Die Macht der Gemeinschaft

Das Crowdfunding zur Finanzierung des Grundeinkommens im Projekt “Dorf testet Zukunft” läuft schon ein Weilchen, ist aber nicht besonders erfolgreich. Bis jetzt ist nur ein Bruchteil der 6 Millionen zusammengekommen, die es braucht, damit der Grundeinkommensversuch starten kann. Bei vielen kommen erste Zweifel auf, ob sich der Aufwand des Projektteams und der Gemeinde Rheinau überhaupt gelohnt hat. Ich finde: unbedingt. Und zwar unabhängig davon, wie viel Geld schlussendlich zusammenkommt.

Von Prof. Dr. Aleksandra Gnach, IAM-Professorin für Medienlinguistik mit Schwerpunkt Social Media

Das Projekt ist verrückt, utopisch und nicht aussagekräftig sagen die einen. Andere – dazu gehört ein Grossteil der Rheinauerinnen – finden es zukunftsweisend und umsetzbar. Einig sind sich alle in einem Punkt: das Projekt ist aussergewöhnlich. Finde ich nicht. Für mich ist es vor allem eins: so schweizerisch wie ein Projekt nur sein kann.

Unser interdisziplinäres Forschungsteam begleitet die Vorbereitungen zum Projekt seit dem Anfang. Wir waren dabei, als es in Rheinau angekündigt wurde und nahmen auch an der legendären Gemeindeversammlung vom 31. August teil, wo das Projektteam unter grossem Medienecho seine Vision der Bevölkerung erklärt hat. Wir haben mitgejubelt, als die Mehrheit der RheinauerInnen sich zum Mitmachen entschieden hat und jetzt fiebern wir mit beim Crowdfunding.

Abstrakten Konzepten Leben einhauchen

Das Projekt “Dorf testet Zukunft” zeigt sehr anschaulich, wie sich das politische System der der Schweiz auf unsere Realität auswirkt, was Föderalismus möglich macht und wie viel Kraft und Potenzial in Gemeinschaften liegt. Es ist faszinierend zu sehen, wie ein Gemeinderat entspannt und ganz natürlich Revolutionäres wagt, zu beobachten, wie die Diskussionen in der Gemeinde verlaufen, online und offline – an der Gemeindeversammlung, in der Gartenbeiz und im Whatsapp-Chat. Sichtbar wird, wie sich Meinungen bilden und wandeln, wie ein abstraktes Konzept wie das Grundeinkommen beim Reden und Schreiben darüber Gestalt annimmt. Und wie die konkrete Auseinandersetzung mit dem Thema durch Medienberichterstattung und Social Media weit über die Gemeindegrenzen hinaus in den öffentlichen Diskurs überschwappt.

Community Communication beeinflusst unsere Realität

Genau das finde ich spannend aus Perspektive der Medienlinguistik. In meiner Forschung untersuche ich das Zusammenspiel von digitaler Kommunikation, öffentlichen Diskursen und sozialer Realität. Ganz besonders interessiert mich, wie sich die Kommunikation von Gemeinschaften auf die Wahrnehmung und die Gestaltung unserer Welt auswirkt und wie Gemeinschaften bestimmten Phänomenen – wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen – Bedeutungen zuweisen im Zusammenspiel von offline und online Kommunikation. Das ist deshalb relevant, weil unser Massenmediensystem durch die Social-Media-Kommunikation ergänzt und mit ihr verknüpft wird. Die öffentliche Meinung wird stärker denn je geprägt von Meinungen, die Diskussionen von Gemeinschaften entstehen. In klassischen Gemeinschaften, wie ein Dorf, oder in virtuellen, wie das weltumspannende Netzwerk der Grundeinkommens-BefürworterInnen.

Es bleibt spannend

Die Fragen der Rheinauer und Rheinauerinnen und der Anmeldeprozess für die Teilnahme veranschaulichen, wie viele Berührungspunkte das Projekt mit bestehenden Systemen hat. Sind Alimente ein Einkommen? Ist es fair, dass die Ehefrau eines gutverdienenden Mannes Anspruch auf 2’500 CHF hat? Sollen Asylsuchende, die in Rheinau angemeldet sind, auch Anspruch auf ein Grundeinkommen haben? Falls ja, müssen sie dann die normalerweise subventionierten Deutschkurse selber bezahlen? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen, die vielen Gespräche und Diskussionen im Dorf verändern die Einwohner, jede/n einzelne/n von ihnen und auch die Gemeinschaft als Ganzes. Rheinau wird nie mehr sein wie vorher. Allein deshalb hat sich der Aufwand gelohnt. Und das Tüpfelchen auf dem i ist die Tatsache, dass man schon aufgrund der bisherigen Diskurse gesellschaftlichen Wandel mit Daten illustrieren kann. Abzuwarten bleibt, ob die Macht der Gemeinschaft auch beim Crowdfunding spielen wird. Wir sind gespannt.


Mehr zum Thema:


Mehr von dieser Autorin: Aleksandra Gnach


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert