«Belief-driven buyers»: Moralisch motivierte Markenwahl auf dem Vormarsch?

Von Dr. Jesse Bächler

Die Konsumenten, die nicht primär auf Preis, Qualität oder Verfügbarkeit achten, sondern in ihrer Markenwahl auch einen moralischen Akt sehen, erhielten in einer Studie von Edelman (2018) das wohlklingende Label «belief-driven buyers». Unter dem Motto «my wallet, my vote» (sinngemäss: «Mein Geld, mein Wille») entscheidet dieses Käufersegment aufgrund von Wertefragen, welche Marken es kauft.

Ein zweischneidiges Schwert

«Belief-driven buyers» fordern von Marken klare Positionen und transparente Informationen ein – und lassen Marken fallen, bei denen das Wertesystem nicht mit dem eigenen übereinstimmt. Aber Wertefragen könnten auch neue Kunden anlocken und bestehende Kunden vom Absprung zu einem günstigeren Angebot abhalten. Marketing für den «belief-driven buyer» zu betreiben, ist ein scharf geschliffenes zweischneidiges Schwert.

Politisiert sich das Kaufverhalten?

In verschiedenen Ländern der Welt wird (zumindest punktuell) eine zunehmende Politisierung der Konsumierenden beobachtet. Edelman (2018) ermittelte in acht Ländern ein steigendes Bewusstsein für Nachhaltigkeitsfragen unter den Konsumierenden. Derselbe Trend stach auch aus dem Jugendbarometer der Credit Suisse (2020, S. 6) hervor: «Gleichstellung, Klimawandel und Rassismus sind drei der Themen, die Junge heute beschäftigen.» Gleichzeitig führte das gestiegene Bewusstsein hierzulande noch nicht zu einem höheren politischen Engagement (ebd., S. 7). Vielleicht finden sich aber Spuren von «belief-driven buyers» im Kaufverhalten?

Anhand von sieben Fragen wurde gemessen, inwiefern die Schweizer Käuferschaft als «belief-driven buyers» bezeichnet werden könnte. Dazu wurden alle sechs Fragen von Edelman (2018) übersetzt und eine siebte Frage («Ich versuche aktiv durch Recherchen/Gespräche herauszufinden, wie Marken mit politischen Themen umgehen») hinzugefügt. 457 Personen gaben zu allen sieben Fragen Auskunft.

Geld und Gewohnheit lenken das Handeln

Wenn es Geld gegen Gesinnung steht, ist der Preis Trumpf. Über 70% der Befragten lassen sich ein gutes Angebot nicht durch Idealismus miese machen (Aussage 1). Und wenn es Gewohnheit gegen Gesinnung steht, dann ist die Routine relativ robust: Kaum mehr als 50% haben Marken aufgrund deren Haltung aufgegeben – wobei nur eine von fünf Personen hier «voll und ganz» zustimmt (Aussage 3).

Hinzu kommt ein weiterer Risikofaktor für aktivistische Marken: Weniger Personen probieren aufgrund von Aktivismus-Kampagnen eine neue Marke aus als dass sie eine alte aufgeben (Aussage 5). Soweit scheint Marken-Aktivismus also drastisch ausgedrückt ein Weg, um seine Kundenbasis zu verkleinern. Am sichersten fährt vorderhand, wer sich gar nicht erst aus dem Fenster lehnt: Deutlich mehr als 80% der Befragten ist es nämlich egal, wenn eine Marke zu gesellschaftlichen Fragen schweigt (Aussage 7).

Zu diesen Aussagen passt, dass für die Mehrheit der Befragten die Markenwahl kein politisches Statement ist (Aussage 4) und aus zehn Personen nur zwei überhaupt einschlägige Informationen proaktiv recherchieren (Aussage 6).

Der Schein trügt

Insgesamt entsteht aus dieser Betrachtung der Eindruck, mit dem «belief-driven buyer» sei es in der Schweiz nicht weit her. Aber der Schein trügt: Zwar finden sich nur wenige stark Involvierte – aber auch die schwach Involvierten sind nicht sehr zahlreich vertreten.

Über die Hälfte der 457 Befragten fällt ins Mittelfeld zu den sogenannten «Joiners», die nach der Definition von Edelman (2018) zwar nicht auf der breiten Front, aber immerhin punktuell ihre Marken aufgrund moralischer Motive wählen. Diese Personen haben nicht nur ein gesteigertes Problembewusstsein, sondern lassen ihren Einstellungen auch Taten folgen.

Und während die nicht involvierten «Spectators» Marken-Aktivismus noch klar skeptisch gegenüberstehen, befürworten ihn bereits zweieinhalb Mal so viele «Joiners» wie ihn ablehnen (bei den «Leaders» ist das Verhältnis sogar 13:1). Die Unterscheidung in «Skeptiker» und «Enthusiasten» geschah übrigens anhand der zustimmenden/ablehnenden Antwort auf die Aussage «Halten Sie es für richtig, dass sich Marken in politisch geladenen, kontroversen gesellschaftlichen Fragen mit klaren Positionen und expliziten Handlungsaufforderungen engagieren?»

Deutliche Unterschiede bei den Typen

Auch wenn der «belief-driven buyer» vorderhand eher eine Tendenz als eine harte Realität ist: Es gibt bereits heute eine klare Mehrheit von Konsumentinnen und Konsumenten, die nicht nur ihre Markenwahl aufgrund moralischer Überlegungen trifft, sondern auch klare Stellungnahmen und explizite Handlungsaufforderungen durch Marken begrüsst. Sowohl «Joiners» als auch «Leaders» unterscheiden sich (statistisch signifikant) von «Spectators» unter anderem dadurch, dass sie Marken, mit denen sie nicht übereinstimmen oder die in wichtigen gesellschaftlichen Fragen keine Position beziehen, durchaus auch meiden.

So what?

Konsum als Politikum zu behandeln, ist gemäss diesen Befragungsdaten noch keine weitverbreitete Praxis. Allerdings gibt es ein substanzielles Mittelfeld, das in diese Richtung lehnt. Wie sich die Verteilung der drei Konsum-Typen über die Zeit verändert, muss über wiederholte Erhebungen verfolgt werden.

Zum aktuellen Zeitpunkt ist deshalb wohl ein bedachtes Vorgehen ratsam: Die Covid-Impf-Kampagne konnte keine nennenswerte Differenzierung erzeugen (siehe Blog Beitrag), und Marken-Aktivismus lockt weniger Neukunden an als er Bestandskunden vergrault. Bevor sich Unternehmen mit vorschnellen Kampagnen und Äusserungen in die Nesseln setzen, sollten die Marketing-Abteilungen ihre Marken-DNS sequenzieren und Themenfelder identifizieren, wo allfälliger Aktivismus direkt auf die Unternehmensstrategie einzahlt.

Forschungsdesign:

Standardisierte Online-Befragung über Qualtrics vom 15. –28.12.2021. Rekrutiert wurde unquotiert über drei E-Mail-Verteiler. N = 457 Personen verblieben nach den Qualitätschecks, komplett abgeschlossen wurde die Befragung von n = 279 Personen. Die Stichprobe besteht zu 66% aus Frauen und zu 34% aus Männern, das Durchschnittsalter ist M = 28.4 Jahre (Min.: 19, Max.: 58). Im Sample überrepräsentiert sind hochgebildete Personen und solche aus urbanen Gebieten sowie der Deutschschweiz.


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