Wertgenerierung im Produktlebenszyklus mit Digitalen Zwillingen: Status Quo in Schweizer Unternehmen – Teil 3: Wertgenerierung

Von Cherelle Dini

In einer Studie untersuchten Barth et al (2022), wie Schweizer Unternehmen mit digitalen Zwillingen im Rahmen des Produktlebenszyklus Wert generieren. Während im ersten von drei Blogbeiträgen die Verbreitung und die Beweggründe für die Nutzung digitaler Zwillinge im Vordergrund standen, ging es im zweiten Blogbeitrag um die Nutzung digitaler Zwillinge im Produktlebenszyklus. Dieser abschliessende Beitrag thematisiert die eigentliche Wertgenerierung durch digitale Zwillinge.

Die ersten beiden Blog-Beiträge zur Wertgenerierung im Produktlebenszyklus mit digitalen Zwillingen haben einerseits die Anwendung digitaler Zwillinge und Motivationsfaktoren in Schweizer Unternehmen sowie den Einsatz entlang der verschiedenen Phasen des Produktlebenszyklus und der Prozessschritte darin dargestellt. In diesem Beitrag soll deshalb noch auf die durch digitale Zwillinge generierten oder geplanten Werte in der Beginning of Life- (BoL) und Middle of Life-Phasen  (MoL) eingegangen werden, welche die Studie abschliessen. Die End of Life-Phase wurde aufgrund der geringen Anzahl an Antworten für diesen Teil der Analyse nicht weiter berücksichtigt.

BoL-Phase: Verbesserung der Qualität zuvorderst

Tabelle 1 führt die in der Umfrage angegebenen Werte, welche mit digitalen Zwillingen in der BoL-Phase generiert werden können, in absteigender Reihenfolge auf Basis ihres Mittelwerts auf. Zusätzlich sind die Ergebnisse nach Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge einsetzen und solchen, die deren Einsatz planen, getrennt dargestellt.

Tabelle 1: Wertgenerierung in der BoL-Phase

In der BoL-Phase nennen sowohl Unternehmen, die den Einsatz digitaler Zwillinge nur planen als auch solche, die sie bereits einsetzen, die Qualitätsverbesserung am häufigsten als generierten beziehungsweise zu generierenden Wert. Die Optimierung der Durchlaufzeiten und der Termineinhaltung liegt auf Platz zwei, eine verbesserte Produktentwicklung und eine kürzere Time-to-Market folgen auf Platz drei. Die Kostensenkung liegt auf Platz fünf, was auf eine sehr hohe Bewertung durch jene Unternehmen zurückzuführen ist, welche die Anwendung digitaler Zwillinge erst noch planen. Die Kostensenkung weist gleichzeitig den grössten Unterschied zwischen den beiden Gruppen in der BoL-Phase auf. Unternehmen, welche den Einsatz lediglich planen, bewerten die Kostensenkung als generierten Wert mit 2.40 im Vergleich zu Unternehmen, in welchen digitale Zwillinge bereits im Einsatz sind mit 1.88. Es kann vermutet werden, dass die Erwartungen durch den Einsatz digitaler Zwillinge Kostensenkungen in der BoL-Phase zu realisieren in der Praxis überhöht sind.

Anders verhält es sich mit dem Wert des Echtzeit-Fernzugriffs auf die Fabriksteuerung auf Rang acht. Dieser wird von der Gruppe der Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge einsetzt, deutlich höher bewertet (1.75 gegenüber 1.26), erreicht insgesamt aber nur eine unterdurchschnittliche Bewertung (1.51). Die deutlich bessere Bewertung durch die Gruppe, die bereits digitale Zwillinge einsetzt, könnte mit dem Argument erklärt werden, dass sich der wahre Mehrwert dieser Anwendung erst im praktischen Einsatz zeigt. Der Mehrwert der Echtzeit-Fernsteuerung in der Fabrikkontrolle würde von Unternehmen, die den Einsatz von digitalen Zwillingen erst planen, somit tendenziell unterschätzt.

MoL-Phase: Prozessoptimierung und Leistungssteigerung zuvorderst

Für die MoL-Phase sind die generierten Werte nachfolgend in Tabelle 2 ebenfalls in absteigender Reihenfolge auf Basis ihres Mittelwerts dargestellt.

Tabelle 2: Wertgenerierung in der MoL-Phase

Auch in der MoL-Phase wurde die Qualitätsverbesserung als hochrelevant bewertet, lediglich die Prozessoptimierung / Leistungssteigerung wurde noch höher eingestuft. Die gesteigerte Verfügbarkeit für Kunden und die höhere Kundenzufriedenheit rangieren auf Platz drei bzw. vier, gefolgt von der verbesserten Installation und Inbetriebnahme auf Rang fünf. Interessanterweise wurden die Werte der prädikativen und präventiven Wartung und Instandhaltung, die in Theorie und Praxis grosse Aufmerksamkeit erhalten haben, relativ niedrig bewertet (2.08 und 2.00). Dies ist besonders bemerkenswert, da 79% der Unternehmen digitale Zwillinge für Service- und Wartungsprozesse einsetzen oder dies planen, wie im zweiten Blog-Beitrag dargestellt wurde. Der Schwerpunkt scheint also auf anderen Anwendungen wie der Optimierung bestehender Prozesse zu liegen. Hinsichtlich der Kostensenkung sind die Ergebnisse in der MoL-Phase ähnlich wie in der BoL-Phase, wenn auch weniger akzentuiert. Auch hier weisen die Unternehmen, die den Einsatz von digitalen Zwillingen planen, einen höheren Wert auf als die Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge einsetzen (2.08 gegenüber 1.88). Der Durchschnitt der beiden Gruppen ist allerdings geringer als in der BoL-Phase (1.98 gegenüber 2.14).

Besonders bemerkenswert ist die niedrige Bewertung des durch digitale Zwillinge generierten Werts für neue Geschäftsmodelle auf Rang zehn (1.94), was jedoch im Einklang mit den Resultaten hinsichtlich der Motivation aus dem ersten Blog-Beitrag steht. Einerseits liegt die Identifikation neuer Geschäftsmodelle nur auf Platz vier von sieben bezüglich Anwendungsmotivation digitaler Zwillinge und andererseits ist das Fehlen eines passenden Geschäftsmodell der bedeutsamste Grund für den Entscheid gegen den Einsatz digitaler Zwillinge. Den zweitniedrigsten Wert erhielt der Wert des Echtzeit-Fernzugriffs auf die Produktkontrolle in der MoL-Phase. Auch hier bestätigen sich die Ergebnisse aus der BoL-Phase: Die Bewertung des Echtzeit-Fernzugriffs von den Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge einsetzen, ist deutlich höher. Auch bei diesem Wert ist die Diskrepanz zwischen den beiden Gruppen in der MoL-Phase absolut gesehen am grössten. Die Annahme, dass die Fernsteuerung über digitale Zwillinge von den Unternehmen, die den Einsatz digitaler Zwillinge planen, generell unterschätzt wird, wird somit bestärkt.

Das bessere Up-Selling und Cross-Selling schliesslich erhielt in der MoL-Phase die niedrigste Bewertung aller abgefragten Werte. Dies steht einerseits im Einklang mit den im zweiten Blog-Beitrag dargestellten Ergebnissen, die darauf hindeuten, dass die marktseitigen Prozesse bei der Anwendung von digitalen Zwillingen nicht im Fokus stehen. Andererseits wenden mehr als die Hälfte der Unternehmen digitale Zwillinge für die Prozessschritte “Upgrades & Updates” an oder planen deren Einsatz und sollten daher den Wert “Up-Selling und Cross-Selling” höher bewerten.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass das Wertschöpfungspotential durch den Einsatz digitaler Zwillinge erkannt, aber in der Praxis noch kaum genutzt ist. Dies könnte sich ändern, sobald die aus der bidirektionalen Interaktion vorliegenden Informationen über Kunden- und Marktbedürfnisse vermehrt in der Produktplanung und -entwicklung eingesetzt werden.

Fazit zur Wertgenerierung mit digitalen Zwillingen im Produktlebenszyklus Schweizer Unternehmen

Die Anwendung digitaler Zwillinge zur Wertgenerierung im Produktlebenszyklus ist aktuell noch nicht weit verbreitet. Der kunden- und wettbewerbsseitige Druck zur Anwendung digitaler Zwillinge scheint noch gering zu sein. Unternehmen, welche digitale Zwillinge einsetzen, können daher als Early Adopters bezeichnet werden mit der Absicht, Wettbewerbsvorteile zu erzielen.           

Sowohl Unternehmen, welche digitale Zwillinge bereits einsetzen, als auch jene, die dies planen, fokussieren sich stark auf die BoL-Phase und die entsprechenden Prozesse zur Herstellung von Produkten und Services. Aber auch die MoL-Prozesse erhalten zunehmende Aufmerksamkeit, insbesondere die Wartung und Instandhaltung sowie Prozesse zur Leistungsoptimierung.

Die Wertgenerierung durch digitale Zwillinge konzentriert sich aktuell stark auf die Qualitätsverbesserung sowie Zeiteinsparungen für das Unternehmen und dessen Kunden und damit nicht primär auf Kosteneinsparungen. Unternehmen, welche bereits digitale Zwillinge einsetzen, schätzen die Kosteneinsparungen durch digitale Zwillinge deutlich niedriger ein als jene, welche die Anwendung erst planen. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Unternehmen die entsprechende Wertgenerierung überschätzen. Gegenteilig dazu, wird die Wertgenerierung durch Fernkontrolle von Produkten und Fabriken durch die Unternehmen mit digitalen Zwillingen in der Planung eher unterschätzt.

Insgesamt trägt die Studie zu einem besseren Verständnis der Anwendung von digitalen Zwillingen in der Praxis Schweizer Unternehmen bei und zeigt sowohl Motivationsfaktoren, den aktuellen Implementierungsstand, als auch zentrale Ansatzpunkte der Wertgenerierung entlang des Produktlebenszyklus auf.

Barth, L., Ehrat, M., Fuchs, R., & Haarmann, J. (2020). Systematization of Digital Twins: Ontology and Conceptual Framework. Proceedings of the 3rd International Conference on Information Science and Systems (ICISS 2020), 13-23. https://doi.org/10.1145/3388176.3388209

Barth, L., Ehrat, M., Galeno, G., Holler, M., & Savic, N. (2022). Value Generation in the Product Lifecycle with Digital Twins: Status Quo in Swiss Companies. Proceedings of the 55th Hawaii International Conference on System Sciences (HICSS 2022), Hawaii

Schlagwörter: Product Management

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