Von Dr. Jesse Bächler
Nachdem in der Schweiz Ende 2021 die Abstimmung über das Covid-Gesetz erfolgt war, gab es für einen kurzen Zeitpunkt viele Kampagnen von Schweizer Marken, die zur Impfung aufriefen. Im Vorfeld hatte die Agentur antoni aus Deutschland bereits in einer mehrwelligen Mega-Kampagne an die 1000 Marken dazu gebracht, ihre Taglines und Claims in eine impfbefürwortende Botschaft umzuformulieren.
Diese plötzliche Aktivität ist zum einen deswegen bemerkenswert, weil die Pandemie zu dem Zeitpunkt bereits an die zwei Jahre dauerte und sich die Marken bis dahin weitestgehend aus der öffentlichen Debatte herausgehalten hatten. Zum anderen ist sie bemerkenswert, weil gesellschaftliches Engagement von Unternehmen/Marken in der Regel über Corporate-Social-Responsibility-Massnahmen (CSR) stattfindet und dabei allgemein akzeptierte Werte fördert, z.B. Flussläufe reinigen, Bäume pflanzen, Spielplätze bauen, Events sponsoren etc. In der Impffrage hingegen war das Land tief gespalten; hier eine klare Haltung einzunehmen, bedeutete ein erhebliches Reputationsrisiko in Kauf zu nehmen. Welche kompetitiven Chancen könnten die Marken dazu bewogen haben, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen?
Brand Activism als Differenzierungsstrategie
Für Marken sind wichtige strategische Ziele, dass sie möglichst breit bekannt sind und positiv wahrgenommen werden, aber sich auch deutlich von anderen Marken unterscheiden, also nicht verwechsel- oder gar austauschbar sind. Eine Differenzierungsstrategie, die seit einigen Jahren diskutiert und untersucht wird, heisst “brand activism”, also Marken-Aktivismus. Aktivistische Marken wollen sich mit ihrem Engagement von der Konkurrenz absetzen und besetzen dazu in einem möglichst kontroversen Feld eine klare Position. Das aktuell wohl bekannteste Beispiel von Marken-Aktivismus ist Nikes Kampagne “Believe in Something“, die sich gegen Polizeigewalt aussprach und deren Gesicht American-Football-Spieler Colin Caepernik war.
Was hat nun also der Impfaktivismus den Marken in der Schweiz gebracht? Um dieser Frage nachzugehen, wurde Ende 2021 eine Online-Befragung zum Thema «Marken-Aktivismus» durchgeführt.
Welche Marken erhielten erinnerungswürdige Aufmerksamkeit?
Jede befragte Person konnte maximal drei Marken nennen, die ihr zur Impfthematik aufgefallen waren. Dabei kamen 125 verschiedene Angaben zusammen, wovon 97 eindeutig auf Marken entfielen. Die übrigen Angaben betrafen politische Institutionen (z.B. “Bund”), öffentliche Gesundheitsdienstleister (z.B. “Apotheken”), allgemeine Branchen (z.B. “Sportzentren”) sowie einen kleinen Rest Einzelnennungen.
Für alle erinnerten Marken war die Impfkampagne insofern schon einmal ein Erfolg, dass sie Awareness und Wiedererkennung generiert haben. Damit wurden die assoziativen Netzwerke in den Köpfen der Konsumentinnen und Konsumenten aktiviert und gestärkt, die Marken insgesamt salienter gemacht. Weil das Gehirn neue Information nur an bestehendes Wissen anknüpfen kann, haben punkto Aufmerksamkeit wahrscheinlich jene Marken besonders profitiert, die in der Bevölkerung breit bekannt und in den einzelnen Köpfen breit vernetzt sind. Die vom befragten Sample ungestützt erinnerten Marken zeigt, wie das Impfthema über eine riesige Bandbreite von Branchen genutzt wurde, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Wurde der Impfaktivismus der Marken positiv wahrgenommen?
Auch wenn für die Marken-Salienz “all news is good news” gilt, streben Marken danach, dass sie mit ihren Aktionen im Markt positiv wahrgenommen werden und Goodwill schaffen. Die öffentlichkeitswirksame Impfaufforderung der Marken wurde insgesamt als legitim, angemessen und notwendig wahrgenommen. Die Befragten fanden den Aktivismus darüber hinaus eher mutig, hilfreich und glaubwürdig – ja sogar bereichernd und authentisch.
Der Aktivismus stiess durchwegs auf Wohlwollen, und auch die Umsetzungen bewegten sich im Rahmen des Akzeptablen. Das Engagement für die öffentliche Gesundheit erschien den Befragten nicht ausgeprägt authentisch, dennoch wurden die Kampagnen nicht als Opportunismus disqualifiziert.
Half der Impfaktivismus der Marken-Differenzierung?
Obwohl der Aktivismus an sich positiv wahrgenommen wurde, gelang es den Marken damit nicht gut genug, sich mit einem Statement zu positionieren und von der Konkurrenz abzuheben: In der Wahrnehmung der Befragten waren die Kampagnen eher «austauschbar» und «nichtssagend». Offenbleiben muss die Vermutung, dass die erste Welle an Marken den Aktivismus zu ihrem Vorteil nutzen konnten, die weniger «mutigen» Marken jedoch dann als Mitläufer und damit nicht positiv differenzierend wahrgenommen wurden. Je mehr sich die Kampagne über Branchen und Unternehmen ausweitete, desto akzeptabler und konformer wurde der «Impfaktivismus». Hier entstand eine willkommene Gelegenheit für sehr viele Marken, sich mit einem emotionalen und aktuellen Thema in die breite Aufmerksamkeit hieven können, selbst wenn zwischen dem Thema und dem Kerngeschäft keine direkte Beziehung bestand.
Eine solche breite Akzeptanz ist günstig für Marken, weil sie weniger Gefahr laufen, mit ihrer Haltung Kundensegmente und andere Stakeholder zu vergällen. Es ergab sich in diesem Fall für die Marken eine handfeste Kommunikationsgelegenheit mit überschaubarem Image-Risiko. Auf der anderen Seite kann sich eine solche breite Akzeptanz ungünstig auswirken, wenn der Ansturm aufs Thema sich zum Hype aufbläht, der die Marken-Images in den Köpfen der Käuferinnen und Käufer eher verwirrt als verstärkt. Mit dem Launch der ersten Kampagne standen die Thought-Leaders in diesem Thema vermutlich bereits fest; die Nachzügler mussten sich mit dem Label «unter ferner liefen» begnügen.
So what?
Obwohl die eindeutigen Stellungnahmen der Marken in einer tiefen und emotionalen Kontroverse insgesamt gutgeheissen wurden, haben wohl viele Marken ein sehr wichtiges strategisches Ziel nicht erreicht. Selbst mit einem so radikalen Schritt gelang es ihnen nämlich nur ansatzweise, sich weniger austauschbar zu machen – ausserdem blieb von den Kampagnen nur ein nichtssagender und mittelmässig authentischer Eindruck hängen. Gleichzeitig haben die Marken unter Umständen den Goodwill jener Käuferschaft strapaziert, die Impfaufforderungen ablehnend gegenüberstand. Wendet sich dieses Segment nun von der Marke ab, müsste die verbleibende Kundschaft das verlorene Business kompensieren durch Mehrkäufe, häufigeres Einkaufen und teurere Produkte – mindestens aber durch effektive Weiterempfehlungen. Erste Forschungen deuten an, dass damit jedoch nicht in jedem Fall zu rechnen ist: In einer Serie von Experimenten sprangen mehr Kunden ab als neue angelockt werden konnten (Mukherjee & Althuizen, 2020: “Brand activism: Does courting controversy help or hurt a brand?” International Journal of Research in Marketing, 37, 4. S. 772-788. DOI: 10.1016/j.ijresmar.2020.02.008). Die Autoren mahnen wegen “asymmetrischer Effekte” zur Vorsicht bei Marken-Aktivismus, wo die drohenden Verluste handfest seien, während die Gewinne schwer greifbar blieben. Soll wenigstens eine klarere (und relevantere) Differenzierung aus Marken-Aktivismus resultieren, dann müssen Markenverantwortliche für ihre Kampagnen Themenfelder und Positionen darin identifizieren, die nicht bereits von aller Welt besetzt werden. Massgeblich für die Selektion sind dann die Passung zur Markenidentität und -positionierung sowie das Potenzial zur nachhaltigen Abgrenzung gegenüber der Konkurrenz.
Forschungsdesign:
Standardisierte Online-Befragung über Qualtrics vom 15.-28.12.2021. Rekrutiert wurde unquotiert über drei E-Mail-Verteiler. N = 427 Personen verblieben nach den Qualitätschecks, komplett abgeschlossen wurde die Befragung von n = 279 Personen. Die Stichprobe besteht zu 66% aus Frauen und zu 34% aus Männern, das Durchschnittsalter ist M = 28.4 Jahre (Min.: 19, Max.: 58). Im Sample überrepräsentiert sind hochgebildete Personen und solche aus urbanen Gebieten sowie der Deutschschweiz.