Von Cherelle Dini
Digitale Zwillinge sind digitale Ausformungen von unternehmerischen Produkten, Prozessen, Dienstleistungen oder Anlagen. Was bisher eher theoretisch angedacht wurde, wird bei zahlreichen Unternehmen immer konkreter umgesetzt. Dies zeigt eine neue Studie, welche die systematische Nutzung von digitalen Zwillingen zur internen Wertschöpfung von Schweizer Unternehmen untersucht. Im Rahmen einer Serie an Blogbeiträgen werden die wichtigsten Ergebnisse der Studie vorgestellt. Im ersten Teil geht es um die Anwendung von digitalen Zwillingen und die Beweggründe.
Teil 1: Anwendung und Motivation
Die Forschung zu digitalen Zwillingen bewegt sich seit einigen Jahren von theoretischen Grundlagen hin zu praktischen Anwendungen. Dabei zeichnen sich zunehmend dominante Lösungskonzepte für die Transformation von realen in digitale Unternehmensleistungen ab. Unternehmen sind bestrebt, durch digitale Zwillinge sowohl in internen als auch externen Dimensionen Wert zu generieren (Barth et al., 2020). Durch die digitale Repräsentation dessen, was für Unternehmen von Wert ist, ist das Konzept des digitalen Zwillings von zentraler Bedeutung für die anstehenden Veränderungen im Zuge der Digitalisierung und der umfassenden Umsetzung der “Industrie 4.0”.
Wie stark das Konzept von digitalen Zwillingen von Unternehmen effektiv genutzt wird, war bisher nicht bekannt, denn an Studien zum tatsächlichen Umsetzungsstand des digitalen Zwillings entlang des Produktlebenszyklus mangelte es. Aus diesem Grund haben Barth et al. (2022) untersucht, wie weit fortgeschritten Unternehmen in der Schweiz bei der internen Wertschöpfung mit digitalen Zwillingen sind. Die Studie analysiert systematisch, in welchen Phasen des Produktlebenszyklus (Abbildung 1) digitale Zwillinge bereits im Einsatz oder in Planung sind, sowie welche Prozesse und welcher Wertbeitrag auf Basis von Anwendungen digitaler Zwillinge im Vordergrund stehen.
Gut ein Viertel der Unternehmen setzt digitale Zwillinge bereits um
103 Personen aus 13 verschiedenen Branchen mit bedeutendem Anteil des Maschinen- und Anlagebaus (27%) nahmen an der Studie teil. Dabei wurde vorab ermittelt, ob das Unternehmen der Befragten bereits digitale Zwillinge einsetzt, ob der Einsatz geplant ist oder ob es derzeit keine Absichten gibt, digitale Zwillinge für die Wertschöpfung entlang des Produktlebenszyklus einzusetzen.
Tabelle 1 zeigt die Anteile der Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge einsetzen, die Anwendung von digitalen Zwillingen planen oder aktuell nicht beabsichtigen, digitale Zwillinge für die Wertschöpfung entlang der Produktlebenszyklusphasen einzusetzen.
Fast ein Viertel (23 von 103) der befragten Unternehmen setzt digitale Zwillinge bereits heute zur Wertgenerierung ein und bei einem weiteren Viertel (25 von 100) ist die Anwendung in Planung. Diese Angaben korrelieren mit dem selbsterklärten Vorwissen bezüglich digitaler Zwillinge. Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge einsetzen, geben ein hohes Vorwissen (48%) an, während solche, bei denen die Anwendung in Planung ist, ein mittleres Vorwissen (68%) deklarieren und niedriges Vorwissen (82%) vor allem bei Unternehmen ohne Einsatz von digitalen Zwillingen zu verzeichnen ist. Die Anwendung digitaler Zwillinge zur Wertschöpfung entlang des Produktlebenszyklus stellt demnach eine Herausforderung dar, welche ein gewisses Know-how-Niveau erfordert, weshalb die positive Korrelation zwischen Wissen und Anwendungsreife evident ist. Je mehr Unternehmen über digitale Zwillinge wissen, desto eher wollen sie diese einsetzen.
Wettbewerbsvorteile durch Digitale Zwillinge
Doch warum wenden Unternehmen das Konzept des digitalen Zwillings an? Betrachtet man die Antworten bezüglich der Motivation in Tabelle 2, so zeigt sich, dass die Chance zur Effizienzsteigerung der wichtigste Motivationsfaktor für die Unternehmen ist. An zweiter Stelle folgt die Motivation Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Interessanterweise lässt sich im Hinblick auf die Beweggründe zum Einsatz von digitalen Zwillingen kein wesentlicher Unterschied zwischen den Unternehmen, die digitale Zwillinge bereits anwenden, und denen, die die Anwendung von digitalen Zwillingen lediglich planen, feststellen.
Gut die Hälfte der Unternehmen erwartet durch den Einsatz von digitalen Zwillingen Kundenbedürfnisse effizienter und effektiver zu erfüllen und neue Geschäftsmodelle identifizieren zu können. Wettbewerbsdruck und die Angst, einen Trend zu verpassen, stellen nur für einen kleinen Teil der Befragten einen Motivationsfaktor dar. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Druck durch die Kunden und den Wettbewerb noch als gering empfunden wird. Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge einsetzen oder dies planen, sind «Early Mover» und Technologieführer, da sie die Optimierung der Effizienz, den Aufbau künftiger Wettbewerbsvorteile und die Erforschung neuer Geschäftsmodelle zum Ziel haben.
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Antworten der Unternehmen betrachtet, die keine Anwendung von digitalen Zwillingen planen, wie in Tabelle 3 dargestellt.
Hinderungsgründe dürften sich abschwächen
Ungeeignete Geschäftsmodelle und mangelndes Know-how sind die am häufigsten genannten Gründe, die (noch) gegen eine Anwendung digitaler Zwillinge sprechen. Diese Gründe könnten sich – genauso wie die hauptsächlich technologischen Hinderungsgründe auf den Plätzen drei bis fünf – in Zukunft deutlich abschwächen. Durch die technologische Entwicklung und die grössere Verbreitung des Internet of Things und digitaler Zwillinge verändern sich Geschäftsmodelle und Know-How; auch werden Sensoren und IT-Infrastrukturen günstiger und leichter verfügbar. Für die meisten Unternehmen sind in der Zukunft weder das Management noch die Zahlungsbereitschaft oder die Bereitschaft zur Weitergabe von Kundendaten ein Hindernis für den Einsatz von digitalen Zwillingen. Dementsprechend gaben 37 von 55 Unternehmen (67 %) an, dass sie das Thema “digitale Zwillinge” weiterverfolgen werden, auch wenn es derzeit keine Pläne für deren Anwendung gibt.
Effizienz und der Aufbau von Wettbewerbsvorteilen sind also die primären Motivationstreiber für den Einsatz von digitalen Zwillingen. Doch wie verbreitet sind die digitalen Zwillinge in Schweizer Unternehmen entlang der Produktlebenszyklusphasen und Prozesse? Dies wird das Thema des nächsten Blogbeitrages sein.
Barth, L., Ehrat, M., Fuchs, R., & Haarmann, J. (2020). Systematization of Digital Twins: Ontology and Conceptual Framework. Proceedings of the 3rd International Conference on Information Science and Systems (ICISS 2020), 13-23. https://doi.org/10.1145/3388176.3388209
Barth, L., Ehrat, M., Galeno, G., Holler, M., & Savic, N. (2022). Value Generation in the Product Lifecycle with Digital Twins: Status Quo in Swiss Companies. Proceedings of the 55th Hawaii International Conference on System Sciences (HICSS 2022), Hawaii.