Der VUCA Hype – Nichts Neues für Gesundheitsfachpersonen?

Von PD Dr. Florian Liberatore

Der VUCA-Hype hat nun auch das Gesundheitswesen erfasst, nachdem dieser Begriff in verschiedensten Branchen zur Management-Herausforderung Nr. 1 hochstilisiert worden ist. VUCA steht für die Volatilität (volatility), Unsicherheit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Ambiguität (ambiguity) und drückt aus, mit welchen Umweltbedingungen Unternehmen bereits heute und in zunehmenden Masse künftig konfrontiert sind und daher an neuen Management-Lösungen arbeiten müssen.

VUCA als Gesundheitsfachperson noch nie gehört? – Kein Problem.

VUCA ist nur ein neues cooles Wort, für etwas, mit dem Sie bereits jeden Tag konfrontiert sind und jetzt endlich in Worte fassen können. Die inhaltlichen Herausforderungen von VUCA und der Umgang damit fällt Gesundheitsfachpersonen nämlich leicht, da es schon immer zum Berufsalltag gehört hat. Nur das man das bislang nicht mit dem Begriff VUCA bezeichnet hat.  Zur Veranschaulichung habe ich hier mal typische VUCA-Herausforderungen aufgelistet, mit denen Gesundheitsfachpersonen zu tun haben.

  • Volatilität: Volatile Tagesstrukturen gehören zum Alltag jeder Gesundheitsfachperson mit stark schwankenden Ressourcenbedarfen und patientenseitigen Bedarfen in Bezug auf Anzahl Fälle und Versorgungsbedarf.
  • Unsicherheit: Unsicherheiten über den Therapieerfolg sind nicht zu vermeiden. Ständige Änderungen bei Tarifsystemen und Erstattungsregelungen müssen beachtet werden.
  • Komplexität: Bei der Behandlung von Patienten ist man mit komplexen Systemen durch interprofessionelles Arbeiten, mehrstufige Versorgungsstrukturen und komplexe Patientenfälle konfrontiert.
  • Ambiguität: Nicht eindeutige Diagnose- und Therapieergebnisse und Behandlungsmuster mit konfliktären Wirkungen auf Outcomes lassen nicht immer schnelle und einfache Schlussfolgerungen zu.

Und wie sieht es mit den Managern im Gesundheitswesen aus? 

Managern im Gesundheitswesen – ich nehme mich als Autor des Blogbeitrags und jahrelanger Berater im Management im Gesundheitswesen nicht aus sind solche Tatbestände in einem Unternehmen fachbedingt häufig ein Ausdruck mangelnder Managementstrukturen. Wir sind es gewöhnt über strategische Überlegungen, prognostische Systeme, operative lineare Organisations- und Prozessstrukturen sowie einem steuernden Anreiz- und Kennzahlensystem ein Unternehmen im Griff zu behalten, damit die Unternehmensziele zu erreichen und VUCA zu verhindern.

Dabei handelt es sich jedoch meines Erachtens um einen Denkfehler. Die Idee durch die Übertragung klassischer Managementmethoden aus der Industrie das Gesundheitswesen effizienter und effektiver zu machen, ist richtig und wichtig, nur sollte bei der Übertragung mehr ein Systemdenken zum Tragen kommen, was den VUCA-Herausforderungen Rechnung trägt statt sie zu verhindern.

Genau dies kann eine Ursache sein, warum es zu Konflikten mit Gesundheitsfachpersonen, wie Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten, bei Transformationsprojekten kommen kann. Schlecht umgesetzte Transformationsprojekte pressen Gesundheitsfachpersonen in Strukturen, die ihre bestehenden informellen Lösungswege zum Umgang mit VUCA, also zum Beispiel den Umgang mit komplexen Fällen nicht aufgreifen, ja sogar behindern, anstatt ihnen mit Management-Know How nützliche Konzepte und Tools für informellen Prozesse und Strukturen zu bieten.

Heisst das, dass Gesundheitsfachpersonen bereits mit VUCA richtig umgehen und nur die Manager Nachholbedarf haben?

Nein, so würde ich es auch nicht stehen lassen. Es ist so: Beide Berufsgruppen können beim Umgang mit VUCA voneinander profitieren. Die Gesundheitsfachpersonen arbeiten nach VUCA-Prinzipien, aber in Systemen informeller Absprachen und Koordinierungen, ohne ihr Denken in Hierarchien, Kliniken und Berufsgruppen aufzugeben. Die Manager können aus diesen informellen Systemen standardisierte Prozesse und Strukturen entwickeln, die die Gesundheitsversorgung zur Systemleistung macht und den Patienten nicht nur auf dem Paper ins Zentrum der Wertschöpfung setzt.

Was sind denn konkrete Massnahmen, um mit VUCA im Gesundheitswesen umzugehen?

Agilität ist natürlich das Schlagwort als Antwort auf VUCA – das liest man ja in jeder Hochglanzbroschüre von Beratungsunternehmen. Aber was bedeutet Agilität denn konkret und übertragen auf das Gesundheitswesen? Ich möchte hier mal drei entscheidende Hebel herausstellen:

  1. Flexibilisierung von Ressourcen: Personalressourcen, wie z.B. Pflegekräfte und Ärzte, genauso wie Infrastruktur-Ressourcen (Betten, OP-Kapazitäten, Geräte-Kapazitäten) dürfen nicht mehr an Organisationseinheiten, wie einzelne Abteilungen, Kliniken oder Spitäler gebunden sein, sondern müssen als Pool-Ressourcen dort verfügbar sein, wo gerade hohe Ressourcenbedarfe vorhanden sind.
  2. Organisationales Lernen als Grundlage für Optimierungsbedarfe: Statt überladene Hierarchie-Strukturen und Matrix-Organisationen zu bauen, die vor allem Silodenken und Besitzstandswahrung fördern, sollte konsequent über organisationales Lernen an Strukturen gearbeitet werden, mit denen die Ressourcen um die wertschöpfende Tätigkeit, nämlich die Versorgung von Patienten, herumgebaut werden. Die Nutzung von Patient-reported Outcomes (PROMs), z.B. in Form von Patienten-Narrativen, können eine wertvolle Informationsgrundlage bieten.
  3. Reduktion des Managements auf Support-Funktion: Statt über Kennzahlen und Eingriffe in noch so kleinste Teilprozesse in der Leistungserbringung sollte sich das Management auf die Vorgabe globaler Kennzahlen zurückziehen und den Organisationseinheiten ein Höchstmass an Autonomie gestatten, wie es beispielsweise in Burzoog-Modellen in der Spitex bereits ausprobiert wird. So könnte das Selbstorganisationspotential der Gesundheitsfachpersonen optimal genutzt werden und ein Denken in Systemen gefördert werden, da man gemeinsam, interprofessionell für den Erfolg einer Organisationseinheit verantwortlich ist. Dem Lösungspotential von Gesundheitsfachpersonen über informelle Strukturen sollte weiter Rechnung getragen werden, indem diese Strukturen und Prozesse in besonders gut laufenden Abteilungen, Kliniken analysiert, institutionalisiert und als Best Practices anderen Organisationseinheiten zugänglich gemacht werden. Daneben würde das Management als Dienstleister Beratung und unterstützende Tools bieten, falls dies von den selbstorganisierten Teams gewünscht ist.

Das soll die Lösung gewesen sein auf die Herausforderung Nr. 1?

Natürlich nicht, es sollen nur erste Denkanstösse sein. Wir stehen beim Thema VUCA noch ganz am Anfang. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass von der VUCA-Debatte das Management im Gesundheitswesen profitieren kann, da es vertraute Themen von Gesundheitsfachpersonen aufgreifen und die Management-Systeme daran anpassen kann. So kann die Debatte dazu führen, dass auf Agilität beruhende Management-Systeme, wie das Lean Management und Design Thinking, noch mehr Akzeptanz finden und gleichzeitig nicht mit der Zielsetzung der Prozessoptimierung, sondern zur Steigerung der Flexibilität und Aufbau einer Systemleistung in der Gesundheitsversorgung verstanden werden. Für uns als Fachstelle «Management im Gesundheitswesens» des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie sind Agilität und Lean Management erfolgreiche Konzepte mit VUCA umzugehen, die wir in Praxisprojekten erfolgreich umsetzen.

Ich möchte mehr über das Thema VUCA im Gesundheitswesen und den Umgang damit erfahren?

Warum Gesundheitsfachpersonen besser mit VUCA zurechtkommen, welche VUCA-Herausforderungen auf das Gesundheitswesen zu kommen und welche einfachen Konzepte und Tools es gibt, für mehr Agilität, können Sie in unserem CAS Kurs Koordinierte Versorgung im Gesundheitswesen erfahren.

PD Dr. Florian Liberatore ist Dozent, Projektleiter und Stellv. der Fachstelle Management im Gesundheitswesen am WIG.

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