Mit Design Thinking Foodwaste minimieren

Das Institut für Marketing Management hat im Rahmen eines Forschungsprojektes in Zusammenarbeit mit dem Verein «Mehr als zwei» das Potenzial für eine digitale Plattform für Lebensmittelüberschüsse im B2B-Bereich untersucht. Ein vielversprechendes Projekt mit noch ungewissem Ausgang.

Lebensmittelverluste vermeiden zu Beginn der Wertschöpfungskette

Jährlich entstehen im Schweizer Lebensmittelkonsum rund 2,6 Mio. Tonnen vermeidbare Lebensmittelabfälle (BAFU, 2021). Rund ein Drittel (915’000 t) fallen in der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie an, u.a. durch Industrienormen und fehlende Absatzmärkte für (geniessbare) Nebenprodukte (Beretta & Hellweg, 2019). Für Produzenten ist es heute kaum möglich, diese Lebensmittelverluste zu vermeiden, da sie abhängig von der nachgelagerten Industrie und deren Qualitätsnormen sind.

Digitale Plattformen und Apps, die im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung am Ende der Wertschöpfungskette, bei Gastronomie und Detailhandel (B2C), ansetzen, existieren bereits einige (www.toogoodtogo.ch, www.foodsharing.network, etc.). Für Landwirtschaft und Industrie (B2B) gibt es in der Schweiz jedoch keine einfache Möglichkeit, um Lebensmittelaus- und -überschüsse zu verkaufen oder einzukaufen. Über 90% davon werden als Futtermittel, organischer Dünger oder zur Energieproduktion verwendet (Mosberger et. al., 2016), obwohl sie mit hohem Aufwand und Kosten für den menschlichen Konsum produziert wurden und dafür nach wie vor geeignet wären.

Ziel des Projektes ist es daher, eine Grundlage für eine digitale B2B-Plattform zu schaffen, die es Akteuren der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie ermöglicht, Ausschuss-Lebensmittel, überschüssige Rohstoffe und Nebenprodukte zu einem wirtschaftlichen Preis und mit geringem Aufwand an Interessierte zu verkaufen. Die Idee für diese Plattform stammt vom Verein «Mehr als zwei», der sich seit längerem gegen Food Waste einsetzt. Deren Vision ist es, langfristig eine selbsttragende Plattform zu etablieren.

Bedürfnis ist vorhanden – flächendeckende Lösungen fehlen

Aus den zahlreichen qualitativen Interviews mit potenziellen Nutzern einer solchen Plattform ging hervor, dass das Bedürfnis sowohl auf Abnehmer- als auch auf Lieferantenseite gegeben ist. Das Problem der Lebensmittelverschwendung ist in der Branche bekannt und es werden im kleineren Rahmen auch gezielt Massnahmen ergriffen. Eine flächendeckende, wirtschaftlich rentable Lösung gibt es bisher allerdings noch nicht. Oftmals landen einwandfreie Lebensmittel im Abfall, da es schlichtweg zu aufwendig und zu teuer wäre, Käufer dafür zu finden. Im besten Fall ist eine Weiterverarbeitung (bei Obst z.B. zu Säften) möglich, dies ist wirtschaftlich allerdings meist wenig attraktiv.

Dumpingpreise – nein, danke

Insbesondere bei Startups und kleineren Unternehmen, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben, ist Interesse an einer solchen Plattform enorm. Eine Interviewpartnerin gibt sogar an «gezielt nach Überschüssen gesucht zu haben». Aber auch grössere Betriebe äussern das Bedürfnis, gerade wenn es für sie preislich attraktiv ist. Dennoch gaben ausnahmslos alle Interviewten an, die Preise für die Lebensmittel dürften nicht zu tief sein – zum einen damit alle am Markt etwas daran verdienen, zum anderen um die Wertschätzung für die Lebensmittel zu gewährleisten. Auch für die Nutzung einer Vermittlungsplattform, wie sie aus diesem Projekt heraus entwickelt werden soll, sind die Interviewten bereit, etwas zu bezahlen.

(c) Pixabay

Tragbarkeit als langfristiges Ziel

Vor dem Hintergrund, längerfristig eine selbsttragende Plattform anbieten zu können, wurde im Rahmen des Forschungsprojektes angeschaut, wie eine mögliche Finanzierung aussehen könnte und welche Pricing Strukturen sich eignen. Eine Kombination aus einem Subscription Model, beim dem die Nutzung des Service gegen eine regelmässig fällige Gebühr möglich ist und einem Add-On Model, bei dem zusätzliche Leistungen gegen einen Aufpreis genutzt werden können zeigt sich für die Plattform als besonders vielversprechend (vgl. Gassmann et al., 2021). Ein gewisser Grad an Individualisierung ist notwendig, da die Bedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten von KMU, Startups und Grosskonzernen sehr heterogen sind.

Technologie ja – vollständige Automatisierung nein

Der Komplexität und Vielfältigkeit der Akteure im Lebensmittelhandel der Schweiz kann eine digitale Plattform nur bedingt gerecht werden. Aus den Gesprächen und den bereits gesammelten Erfahrungen des Vereins «Mehr als zwei» hat sich gezeigt, dass eine Plattform für die Sichtbarkeit und Vermittlung von Lebensmittelüberschüssen wertvoll ist, das Matchmaking jedoch (noch) nicht vollständig automatisiert funktionieren kann. Einen Überblick über Angebot und Nachfrage zu haben und entsprechend Vermitteln zu können ist derzeit ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren der «Plattform». Mit der vollständigen Entwicklung der Plattform ist es jedoch denkbar, diese Leistung Stück für Stück zu automatisieren.

Wie weiter?

Durch das Forschungsprojekt konnte das Bedürfnis einer digitalen B2B-Plattform bestätigt werden. Der Verein «Mehr als zwei» sucht aktuell nach Förderpartnern, um das Projekt weiter zu finanzieren.  Auch die Ostschweizer Fachhochschule ist bereits an einem gemeinsamen Folgeprojekt interessiert, welches den bestehenden Prototypen unter Einbezug verschiedener Stakeholder zu einer funktionierenden Plattform weiterentwickeln soll.

Quellen:

Mosberger L., Gröbly D., Buchli J., Müller C., Baier U. (2016). Schlussbericht Organische Verluste aus der Le-bensmittelindustrie in der Schweiz – Massenflussanalyse nach Branchen und Beurteilung von Vermeidung / Verwertung.“, ZHAW (nicht publiziert)

Bundesamt für Umwelt (Bafu). (2022). Lebensmittelabfälle. https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/abfall/abfallwegweiser-a-z/biogene-abfaelle/abfallarten/lebensmittelabfaelle.html

Beretta, C., & Hellweg, S. (2019). Lebensmittelverluste in der Schweiz: Umweltbelastung und Vermeidungspotenzial. ETH Zürich, Institut für Umweltingenieurwissenschaften.

Gassmann, O., Frankenberger, K. & Choudury, M. (2021) Geschäftsmodelle entwickeln: 55+ innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator, (3 Aufl.). Hanser.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert