschäftsmodelles abgegeben, siehe Abbildung 2:
Aus den Beurteilungen der Experten wird ersichtlich, dass Konzepte wie Object Self Service, Solution Provider und Pay per Use den höchsten Mehrwert hinsichtlich dem finanziellen Return und der Kundenbindung bieten (siehe Abbildung 1). Insbesondere sehen die Industrie- und Fachexperten viel Potential beim Geschäftsmodell Solution Provider, bei dem der Anbieter nicht nur die Hardware, sondern auch das notwendige Anwendungs-Know-How und Softwarelösungen zum Betreiben der Anlage mitliefert. «Die Kunden haben vielfach das Engineering ausgelagert resp. verkleinert und sind daher auf das Prozess-Know-How der Lieferanten angewiesen.» (Innovationsmanager, Maschinenbauer)
Diese drei Geschäftsmodelle sind aber hinsichtlich der Implementierung sehr aufwendig. Andere Modelle wie Subscription oder insbesondere das Flat Rate-Modell sind einfacher einzuführen, bieten aber gemäss den Erwartungen der Experten weniger Mehrwert für die Anbieter. Wiederum in B2C etablierte Geschäftsmodelle wie Razor and Blade, oftmals kombiniert mit (digital) Lock-in, scheinen wenig Akzeptanz bei Endkunden der Maschinenbauer zu finden und sind daher aus Mehrwertsicht weniger interessant.
Betreffend der Umsetzungswahrscheinlichkeit hat gemäss Einschätzung der Experten das Freemium Geschäftsmodell bei Maschinen- und Anlagebauer die höchsten Chancen. Hierbei wird die Anlage mit einem kostenfreien digitalen Service angeboten, weitere (Premium) Services sind kostenpflichtig. Dank dieser zweistufigen Struktur können die Kunden mit relativ wenig Risiko und finanziellem Aufwand die Vorteile der digitalen Services testen und dann bei Bedarf weitere Services dazukaufen. Am schwierigsten ist die Implementierung des Geschäftsmodells des Two-sided Market. Dies liegt vor allem an der erwarteten Komplexität bei der Einbindung von externen Partnern.
Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auf Basis einer Lebenszyklus- und Serviceorientierung steht noch am Anfang
Zukünftige Differenzierungsmöglichkeiten werden im Maschinen- und Anlagenbau stark im Bereich der Software und/ oder den Dienstleistungen gesehen (4), die eigentliche Maschine oder Anlage ist nur ein Teil der übergreifenden Kundenlösung. Innovative Maschinenbauer, die ihren Geschäftsmodell-Fokus weg vom Verkauf der Maschine hin zu nutzenstiftenden Lifecycle-Diensten mit Pay per Use-Ansätzen verschieben, haben grosse Chancen, sich signifikant und nachhaltig am Markt zu differenzieren. Damit verbunden sind aber auch hohe Investitionen sowie das schwierige Umdenken in einer völlig neuen Welt.
Welches Geschäftsmodell schlussendlich den grössten Nutzen bringt, muss methodisch noch weiter untersucht werden (5). Eine besondere Herausforderung ist, dass Geschäftsmodell-Innovation insbesondere bei Maschinen- und Anlagenbauer noch kein etabliertes strategisches Instrument ist. Unsere aktuelle Forschung hat zum Ziel, eine übertragbare Systematik zur Identifikation und Bewertung von attraktiven digitalen Geschäftsmodellen zu entwickeln. In einem zweiten Schritt wird die hierfür notwendige Datenteilbereitschaft der Endkunden untersucht.
Für weitere Informationen zum Thema «Digitale Geschäftsmodelle für die MEM-Industrie» können Sie sich an Dr. Helen Vogt (helen.vogt@zhaw.ch) wenden.
Quellen:
- Ematinger, R. (2017). Von der Industrie 4.0 zum Geschäftsmodell 4.0: Chancen der digitalen Transformation. Springer-Verlag.
- Gassmann, O., Frankenberger, K., & Csik, M. (2017). Geschäftsmodelle entwickeln: 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler business model navigator. Carl Hanser Verlag GmbH Co KG.
- Fleisch, E., Weinberger, M., & Wortmann, F. (2014). Business models and the internet of things, Bosch IoT Lab Whitepaper. Bosch Internet of Things and Services Lab.
- Bauernhansl, T., Emmrich, V., Döbele, M., Paulus-Rohmer, D., Schatz, A., & Weskamp, M. (2015). Geschäftsmodell-Innovation durch Industrie 4.0–Chancen und Risiken für den Maschinen-und Anlagenbau. Dr. Wieselhuber & Partner GmbH und Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.
- Demont, A., & Paulus-Rohmer, D. (2017). Industrie 4.0-Geschäftsmodelle systematisch entwickeln. In Digitale Transformation von Geschäftsmodellen (pp. 97-125). Springer Gabler, Wiesbaden.