Der SRF-Journalist und IAM-Dozent Pascal Nufer und die IAM-Dozentin und Moderatorin Claudia Sedioli im Gespräch.

Der Krieg in der Ukraine und die Medien

Fake News und Bildethik: Verzerren Narrative in unseren Köpfen unseren Blick auf die Welt? In einer Diskussionsrunde des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) suchten Studierende gemeinsam mit Dozierenden und externen Fachexpert:innen nach Antworten auf diese und weitere Fragen.

Autorin: Isabel Gajardo, Studentin Bachelor Kommunikation und Mitglied der Studi-Redaktion*

Es ist Mittagszeit, trotzdem ist der Hörsaal im ersten Stock des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW zum Bersten voll. Studierende, Dozierende und Mitarbeitende sind zu einer Diskussionsrunde zur «Rolle der Medien im Ukrainekrieg und den damit verbundenen Schwierigkeiten» zusammengekommen. Claudia Sedioli und Guido Keel, beides Dozent:innen im Bachelorstudiengang Kommunikation, moderieren die Diskussion. Pascal Nufer, SRF Journalist und IAM-Dozent, und Anastasiia Grynko, ukrainische Medienwissenschaftlerin, geben einen Einblick in ihr Berufsleben und stehen Rede und Antwort.

Auch ich konnte gerade noch einen letzten Sitzplatz ergattern. In einem Jahr werde ich den Bachelorstudiengang Kommunikation abschliessen und in den Journalismus einsteigen. Deshalb interessiert mich die Veranstaltung brennend. Und ich werde nicht enttäuscht. Während 90 Minuten tut sich mir ein ganzer Kosmos an journalistischen Dilemmata auf. Einige Aspekte beschäftigen mich besonders stark, insbesondere die Frage, wie vertrauenswürdig Bildquellen eigentlich sind.

Ein Krieg der Bilder

«Zurzeit kommt täglich eine Unmenge an Bildern in die Redaktion, von denen nicht bekannt ist, wann und wo sie aufgenommen wurden», erzählt Pascal Nufer, SRF-Journalist und ebenfalls Dozent im Bachelorstudiengang Kommunikation. «Meine Hauptarbeit besteht deshalb darin, das Bildmaterial zu verifizieren und herauszufinden, was aktuell und neu ist und was schon vor Tagen oder Wochen entstanden ist.» SRF hat zur Unterstützung der Journalist:innenein ein eigenes Faktencheck-Team, das über Instrumente verfügt, mit denen es Videos beispielsweise auf Geotags überprüfen kann. Geotags sind Meta-Elemente, die über die geographische Position von Medien, wie Fotos, Videos oder Webseiten informieren.

Eine Gratwanderung: Welche Bilder dürfen gezeigt werden?

Eine andere Diskussion betrifft die Bildethik: Welche Bilder dürfen gezeigt werden, welche nicht? «Es gehe darum, zu zeigen, was wirklich passiert. Dabei gibt es eine starke Diskrepanz zwischen Service-Public- und sozialen Medien», sagt Pascal Nufer. «Service-Public-Sender Sender haben eine Vorbildfunktion. Sie dürfen nicht alles zeigen, auch wenn auf den sozialen Medien ganz andere Dinge zu sehen sind.» So zeigt das SRF beispielsweise keine abgetrennten Gliedmassen, keine Nahaufnahmen von Toten und auch keine Gesichter von Toten, um deren Persönlichkeitsschutz und Menschenwürde zu wahren. Wird einmal eine Nahaufnahme gemacht so wählen die Kameraleute den Ausschnitt so klein, dass er abstrakt bleibt und die Person nicht erkennbar ist.

Smartphones verändern die Bildwelt aber tiefgreifend. Viele Leute würden einfach drauf los filmen und Szenen auf den sozialen Medien zeigen, die Profijournalist:innen nie zeigen würden. «Besonders Menschen, die unter Schock stehen und gerade Schreckliches durchlebt haben, überlegen nicht, sondern halten die Kamera einfach drauf», sagt Nufer. Daher ist die Bildauswahl für die Journalist:innen in den Redaktionen sehr viel belastender geworden. Gerade dieser Aspekt beschäftigt mich als angehende Journalistin stark. Wie werde ich damit umgehen, wenn ich einmal Kriegsbilder sichten muss? Wird es mich auch nach dem fünfhundertsten abgerissenen Bein noch treffen, oder werde ich irgendwann so abgestumpft sein, dass mich jedes Bild kalt lässt? Und wenn es so wäre, wie würde das meine Entscheidungen als Journalistin beeinflussen?

Fake News entlarven

Anastasiia Grynko ist gebürtige Ukrainerin und lebt seit einigen Jahren in der Schweiz. Sie ist Journalistin und Dozentin mit dem Spezialgebiet Medientransparenz. Mit Fake News kennt sie sich aus. «Es ist wichtig, die Absicht herauszufinden, die hinter einer Information erkennbar ist. Wer hat die Nachricht verbreitet und welches Narrativ liegt ihr zugrunde?» erklärt Grynko ihr Vorgehen. Und Pascal Nufer ergänzt: «Wir als Journalist:innen müssen die die Narrative kennen und sie entsprechend einordnen können. Dies gilt nicht nur während Kriegen. Auch bei Berichterstattung aus anderen Kulturen oder aus autoritären Systemen spielt dieser Aspekt eine grosse Rolle.» Nufer zieht als Beispiel seine Zeit als Korrespondent in China heran. «Den zweiten Weltkrieg zum Beispiel, gibt es in China so nicht. Er heisst Chinesisch-Japanischer-Krieg, hat andere Anfangs- und Enddaten und andere Ursachen.»

Wieder einmal wird mir bewusst, wie stark wir von einer bestimmten Weltsicht geprägt werden, die uns den Blick auf viele andere Perspektiven und schlussendlich auch auf die Fakten versperren kann. Und wie wichtig es ist, sich dessen bewusst zu sein.

Der SRF Journalist und IAM-Dozent Pascal Nufer, die IAM Dozentin und Moderatorin Claudia Sedioli und die ukrainische Medienwissenschaftlerin Anastasiia Grynko.
Der SRF Journalist und IAM-Dozent Pascal Nufer, die Moderatorin und IAM-Dozentin Claudia Sedioli und die ukrainische Medienwissenschaftlerin Anastasiia Grynko im Gespräch.

Emotionen beeinflussen die Wahrnehmung

Fake News sind laut Grynko oftmals sehr emotionalisiert. Denn Emotionen behindern das kritische Denken und lassen die falsche Nachricht als glaubwürdig erscheinen. «Ausserdem ist es wichtig, darauf zu achten, welches Wirkungspotenzial Informationen haben. Wie wirkt die Nachricht langfristig und welche Bilder kann sie erzeugen?», sagt Grynko. Sie empfiehlt, Autoren und Quellen jeweils direkt zu kontaktieren. Auf diese Weise finde man heraus, wer tatsächlich dahinterstecke. Ausserdem rät sie dazu, Social-Media-Profile zu verifizieren. «Gefälschte Profile sind ein beliebtes Instrument für Desinformation.» Zudem müssen unbedingt Meinungen und Behauptungen von Fakten unterschieden werden. Grynko streicht immer wieder heraus, dass Journalist:innen in die Tiefe gehen müssen, um die Narrative hinter den Informationen zu erkennen. Das beinhalte auch, sich mit den Begriffen auseinanderzusetzen, die verwendet werden. Spricht eine Regierung z.B. von «Krieg», von einer «Invasion» oder von einer «Spezialoperation»?

Sich nicht vor den Propaganda-Karren spannen lassen

Biete ich Fake News nicht erst recht eine Plattform, wenn ich sie als Journalistin aufgreife? Guido Keel, Professor für Media Literacy: «Das ist ein nicht lösbares Dilemma von Journalist:innen, die durch Fake News gezwungen werden, reaktiv zu agieren. Egal wie absurd eine Behauptung ist, die Journalist:innen müssen zunächst darauf eingehen, um sie zu widerlegen.» Pascal Nufer pflichtet dem bei. Die beste Reaktion auf solche Kommunikationstaktiken sei aber, sie aktiv zu benennen. «Gerade darum ist es wichtig, sich immer wieder zu fragen, wo ich mich vor einen Karren spannen lasse.» In diesen Fällen sei es hilfreich, auch einmal eine Meta-Geschichte zu machen und so Kommunikationsagenden und -muster zu entlarven.

Gleichzeitig dürfen aber bei aller Faktentreue und dem Streben nach einer ausgewogenen Berichterstattung grundlegende Werte nicht verloren gehen. «Lügt eine Auskunftsperson ständig, oder verletzt sie grundlegendste Menschenrechte, ist es eine falsche Ausgewogenheit, ihr trotzdem gleich viel Redezeit in Berichten einzuräumen, wie der Gegenseite. Es gibt rote Linien», sagt Nufer. Darum müssen Journalist:innen auch eine Haltung haben und entsprechend nicht einfach jede Information unkritisch wiedergeben.

IAM-Studierende hören der Dikussion zu.
IAM-Studierende an der Mittagsveranstaltung zur «Rolle der Medien im Ukrainekrieg und den damit verbundenen Schwierigkeiten».

Die ukrainische Medienwissenschaftlerin Anastasiia Grynko und Guido Keel, Professor für Media Literacy.
Die ukrainische Medienwissenschaftlerin Anastasiia Grynko und Guido Keel, Professor für Media Literacy, im Gespräch.

Rollenkonflikte in der Kriegsberichterstattung

«Wenn man in einem Krisengebiet unterwegs ist, die Situation hautnah miterlebt und selbst Angst hat, ist es sehr schwierig, zwischen Fakten und persönlichen Gefühlen zu unterscheiden. Man ist schnell Teil des Konflikts und kein Beobachter mehr.», sagt Nufer. In dieser Situation nicht in schwarz-weiss Schemata zu verfallen, sei eine grosse Herausforderung. «Bei jedem Konflikt, oder auch bei jeder Naturkatastrophe kommt ausserdem der Moment, wo ich mich frage, was ich hier eigentlich tue. Soll ich diese emotionale Geschichte wirklich machen? Ich sollte doch besser den Menschen in Not helfen», sagt Nufer. Das sei der Dauerclinch von Journalist:innen, fügt Keel hinzu, denn gleichzeitig sei es die Aufgabe der Journalist:innen , menschliches Leid fassbar zu machen und das funktioniere nur über Geschichten, die Emotionen wecken.

Ganz zum Schluss der Diskussionsrunde gibt uns Anastasiia Grynko noch einen letzten Ratschlag mit auf den Weg: Macht Pausen! Insbesondere in emotional aufgeladenen Situationen wie Kriegen, brauche man zwischendurch einfach eine Verschnaufpause. «Wenn wir zu viele News konsumieren, verlieren wir die Distanz und damit auch die Fähigkeit, die Informationen kritisch zu hinterfragen.»

Ich nehme mir den Ratschlag zu Herzen, denn als Newsjunkie scrolle ich viel zu oft durch Newsportale. Die Diskussionsrunde hallt bei mir noch lange nach. Auch wenn viele Fragen nicht abschliessend beantwortet werden konnten, und an einer darauffolgenden Veranstaltung später aufgegriffen wurden, habe ich in diesen kurzen neunzig Minuten unheimlich viel über meine Rolle als zukünftige Journalistin gelernt. Ich habe sehr plastisch vor Augen geführt bekommen, welche Fragen sich mir als Journalistin später im Berufsleben stellen werden und dass meine Haltung dazu und mein journalistisches Selbstverständnis konkrete Auswirkungen auf meine Arbeit und auf mein Publikum haben werden.

Die Studentin Isabel Gajardo und die ukrainische Medienwissenschaftlerin Anastasiia Grynko.
Die Studentin und Autorin dieses Beitrags Isabel Gajardo und die ukrainische Medienwissenschaftlerin Anastasiia Grynko.

*Die Studi-Redaktion

In der Studi-Redaktion produzieren Studierende im Bachelorstudiengang Kommunikation multimediale Beiträge für die Kommunikationskanäle des Departements Angewandte Linguistik der ZHAW. Sie sind in dieser Rolle Teil des departementalen Kommunikationsteams, bringen erworbene Kompetenzen aus dem Studium ein und lernen dabei die Redaktionsabläufe in einem Corporate Newsroom kennen.


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