Neuwahlen in Kenia: eine Sensation, die nichts ändert

1963 gegründet, ist Kenia noch ein äusserst junges Land und sein Versuch eine Demokratie zu bilden, bleibt vorerst einer. Stimmen aus dem Volk klagen über Korruption, Wahlmanipulation, Machtbegierden und Betrug der Präsidentschaftskandidaten. Nun wird zum ersten Mal in der Geschichte Afrikas die Präsidentschaftswahl wiederholt.

von Jessica Bischof, Studentin im BA Kommunikation (JO15), derzeit im Austauschsemster in Kenia

Es ist wie ausgestorben auf Nairobis Strassen. Morgens um acht Uhr fahre ich mit dem Auto über den Highway. Normalerweise ist um diese Zeit kein Durchkommen, denn die Autos verstopfen jeden Weg, zig Strassenverkäufer klopfen an die Autoscheiben und Arbeiter schnitzen Holzbetten direkt am Strassenrand. Es ist jedoch nicht nur dem starken Regen zu verdanken, dass die Kenianer keinen Fuss vor die Haustüre setzen. Heute und in den nächsten Tagen ist die Präsidentschaftswahl, welche zum ersten Mal in der Geschichte Afrikas wiederholt wird. Das Gericht hat den Wahlsieg des bisherigen Präsidenten im August für ungültig erklärt. Eine neue Situation für die Menschen hier, die auch alte Ängste hervorruft. Nach den Wahlen im Jahr 2007 verloren über tausend Menschen ihr Leben, nachdem die Situation in den Städten eskaliert ist. Um diese Ereignisse zu verstehen, muss man etwas in die Kultur der Kenianer einsehen.

Die Macht der Stämme
Dreiundvierzig. So viele verschiedene Stämme gibt es in Kenia. Die Einheimischen verstehen sich nicht einfach als Kenianer, sondern fühlen sich den Kikuyus, Luos, Samburus oder einer anderen Ethnie zugehörig. An dieser Stelle sollte man die Vorstellung von Feuertanz und Lendenschurz verwerfen. In Nairobi, der aufstrebenden Metropole Ostafrikas, ist der Stamm eher wie eine Partei anzusehen. Man wählt Personen, die aus dem gleichen Stamm sind, unabhängig von Inhalten.
Kenia wählt alle fünf Jahre einen neuen Präsidenten. Dabei entscheidet sich das Rennen in logischer Konsequenz zwischen den zwei bevölkerungsreichsten Stämmen. Aktuell ist Uhuru Kenyatta, ein Kikuyu, der amtierende Präsident. Das oberste Gericht hat seinen Wahlsieg vom August dieses Jahres jedoch wegen Unregelmässigkeiten und Rechtsverstössen aberkannt. Der Oppositionskandidat Raila Odinga hat den Sieg angefochten und Recht erhalten. Er gehört dem Stamm der Luo an. Der amtierende Präsident Kenyatta hat daraufhin gedroht, sämtliche Richter mit seinen eigenen Leuten zu ersetzen. Schnell überschlugen sich die Ereignisse, Gesetze wurden eingeführt, dann wieder aufgehoben. An verschiedenen Orten im Land gab es Ausschreitungen. Bereits vor den Wahlen im August wurde der stellvertretende Vorsitzende der Wahlkampfkommission ermordet. Die Bevölkerung lebt in der Angst vor Eskalationen. Im Grunde will jeder zur Normalität zurückkehren, denn die wirtschaftlichen Tätigkeiten stehen seit August still. Investoren halten sich aufgrund der instabilen Verhältnisse zurück.

Die Einschätzung der Einheimischen
Ich habe mit vielen Einheimischen lange über die Situation des Landes gesprochen. Die Meinungen, was nach den Neuwahlen kommt, sind gespalten. Die einen denken, es wird gar nichts passieren, die anderen haben Angst vor einem Bürgerkrieg. Ein Kenianer sagte mir sogar, die beiden Kandidaten seien, grob übersetzt, wie die Pest oder Cholera. Es gehe in der Politik längst nicht mehr darum, das junge Land voranzubringen, sondern den eigenen Stamm an der Spitze zu sehen. Egal wer die Wahl gewinne, der Präsident werde das Land ausnehmen, noch reicher werden, während die Armen, und das ist doch die bedeutende Mehrheit dieses Landes, noch ärmer gemacht würden.

Etwa zwei Wochen vor den jetzigen Wahlen, hat der Oppositionskandidat Raila Odinga seine Wähler zum Boykott aufgerufen und verkündet, er werde nicht an den Neuwahlen teilnehmen. Er wirft Kenyatta vor, eine Diktatur aufzubauen. Die Abstimmung sei nicht glaubwürdig, weil es keine Wahlreform gegeben habe.

Die Berichterstattung in den Europäischen Medien
Inzwischen zeigt sich nach intensiven Regenfällen wieder die Sonne. Auf Rat meiner kenianischen Vermieterin habe ich viele Vorräte eingekauft, denn die Läden bleiben die nächsten Tage geschlossen. Die Schweizerische Botschaft weiss, wo sie mich im Falle einer Evakuation abholen müsste. Via Internet verfolge ich die Wahlen mit. Interessanterweise beziehe ich meine Infos ausschliesslich von Twitter, britischen und deutschen Newsplattformen, denn die Schweizer Medien scheinen die Wahlen nicht aufzugreifen. Von den lokalen Nachrichtenagenturen erhalte ich eher sehr einseitige Sichtweisen. Was aber alle Quellen bestätigen, ist, dass es Ausschreitungen zwischen der Polizei und Oppositionsanhängern in Kibera gab. Dies ist einer der grössten Slums Afrikas. Gemäss Berichten soll es drei Tote gegeben haben. Stimmzettel seien verbrannt und Wahllokale gestürmt worden. Eine kenianische Freundin schreibt mir, dass Kenyatta wiedergewählt werden wird. Dies wäre keine Überraschung, da der Stamm der Kikuyu der grösste im Land ist. Der Luo Raila Odinga hat den zu erwartenden Sieg seines Gegners auch bereits kommentiert.Nachdem er seine Kandidatur zurückgezogen hat, verkündete er, Kenyatta werde ein Prädisent ohne Wahl sein.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Kenia wohl noch einen langen Weg vor sich hat, um eine demokratisch gewählte Regierung zu bilden. Und dies wird nicht zuletzt von der jetzigen Spitze selbst verhindert.


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