Crowdsourcing statt Outsourcing

Seit Jeffe Howe den Begriff des Crowdsourcings 2006 im Computermagazin Wired prägte, ist er omnipräsent. Wer an den Schwarm auslagert (Begriffskombination aus Crowd und Outsourcing) gilt als innovativ. Selbst der Bund hat auf seinem KMU Portal Crowdsourcing zum Thema des Monats Mai 2012 gemacht. Ist Crowdsourcing ein eigenes Konzept oder „nur“ eine Kombination von bereits bestehenden Konzepten wie  Social Media, Open Innovation, Open Source und User Innovation?

www.bbc.co.uk

Um diese und ähnliche Fragen zu ergründen, befasst sich das Zentrum für Marketing Management (ZMM) der ZHAW intensiv mit dem Thema Crowdsourcing. Ziel ist zu eruieren, ob die Kompetenzen im Bereich New Media und Innovation weiter ausgebaut werden sollen.

Doch was ist Crowdsourcing eigentlich? Diese Frage lässt sich nicht in einem Satz beantworten, denn die Formen von Crowdsourcing sind sehr unterschiedlich und die gemeinsame Bezeichnung verwundert zuweilen. Deshalb werden nachfolgend die wichtigsten Formen von Crowdsourcing vorgestellt, um dann zum Schluss nochmals zusammen zu fassen, was gemeinsame Nenner des Crowdsourcings sind.

Micro Working

Eine Form von Crowdsourcing ist Micro Working. Dabei werden über Plattformen einfache, teilbare und elektronisch bearbeitbare Kleinstarbeiten vergeben. So haben z.B. Mitglieder der Plattform Clickworker.com tausende von Bildern kategorisiert und pro Kategorisierung einige Cent erhalten. Solche Arbeiten können durch Microworker parallel bearbeitet werden und sind somit nicht nur schneller sondern auch kostengünstiger, als wenn Unternehmen für solche Arbeiten kurzfristig Mitarbeiter einstellen müssen. Der finanzielle Ertrag der Microworker ist vorhersehbar und sicher, wenn auch relativ gering.

Creative

Eine weitere Kategorie ist das Ausschreiben von kreativen Aufgaben, also z.B. das Erstellen von Graphiken, Texten oder auch Programm-Codes. Das berühmteste Beispiel für Kreativ-Crowdsourcing ist das Unternehmen Threadless.com, wo Kreative T-Shirt Designs erstellen. Jene mit den meisten User-Stimmen werden tatsächlich hergestellt. Solche Kreativ-Wettbewerbe sind für die Teilnehmenden mit Risiken und Verlusten verbunden, da die Entlohnung allermeist nach dem Prinzip „the winner takes it all“ vergeben wird. Sie werden bezüglich des Ausbeutungsaspektes ambivalent diskutiert.

Crowdfunding

Auf Crowdfunding-Plattformen buhlen Personen/Firmen mit Projekt-Ideen um das Geld von meist privaten Personen. Die Zwecke reichen dabei vom Gründungskapital für Unternehmen bis hin zu Entwicklungshilfe-Projekten. Der Mechanismus ist sehr ähnlich einer Börse, nur dass es keine gesetzliche Vorschriften gibt und die Gegenleistung für das eingebrachte Kapital von der Sachleistung über Gewinnanteile bis hin zu Ruhm und Ehre reichen kann. Die erste und wohl bekannteste Crowdfunding-Plattform weltweit ist Kickstarter.com, in der Schweiz existieren mittlerweile rund ein halbes Duzend, z.B. C-crowd.ch oder 100-days.net.

Decisions, Review & Predicitons

Bei dieser Art des Crowdsourcings werden Ideen oder Angebote zur Bewertung auf Plattformen gestellt oder auch nach Vorhersagen gefragt. Prominentester Vertreter ist die Plattform Holidaycheck.ch, auf welchem Ferienangebote durch User eingetragen und bewertet werden. Auf Crowdworx.de können Unternehmen sich bspw. von Usern Einschätzungen bezüglich der Absatzentwicklung von Innovationen abgeben lassen. Die Entlohnung dieser Form von Crowdsourcing ist auf jeder Plattform anders.

Collective Knowledge & Patent

Bei Crowdsourcing Plattformen dieser Art wird Wissen in verschiedensten Formen geteilt. Die mit Abstand bekannteste Plattform von kollektivem Wissen ist Wikipedia.com. Bei Twick.it können Begriffe oder Sätze eingegeben werden, welche von anderen Usern in maximal 140 Zeichen beantwortet werden. Die Plattform Bluepatent.com schützt vor Patent-Verletzungen und deck zu Unrecht erteilte Patente auf, indem Personen konkrete Nachweise dafür liefern und im Gegenzug Geld erhalten.

Open Innovation & Ideas

Bei dieser Form von Crowdsourcing werden Fragestellungen von Unternehmen an eine Crowd gerichtet, welche Dritten oder dem Unternehmen selbst gehört. Letzteres ist jedoch (noch) relativ selten, da der Aufbau einer eigenen Community sehr aufwendig ist. Beispiele dafür sind Migipedia.ch oder Tschibo-ideas.de. Bei Plattformen, welche Dritten gehören, kann typischerweise zwischen „Laien-“ und „Spezialisten-Communities“ unterschieden werden. In der Schweiz ist die grösste Laiencommunity auf Atizo.com vertreten. Die Fragestellungen reichen von Ideen für Produktinnovationen bis zu kommunikativen Umsetzungsansätzen. Sie funktionieren ähnlich wie Brainstormings. Die bekannteste Spezialisten-Plattform hingegen ist Innocentive.com, welche Naturwissenschaftler sämtlicher Disziplinen vereint. Die Fragestellungen auf diesen Plattform sind komplex, dafür reichen die Prämien bis hin zu einer Million Dollar. Bei Open Innovation & Ideas werden oft Ideen mehrerer Mitglieder für die „Lösungsfindung“ berücksichtigt, die Prämie entsprechend aufgeteilt.

Was sind also die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Arten von Crowdsourcing?

  • Ein offener Aufruf einer natürlichen oder juristischen Person
  • an eine mehr oder weniger organisierte Masse von Personen (Schwarm)
  • bei einer Ideenfindung oder Problemlösung mitzuarbeiten
  • über elektronische Medien
  • wobei in irgendeiner Form Anreize bestehen mitzumachen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Crowdsourcing, ähnlich wie Social Media, ein Sammelbegriff ist, welcher die unterschiedlichsten Erscheinungsformen annehmen kann. Daran lässt sich aber auch erkennen, dass der Einbezug des Schwarms in den verschiedensten Problemlösungsprozessen erfolgversprechend scheint und künftig wohl noch weiter zunehmen wird.

Um das Potenzial von Crowdsourcing besser abschätzen zu können und um praktische Erfahrungen damit zu sammeln, wurde ein Crowdsourcing-Projekt der Zweifel Pomy-Chips AG auf der Atizo Plattform eng begleitet. Das nachfolgende Interview mit Philip Honegger gibt einige Einblicke in die Erfahrungen, welche auf der Open Innovation Plattform von Atizo gewonnen wurden.

Philip Honegger, Digital / New Media Manager bei Zweifel Pomy-Chips AG
Interview vom 25.5.2012


Wieso haben Sie sich für Crowdsourcing entschieden? Was ist für Sie besonders interessant?
Als Marke Zweifel ist es unser Ziel die Vielfalt an verschiedenen Bedürfnissen unserer Konsumenten bestmöglich abzudecken! Dieser Herausforderung versuchen wir stets durch neue, innovative Ideen gerecht zu werden!
Im aktuellen Crowdsourcing Projekt bietet sich uns einerseits die Möglichkeit von der Kreativität unserer Konsumenten zu profitieren, anderseits ist es für uns jedoch gleichzeitig auch eine Chance unseren Konsumenten Wertschätzung und Vertrauen entgegen zu bringen und so die Unternehmen-Konsumenten Interaktion zu stärken!

Welche Fragestellung haben Sie der Community weitergegeben?
„Es kann nur EINE geben! Mit welchem genialen Auswahlverfahren bestimmen du und deine Freunde die nächste Zweifel-Chips Sorte?“
Das Ziel der Fragestellung bestand darin, unsere Konsumenten in ein einzigartiges Produktauswahlverfahren einzubinden!

Das Projekt läuft nach wie vor auf Atzio. Wie schätzen Sie aus der jetzigen Sicht die Antworten ein?
Da es sich doch um mehrere hundert Ideen handelt, gestaltet sich eine Einschätzung zum aktuellen Zeitpunkt als sehr schwierig. Während des Bewertungsprozesses fielen Ideen sowohl durch ihre Kreativität als auch ihren Innovationscharakter auf. Ob, oder inwiefern jedoch einzelne Ideen oder Kombinationen schlussendlich umgesetzt werden können, zeigt sich erst in den weiteren Projektphasen!

Wann wurden die meisten Ideen gepostet?
Die meisten Eingaben erfolgten wie erwartet nach dem Start des Projektes.

Wie sieht nun der nächste Schritt aus? Was passiert mit den Ideen?
Die besten Ideen werden definierten Clustern zugewiesen und in einem ersten Schritt verdichtet. Sehr gute einzelne Ideen oder Ideen-Kombinationen werden in einem nächsten Schritt erneut durch die Community von Atizo bewertet

Wie gehen Sie damit um, dass auch andere, möglicherweise konkurrierende Unternehmen die Ideen sehen?
Dieser Situation sind wir uns bewusst, sehen es jedoch nicht als Risiko an. Da die Ideen bereits aufgrund einer bestimmten Ausgangslage entstanden sind, würde sich die Nachahmung als nicht sinnvoll erweisen!

Aus heutiger/bisheriger Sicht, würden Sie Atizo wieder benützen?
Als Ideen-Generator ist die Atizo Plattform absolut empfehlenswert! Vor allem in Bezug auf die Komplexität unserer Fragestellung wurden wir trotz anfänglicher Skepsis sehr positiv überrascht! Insbesondere wurde die nicht triviale Aufgabenstellung überraschend gut verstanden.

Welche Learnings haben Sie bisher aus diesem Projekt gezogen?
Als Moderatoren des Projektes haben wir den Aufwand etwas unterschätzt. Vor allem für die Bewertung der Ideen gilt es genug Ressourcen einzuplanen.

Übersicht Projekt Zweifel Pomy-Chips auf Atizo

Wer mehr darüber erfahren möchte ist herzlich eingeladen, sich bei Salome Müller, Zentrum für Marketing Management, zu erkundigen.

Quellen:
Brabham, D.C. (2008). Crowdsourcing as a Model for Problem Solving. The International Journal of Research into New Media Technologies, Vol. 14(1), p. 75–90.
Bund, KMU Portal, am 09.05.2012, auf http://bit.ly/OQfaRK.
Gassmann, O. (2010). Crowdsourcing – Innovationsmanagement mit Schwarmintelligenz. München: Hanser.
Howe, J. (2006). The Rise of Crowdsourcing. Wired Magazine, Issue 14.06.
Kleemann, Voss & Rieder (2008). Crowdsourcing und der Arbeitende Konsument. Arbeits- und Industriesoziologische Studien, Jg. 1, Heft 1, Mai 2008, S. 29-44.
Poetz, M.K. & Schreier, M. (2012). The Value of Crowdsourcing: Can Users Really Compete with Professionals in Generating New Product Ideas? Journal of Product Innovation Management, 2012, 29 (2), p. 245-256.
Schenk, E. &Guittard, C. (2009). Crowdsourcing: What can be Outsourced to the Crowd, and Why? Innovation, 1-29.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert