Hybride beackern die Städte – Trend Urban Farming

Ein Beitrag von Marilena Palmisano und Christian Wohler, beide wissenschaftliche Mitarbeitende am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (Zentrum Hortikultur, Fachstelle Spezialkulturen) und Verena Berger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Marketing Management:

Es vergeht kaum ein Tag ohne dass uns die Medien an den avancierenden Megatrend Urban Farming erinnern. Zurzeit gärtnert jeder ein bisschen, ob in den Genossenschaften Ortoloco, Agrico, Dunkelhölzli, Stadtlandnetz, Wädichörbli oder einfach vor der eigenen Haustüre – «meh Dräck» ist angesagt.

www.urbangardensweb.com


Urban Farming
oder Urban Gardening ist IN. Der Städter von heute fährt nach dem Feierabend auf das genossenschaftlich organisierte Ackerfeld oder den Gemeinschaftsgarten und jätet bis er müde und zufrieden ist. Der Biss in seine selbst angebaute Tomate lässt jeden Schmerz vergessen und sie gibt ihm Recht – das heiss begehrte Feierabendbier weicht dem „grünen Work-out“.

Früher traf man sich noch im eigenen oder in Nachbars Garten, heute organisiert man sich in urbanen Farmen zum gemeinschaftlichen Gärtnern – grüne Oasen inmitten der urbanen Hektik. Sich selbst zu versorgen steht nicht im Vordergrund, viel mehr möchte der urbane Farmer mit Gleichgesinnten etwas gesundes, naturnahes, frisches, ökologisches säen, die Zöglinge hegen und pflegen und sie schliesslich verkosten.

Was treibt so viele Städter plötzlich auf das Feld? Medienberichte über Label und deren Schwindel verwirren und verunsichern die Konsumenten zunehmend. Einkaufen beim Grossverteiler oder Detaillisten ist daher für einige nur noch eine Alternative. Back to the roots – sich mit den essentiellen Dingen des Lebens – der Nahrung – zu beschäftigen, scheint wieder IN zu sein.

Was heisst dieser Trend eigentlich für das Ansehen Schweizer Landwirtschaft? Was sucht der freakige Stadt-Banker nach Feierabend? Den harten Alltag unserer Bauern oder die schöne heile Welt der Bauernromantik? Für viele ist der «Landwirt» doch eigentlich eine rural oder periurban[1] angesiedelte Spezies, die auf der roten Liste zu finden ist, häufig assoziiert mit den negativen Klischees des stinkenden, umweltverpestenden, tierquälerischen und subventionsfressenden Berufsstands.

Medienberichte lassen die Wahrheit nicht immer klar einordnen: «Ein 21.7 ha grosser Landwirtschaftsbetrieb kassiert ohne dass der Bauer einen Finger zu rühren hat CHF 22‘134.- an Flächenbeiträgen» (Zürichsee-Zeitung vom 13. August 2012). Unerhört! Die Realität zeigt jedoch, dass ein landwirtschaftliches Einkommen bei jährlich rund CHF 39‘000.- liegt[2]. Dafür darf der Bauer sieben Tage die Woche, min. 70h/ Woche arbeiten, ist dafür wohlbemerkt selbständig erwerbend – trägt also das betriebliche Risiko selbst. Er produziert nach strengen Richtlinien und wird engmaschig kontrolliert. Im besten Fall hat er einen Abnehmervertrag für seine Produkte und muss sich oftmals auf sogenannte «gute Geschäftsbeziehungen» verlassen. Verkauft er beispielsweise seine Karotten einem Abnehmer, werden Qualität und Preis erst bei der Auslagerung (Verkauf) bestimmt. Der Bauer trägt somit auch das Risiko der Lagerung, auf die er keinen Einfluss hat.

Während Urban Farming in der Schweiz noch der Freizeitgestaltung zugeordnet werden kann, ist Urban Farming für viele Bewohner von Grossstädten in Schwellen- und Drittweltländern der einzige «bezahlbare» Zugang zu Frischgemüse und Früchten.

Bei uns ist es vielleicht vielmehr der Aspekt der Bildung, der nicht zu unterschätzen ist. Urban Farming als eine der letzten Möglichkeiten städtisch aufwachsenden Kindern und Interessierten den direkten Bezug zur Nahrungsgewinnung zu vermitteln? Dabei darf gehofft werden, dass im Schulunterricht nicht nur über die negativen Gesichtspunkte der landwirtschaftlichen Produktion referiert wird wie beispielsweise synthetische Düngung, Pestizideinsatz, Treibhausgasemissionen wie CO2 und methanfurzende Kühe, die unserem Klima richtig einheizen, sondern auch über den Wasserverbrauch, die Herkunft und die Zusammensetzung von gärtnerischer Erde sowie die Schwermetallbelastung der Früchte und Gemüse durch die städtische Schadstoffbelastung. Die Berichterstattungen über den Megatrend Urban Farming blenden diese Aspekte noch aus.

Wer ist dieser Urban Farmer eigentlich? Der professionelle Urban Farmer – ein Hybrid durch und durch. Meist periurbaner Migrationshintergrund, tertiäres Bildungsniveau, grüner Background gepaart mit einem MBA und stets das trendige Business suchend. Er hat unter anderem das Ziel, ungenutzte Gebäudedachflächen in Städten für die Nahrungsmittelproduktion zu nutzen. So lassen sich z.B. mit «Aquaponic» – Systemen Gemüse und Fische in einem Kreislauf produzieren und das dort, wo es zubereitet und verzehrt wird. Natürlich ist an diesem System vor allem der Nährstoffkreislauf – und weniger die Fischhaltung in den Bottichen. Aber alles hat eben seinen Preis – auch lokal produziertes.

www.urbangardenmagazine.com

 

Eine kleine Anekdote – Erfahrungsbericht eines Urban Farmers

Das Wetter hat einige Kapriolen geschlagen und Nachbars nette Schnecke hat an meinen süssen Früchtchen geknabbert. Die kleinen Dellen schneide ich weg, beisse rein, trotzdem ein Hochgenuss! Beim Surfen im Internet stosse ich auf die Seite der Schweizerischen Qualitätsbestimmungen für Gemüse.

Salatgurken wie auch ich sie anbaue. Ich lese die «besonderen Bestimmungen» für den Handel. Ich bin erstaunt und gleichzeitig beschämt. Meine mit Passion gehegten Gurken kämen niemals in den Handel, sondern direkt auf den Kompost. Ich lese: «Maximale Krümmung von 10mm auf 10cm Länge der Gurke.» Ich frage mich, ob der gute Geschmack wohl in den steigenden Winkelgraden verloren geht? Mein Geschmackstest beweist – NEIN. Dann lese ich: «Kerne in der Gurke dürfen nicht entwickelt sein» und ich begreife, dass ich keine Ahnung vom Gärtnern, geschweige denn von der professionellen Gemüseproduktion habe. Ich weiss nicht wie man mit dem unberechenbaren Wetter, den zahlreichen Schädlingen und Nachbars Schnecken tonnenweise Qualiservice-gerechtes Gemüse produzieren kann und zusätzlich sollen die Gurken keine reifen Kernen haben, aber trotzdem reif und geschmackvoll sein…?!

Wie kommen solche Qualitätsbestimmungen eigentlich zu Stande? Habe ich wohl mit dem samstäglichen Einkauf dazu beigetragen? Wir hören von den Medien: 30% der Nahrung schmeissen wir weg; gleichzeitig hören wir von Dürre, Hunger etc. Wünschenswert wäre doch, dass Urban Farming die Schwierigkeiten der landwirtschaftlichen Arbeit aufzeigt, einen nachhaltigen Wertewandel der Konsumenten auslöst und zu einem beständigen Megatrend führt.

Was macht die ZHAW eigentlich in diesem Bereich?

Die Anekdote zeigt nur eine winzige Facette der Herausforderungen mit welchen die Schweizer Landwirte in der Realität konfrontiert sind. Verschiedene Forschungsinstitutionen versuchen darum der Landwirtschaft mit neuster Technologie Tools zur Verfügung zu stellen, welche helfen sollen das Risiko im Anbau zu minimieren. Leider gibt es wenige Tools, die sich in der Praxis durchsetzen konnten. Entweder sind diese zu wenig praxisorientiert oder generieren keine eindeutigen Resultate.

Als Mitglied einer Projektgruppe der ZHAW Life Science and Facility Management in Wädenswil versuchen wir mit molekularbiologischer Diagnostik, Krankheitserreger möglichst früh auf dem Feld zu erkennen und genau zu identifizieren. Das hilft dem Produzenten für die jeweilige Kultur die geeignete Massnahme (chemisch oder biologisch) zutreffen. Das Wissen über den genauen Krankheitserreger ist für den Entscheid unabdingbar. Das Ziel ist es, ein Tool zu Verfügung zu stellen, welches möglichst früh den Erreger erkennt, das Resultat in weniger als 15 Minuten generiert und die Analyse möglichst feldtauglich macht. Mehr zum Thema «Molekulare Diagnostik für den Umweltsektor» findet im Newsletter Transfer (1-2012, S. 8).

Für Informationen zum Projekt sowie Interessen an fachlicher oder finanzieller Kooperation: Marilena Palmisano (pama@zhaw.ch) und Christian Wohler (wolc@zhaw.ch)


[1] Hybrider Landschaftstyp, der aus urbanen und ländlichen, aber auch aus hybriden Elementen und Eigenschaften besteht. (Quelle: Antrop, M. (2000). Changing patterns in the urbanized countryside of Western Europe. Landsc. Ecol. 15, 3: 257–270

[2] Landwirtschaftliches Einkommen minus Zinsanspruch Eigenkapital je Familien-Jahresarbeitseinheiten. (Quelle: Bundesamt für Statistik [BFS]. (2011). Buchhaltungsergebnisse der landwirtschaftlichen Betriebe.)



4 Kommentare

  • kompliment an die verfasser dieses blogs, witz, ironie und harte fakten,… ich bin zwar kein stadtbanker, aber ich würde mich zu der beschriebenen “freakigen” gruppe stadtmenschen zählen, die meinen sie verstehen wie man sein gemüse selbst anbaut. Erst beim lesen dieses Artikels habe ich den link zu unserer bauernschaft gemacht. Mir ist bewusst geworden, wie abschätzig wir diese berufsgruppe behandeln obwohl sie unsere teller täglich füllen…Geschockt hat mich das einkommen und habe selbst nochmals recherchiert. leider habe ich keine besseren zahlen gefunden, unglaublich!!!

  • ich schliesse mich “wiederkehr” an, toller blog. ich kenne das urban farming vorallem aus dem ausland und sehe dort einen breiten nutzen wie im blog bereits diskutiert. dass nun in der schweiz brachliegende dachflächen zur nahrungsmittelproduktion genutzt werden sollen, finde ich grundsätzlich eine gute idee, nur frage ich mich ob das sinnvoll ist oder bloss eine kurzer trend. ich persönlich sehe mehr potential mit photovoltaik auf den dächern. zu bildungszwecken in städten finde ich das urban farming eine tolle und sinnvolle sache.

  • Danke für eure Beiträge! Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt. Hoffentlich mit mehr PV-Anlagen auf den Dächern und mehr Achtung vor der landwirtschaftlichen Arbeit.


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