Brand Activism als Hoffnungsträger für eine bessere Welt

Von Dr. Jesse Bächler

Wieso wird Marken-Aktivismus befürwortet? Welche Hoffnungen werden damit verbunden? Die Auswertung von N = 181 Befragten mit insgesamt N = 229 Argumenten zeigt, dass trotz der Fülle von Begründungen eine Handvoll zentraler Ideen leitend ist. Hinter allem steht nichts weniger als die händeringende Hoffnung auf eine bessere Welt.

Wer es in der Befragung für grundsätzlich richtig hielt, «dass sich Marken in politisch geladenen, kontroversen gesellschaftlichen Fragen mit klaren Positionen und expliziten Handlungsaufforderungen engagieren», sollte im Anschluss beschreiben, was man sich davon versprach.

Von den N = 200 Befürwortern hinterliessen mehr als 90% eine Antwort. Aus den Antworten wurden alle Argumente extrahiert und danach schrittweise geclustert. Das Resultat sind fünf «Themenkomplexe».

So what?

Verschiedene Studien haben schon darauf hingewiesen, dass mehr und mehr Konsumentinnen und Konsumenten verschiedenster Altersgruppen zunehmend politisiert auftreten. Diese «belief-driven buyers» wählen und meiden Marken aufgrund von Wertefragen.

Nun tritt auch klarer hervor, mit welchen Hoffnungen Konsumenten an Marken herantreten – welche Wünsche, Ziele und Bedürfnisse also ihr Kaufverhalten prägen. Aktivistische Marken bieten diesem Marktsegment den Zusatznutzen, die Gesellschaft nicht einfach zu verändern, sondern eine geradezu alarmierend kranke Welt zu retten. Im Kauf solcher Marken steckt mehr als Hedonismus und individuelle Identitätssuche; er ist ein Votum für eine ganz bestimmte globale Zukunft.

Die hier geschilderten Themenkomplexe zeigen auf, über welche Perspektiven Marken sich diesem Weltschmerz annähern respektive auf welche Weise sie ihre Unternehmensmission framen könnten, um authentisch/markenkonform und kundenrelevant Menschen Erleichterungen im Alltag anzubieten.

Themenkomplex «Problembewältigung» (n = 89)

Am häufigsten nannten Befragte die Hoffnung, dass die uns heute plagenden gesellschaftlichen Probleme dank Marken-Aktivismus besser gelöst werden könnten.

Am wichtigsten ist dabei die Aufmerksamkeit für und Anerkennung von sozialen Problemen (zusammengefasst als «Problembewusstsein», n = 73). Die Enthusiasten versprechen sich von Marken-Aktivismus zum Beispiel «eine grössere Reichweite der Nachricht» und dass «jene, welche sich nicht interessieren aktiviert» werden können. Nach ihrer Auffassung zieht Marken-Aktivismus «Menschen auf fortschrittlichere Ansichten.» Und im Marken-Aktivismus komme zum Ausdruck, «dass jeder Verantwortung übernehmen» muss.

Andere Befragte dachten an die Folge des Problembewusstseins, nämlich die «Politische Meinungsbildung» (n = 16). Ihrer Meinung nach ist Marken-Aktivismus zu begrüssen, denn «Kontroversen fördern Diskussionen.» Jemand meint: «Mehr Aktivismus ist meiner Meinung nach allgemein positiv; egal, woher der Aktivismus kommt.» Von Marken-Aktivismus wird «mehr Druck/Einfluss auf politische Diskussionen» erwartet, er habe letztlich einen «positiven Einfluss auf die gesellschaftliche Meinung.»

Themenkomplex «Utopie» (n = 84)

Am zweithäufigsten wurden Ideen genannt, in denen die Hoffnung auf eine bessere Welt zum Ausdruck kommt. Hier spielen zahlreiche Perspektiven hinein:

In der Kategorie «Bessere Welt» (n = 30) finden sich viele, sehr hohe Erwartungen an die positiven Folgen von Marken-Aktivismus. Es beginnt mit eher vorsichtigen Hoffnungen wie die «Beeinflussung der Gesellschaft im positiven Sinne» oder den Wunsch, dass «Mensch und Umwelt anstatt Profit im Mittelpunkt» stünden – andere denken bei Marken-Aktivismus allerdings direkt an «Systemwandel» oder wenigstens eine «echte Verbesserung der Welt».

Viele Befragte äusserten konkrete Vorstellungen einer besseren Welt: n = 27 Kommentare thematisierten ein verändertes Konsumverhalten (z.B. «weniger Konsumgeilheit» oder die «Hoffnung, blindes Kaufen zu vermeiden»), und n = 5 Äusserungen betrafen veränderte Produkte (z.B. «Leichtere Zugänglichkeit zu einem nachhaltigen Lebensstil»). Eine Entlastung der Natur kam in n = 9 Kommentaren vor (bspw. «Bessere Handlungen von Marken bezüglich des Klimawandels»), n = 7 Hoffnungen betrafen Diversity & Equality (z.B. «’Stimmlose’ oder benachteiligte Gruppen bekommen eine Stimme»), und n = 6 Äusserungen sprachen die Arbeitsbedingungen an (z.B. «Weniger Ausbeutung von Angestellten»).

Themenkomplex «Moral» (n = 27)

Ein drittes Cluster von Argumenten sieht im Marken-Aktivismus eine moralische Pflicht. Diese wird entweder hergeleitet aus der «Corporate Citizenship» (n = 7) oder aus der besonderen Rolle, die Marken heutzutage spielen (n = 20).

Bezeichnend für die Corporate-Citizenship-Perspektive ist die Aussage: «Da unsere Welt kapitalismus-gesteuert ist, sollen kapitalistische Unternehmen ihren Beitrag zu einer besseren Welt leisten.» Andere Befragte schätzen, «dass Marken, die normalerweise zum Kauf auffordern, mal das Gegenteil machen.»

Eng mit dieser Perspektive verwandt ist das Argument, wonach Marken wegen ihrer gesellschaftlichen Macht die Pflicht hätten, explizit eine soziale Rolle zu übernehmen. Die zentrale Hypothese dieser Perspektive lautet in den Worten einer befragten Person: «Wer Marken kauft, lässt sich beeinflussen. Diese Macht könnten Marken ausnützen.» Andere Äusserungen betonen weniger den Macht-Faktor als vielmehr eine Leadership-Funktion: «Marken haben Vorbildcharakter und können unsere Gesellschaft positiv prägen, indem sie Haltung zeigen.» Das Ganze lässt sich sogar noch ungezwungener formulieren: «Marken sind unglaublich in der Popkultur. Ihre Anhänger hören ihnen zu.»

Themenkomplex «Bessere Konsumentenentscheide» (n = 24)

Erst an vierter Stelle kommen jene Argumente, die laut vielen Autoren für das Entstehen von Marken-Aktivismus zentral sind: Dass Konsumenten ihre Markenwahl von der Haltung der Marke abhängig machen. Der Schlüsselbegriff dieses Clusters ist «Transparenz» (n = 7); es geht also darum, dass die Befragten mehr Informationen einfordern, damit sie bessere Entscheidungen in der Marken- und Produktwahl treffen können.

Am häufigsten genannt wird Transparenz in Bezug auf die Unternehmenskultur (n = 11). Man wolle «ohne grosse Recherchen den Standpunkt der Marke herausfinden» können, sodass man «nicht nur jene Marken unterstützen kann, die das gleiche Ziel verfolgen, sondern auch jene vermeiden kann, das es nicht tun.»

Aber auch Transparenz bezüglich der Unternehmenspraxis (n = 5) wird von Marken-Aktivismus erwartet: Man möchte Unternehmen «zur Rechenschaft ziehen» können, wenn «sie sich nicht an ihre Versprechungen halten.» Marken-Aktivismus erhöhe allgemein «den Druck, transparent zu wirtschaften».

Eine einzige zynische Stimme meldete sich zu Wort: «Der Kapitalismus weiss sich jedes Thema einzuverleiben.» Diese Person befürwortet zwar Marken-Aktivismus, bezweifelt jedoch dessen Authentizität.

Themenkomplex «Marktorientierung» (n = 5)

Insgesamt fünf Kommentare betrafen ökonomische Aspekte des Marken-Aktivismus: Jemand erwartete beim Marken-Aktivismus «eine Dialogkommunikation der Firmen mit den Kund:innen», also ein Intensivierung der Kundenbindung.

Eine andere Person sieht im Marken-Aktivismus Differenzierungspotenzial: «Damit schärfen sie auch ihre Positionierung.» Jemand anderes befürwortete Marken-Aktivismus aus Unterhaltungsgründen und erhoffte sich davon «überzeugende, packende Werbung». Eine vierte Person begrüsste Marken-Aktivismus, weil es beweise, dass die Marke ein «Engagement mit allen Stakeholdern» eingehe. Eine letzte Stimme fand Marken-Aktivismus wichtig, weil er Zugzwang auslöse: «Machen es viele, geraten andere in Zugzwang.»

Forschungsdesign:

Standardisierte Online-Befragung über Qualtrics vom 15. –28.12.2021. Rekrutiert wurde unquotiert über drei E-Mail-Verteiler. N = 457 Personen verblieben nach den Qualitätschecks, komplett abgeschlossen wurde die Befragung von n = 279 Personen. Die Stichprobe besteht zu 66% aus Frauen und zu 34% aus Männern, das Durchschnittsalter ist M = 28.4 Jahre (Min.: 19, Max.: 58). Im Sample überrepräsentiert sind hochgebildete Personen und solche aus urbanen Gebieten sowie der Deutschschweiz.


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