In der aktuellen Ausgabe der INLINE des Dachverbands der FH Schweiz erschien ein Interview mit unserer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Verena Berger über ihre Forschungstätigkeit .
Frau Berger, Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW und schreiben eine Doktorarbeit an der Technischen Universität Berlin. Forschung ist Ihr tägliches Brot. Was fasziniert Sie daran?
Was mich reizt, ist, dass ich immer wieder Neues lerne. Es wird nie langweilig. Mal kreiert man einen Fragebogen, dann führt man Experimente durch, beschäftigt sich mit Methoden oder wertet etwas aus. Ausserdem steht man in Kontakt mit verschiedensten Leuten: Man tauscht sich im Team aus, spricht bei den Interviews mit Probanden, steht mit dem Auftraggeber im Gespräch. Forschung ist also gar nicht so trocken, wie ich mir vorgestellt hatte.
Zu forschen war nicht immer Ihr Ziel?
Nein, überhaupt nicht. Hatte mir jemand prophezeit, dass ich mal eine Doktorarbeit schreibe, hatte ich gesagt: «Nee, ich doch nicht.»
Was hat den Sinneswandel ausgelöst?
Der kam ganz allmählich, Schritt für Schritt. Zuerst absolvierte ich ein Bachelorstudium in den Niederlanden. Dahin hatte es mich gezogen, weil ich in Englisch studieren wollte. Anschliessend hatte ich gar nicht geplant, weiter zu studieren.
Stattdessen kamen Sie in die Schweiz.
Ja, der Liebe wegen. Und ich fand meine jetzige Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW. Hier arbeite ich am Institut für Marketing Management der ZHAW, in der Fachstelle Behavioral Marketing. Da dreht sich alles um Konsumentenverhalten und wie sich dieses verändern lässt. Oft ist das Ziel ein nachhaltiger Konsum.
Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Meine Arbeit besteht aus der Mitarbeit in Forschungsprojekten und aus Tätigkeiten in der Lehre. Ich betreue zum Beispiel auch Bachelorarbeiten, gebe Übungsstunden in Marketinggrundlagen und vermittle Nachhaltigkeitsthemen in verschiedenen Weiterbildungskursen.
Und was beschäftigt Sie aktuell am meisten?
Meine Doktorarbeit. Nach wenigen Monaten an der neuen Stelle hatte man mir gesagt: «Verena, mach doch noch den Master. Du kannst das.» Ich dachte, Neues lernen ist immer gut. Also absolvierte ich neben der Arbeit das Masterstudium in Business Administration. Nach dem Abschluss hatte ich irgendwann wieder das Gefühl, dass noch etwas kommen muss – wenn nicht an der Hochschule, dann in Form einer neuen Herausforderung ausserhalb dieses Umfelds. Weil einer unserer Professoren in Winterthur mich dazu motivierte, begann ich mit dem Gedanken an eine Doktorarbeit zu spielen. Und machte mich schliesslich auf die Suche nach einem Betreuer.
Das ist ja als Fachhochschulabsolventin nicht ganz einfach.
Allerdings. Wer von der Fachhochschule kommt, hat es schwer. Fachhochschulen selbst verfügen nicht über das Promotionsrecht. Man ist also gezwungen, es extern zu versuchen. Hinzu kommt, dass hier in ausgeschriebenen Doktorandenstellen meist die Schweizer Staatsbürgerschaft verlangt wird. Deshalb habe ich als Deutsche primär in Deutschland gesucht. Doch auch da war es schwierig. Fast überall galt als Voraussetzung ein Universitätsabschluss. Zudem werden Studierende der eigenen Universität bevorzugt und am liebsten werden Leute mit Bestnoten gewählt.
Aber Sie hatten Glück.
Ja, ich kam durch eine Mentorin, die ich in einer Weiterbildung kennengelernt hatte, in Kontakt zu meinem heutigen Doktorvater und konnte ihn treffen. Mein Thema sagte ihm zu. Und die Technische Universität Berlin überlässt es der Einschätzung der Professoren, ob jemand als Doktorand geeignet ist. So habe ich diese tolle Chance bekommen.
Herzliche Gratulation! Und worum geht es in Ihrer Arbeit?
Das Thema heisst Gamification zur Forderung eines nachhaltigen Ernährungsverhaltens. Gamification bedeutet, spielerische Elemente in einem spielfremden Kontext einzusetzen. Man kennt das aus den Apps. Es gibt zum Beispiel Laufapps, die zur Belohnung Punkte verteilen, wenn man beispielsweise eine bestimmte Distanz erreicht hat. Auch kann man sich mit Freunden oder einer Community in sogenannten Leaderboards vergleichen. Dies sind typische Spielelemente.
Wie kommt die nachhaltige Ernährung ins Spiel?
Nachhaltige Ernährung ist komplex. Sie muss gesund und schmackhaft sein, aber auch biologisch, saisonal und regional. Es steht wenig Fleisch auf dem Speiseplan, und die Produkte sollten minimal verarbeitet und verpackt sein. Die Frage ist, wie man Spielelemente nutzen kann, um entsprechendes Verhalten zu fördern. Und vor allem: «Geht das überhaupt?» Das herauszufinden, ist meine Grundidee. Die Wirksamkeit dieser Elemente in diesem Kontext ist meines Wissens noch nicht wissenschaftlich untersucht worden: Man geht zwar davon aus, dass sie funktionieren, aber eine konkrete Studie wurde nie durchgeführt. Hier werde ich ansetzen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Ich möchte dies experimentell untersuchen. Einerseits will ich herausfinden, was die Leute motiviert. Beim Energiesparen hat man festgestellt: Es reicht bei bestimmten Konsumenten nicht, wenn sie wissen, wie viel Energie sie im Vergleich zu anderen sparen. Erst wenn sie belohnt werden mit Punkten oder Smileys, funktioniert es. Ich möchte nun prüfen, wie sich dies bei nachhaltiger Ernährung verhält. Andererseits interessiert mich, mit wem sich die Leute vergleichen wollen: Ist dies der Bevölkerungsdurchschnitt, die Community oder mein bester Freund?
Und danach, wie geht es weiter?
Erkenntnisse aus der Literatur und aus ersten Untersuchungen sollen in ein optimales Gamification-Design einfliessen. Dieses soll im Rahmen längerfristiger Untersuchungen auf seine Wirksamkeit im Feld geprüft werden.
Also sehr angewandt und praxisnah?
Ja, genau. Einen solchen Ansatz verfolgen wir auch in unserer Fachstelle: Wir hören nicht auf, wenn wir Erkenntnisse gewonnen und Massnahmen entwickelt haben. Wir setzen auch um und prüfen, ob es funktioniert. Das ist das Spannendste daran.
Wo stehen Sie mit der Doktorarbeit?
Zurzeit beschäftigt mich ein konzeptioneller Artikel, den ich bald einreiche. Darin beschreibe ich auch, wie ein mögliches Gamification-Design aussehen könnte. Um dieses zu testen, sind noch ein paar technische Herausforderungen zu lösen, zum Beispiel eine Verknüpfung mit einem Onlineshop. Aber dann soll es mit einem ersten Testlauf losgehen.
Wie finanzieren Sie die Arbeiten?
Dank einem Beitrag der Stiftung Suzanne und Hans Biasch zur Förderung der Angewandten Psychologie kann ich parallele Studien durchfuhren, die zur Entwicklung des Gamification-Designs beitragen. Die weitere Finanzierung ist noch offen. Davon hängt auch die Gestaltung der nachfolgenden Untersuchung ab. Will man Leute beispielsweise beim Einkaufen begleiten, ist das spannend, es wird aber auch schnell sehr aufwendig.
Bisher machten Sie Ihre Doktorarbeit in der Freizeit. Da muss Enthusiasmus und Herzblut auch fürs Thema dahinterstecken.
Was die Gamification betrifft, habe ich mich einfach gefragt, was hinter diesem Hype steckt, ob das überhaupt etwas bringt. Die Fragestellung kam also eher aus einer kritischen Haltung heraus.
Sie sind kein spielerischer Typ?
Nein. Spielerisch bin ich nur, wenn es darum geht, Dinge auszuprobieren. Oder beim Memory. Mit Brettspielen kann ich nicht viel anfangen. Auch bin ich kein Smartphone-Junkie. Ich benutze zwar eine Laufapp, aber teile meine Aktivitäten nicht und bin auch nicht auf Facebook.
Es ist also die Nachhaltigkeit, die Sie antreibt.
Ja, hier steckt mein persönliches Interesse. Woher das kommt, kann ich gar nicht sagen. Meine Eltern haben zwar den Mull getrennt, und ich war viel draussen in der Natur, aber das war alles. Irgendwann habe ich wohl einfach festgestellt, dass wir nicht so weitermachen sollten wie bisher. Es ist mehr die Sorge darum, wie es auf unserer Erde in zehn, zwanzig Jahren aussieht.
Wie beeinflusst diese Sorge Ihr Leben?
Das Thema ist immer präsent. Was Lebensmittel betrifft, kaufe ich nur regionale Produkte, die auch Saison haben. Zudem esse ich kein Fleisch. Abgesehen davon habe ich ein «Fairphone», ein etwas fairer hergestelltes Smartphone, und eine kleine Solaranlage auf dem Balkon. Mobil bin ich mit dem öffentlichen Verkehr und dem Velo. Ich vermeide es, zu fliegen. Nur einmal ging es nicht anders, weil die Reise sonst extrem umständlich geworden Ware. Da musste ich allerdings sehr mit mir kämpfen.
Wie reagiert Ihr Umfeld?
Neulich hat mir jemand gesagt, wie bewundernswert das alles sei. Ich weiss nicht, ob das jeweils ernst gemeint ist. Denn viele verstehen es, glaube ich, nicht so ganz. Auch schon hat sich jemand bei mir entschuldigt, weil es bei einem Apéro Plastikbecher gab. In solchen Situationen komme ich mir etwas komisch vor. Jeder soll schliesslich leben, wie er möchte.
Sie studieren in Berlin und arbeiten in Winterthur. Wie reisen Sie?
Ich muss nur zweimal pro Jahr zu Doktorandenkolloquien nach Berlin fahren. Dann reise ich mit dem Nachtzug. Der grösste Teil des Kontakts läuft über E-Mail und Telefonate.
Welche Eigenschaften braucht es, um eine gute Forscherin zu sein?
Eine innere Motivation und persönliches Interesse am Thema sind das A und O. Daneben braucht es tolle Kollegen. Ich arbeite an der Fachstelle mit super Leuten zusammen, die mich täglich inspirieren, motivieren und unterstutzen. Und ab und zu braucht es gedanklichen Freiraum.
Wo finden Sie diesen?
Definitiv nicht im Büroalltag. Nur Kopfarbeit ist gar nichts für mich. Ich brauche unbedingt den sportlichen Ausgleich: Jogging und Rennvelofahren bringen mich auf neue Ideen. Und wenn ich einfach mal an nichts denken möchte, nähe ich (lacht). Nähen ist sozusagen mein Yoga, da kann ich prima abschalten.
Und Zukunftspläne schmieden?
Eigentlich nicht. Mein nächster Meilenstein ist meine Doktorarbeit. Ich hoffe, dass ich sie spätestens 2018 abschliessen kann. Je nach Ergebnissen lasst sich vielleicht etwas daraus entwickeln, zum Beispiel eine App oder ein Ernährungstool. Darüber hinaus habe ich im Moment keine Pläne und bin ganz offen.