Kennen Sie das auch? Nur noch wenige Wochen bis Weihnachten und bis jetzt keine Geschenke gekauft, das Festessen nicht geplant, keine Einladungen verschickt und jede Menge Arbeit im Büro vor Jahresende zu erledigen. Wo bleibt da die Vorfreude und Besinnlichkeit auf das Fest der Liebe? Zeit, es dieses Jahr anders zu machen. Anhand der fünf typischen Antreiber erkennen wir, welche Stressfallen uns auflauern, und können diese gekonnt angehen.
Von Susanna Borner, Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie
Es ist wieder einmal so weit. Entnervt schauen wir auf den Kalender und stellen mit Schrecken fest, dass Weihnachten vor der Türe steht. Viele Dinge sind zu erledigen und der Vorsatz, sich diesmal Zeit für die eigene Einstimmung auf das Fest zu nehmen, bleibt weitgehend auf der Strecke. Der Versuch, die ganze Aufregung um Weihnachten zu ignorieren, ist in einer Stadt wie Zürich ein schwieriges Unterfangen. Seit Wochen sind die Warenhäuser voll mit geschmückten Tannenbäumen, Lametta und Engeln und laden zum Weihnachtsshopping ein. Die Weihnachtsbeleuchtung «Lucy» macht das Ausblenden der bevorstehenden Festlichkeiten auch nicht leichter, zumal alle paar Meter Geschenkideen und Sonderangebote locken. Es wird einem schon schwindelig bei den Gedanken an die Adventszeit.
Oh du stressiges Weihnachtsshopping
Es ist doch so: Geldgutscheine oder der immer wiederkehrende Weihnachtsstern sind nur Verlegenheitsgeschenke. Wir haben den Anspruch, ein persönliches, von uns ausgesuchtes Präsent zu finden, welches den Beschenkten zeigt, wie wertvoll sie für uns sind. Toll wäre es auch, wenn das Geschenk in seiner Einmaligkeit das Letztjährige noch übertrifft. Ich will das perfekte Präsent finden – gut ist nicht gut genug! Es ist mir wichtig, dass die Beschenkten meine Wertschätzung und Zuneigung für sie spüren und ich mir alle Zeit der Welt nehme, um ihre Wünsche zu erkennen und sie mit dem speziell für sie ausgesuchten Geschenk zu überraschen.
Nun gibt es ja die Möglichkeit, unsere Geschenkliste an Besorgungen an jemand Dritten zu delegieren. Das kommt natürlich nicht in Frage. Nur ein persönlich ausgesuchtes und gekauftes Geschenk wird unserem Anspruch gerecht, den Akt des Schenkens nicht zu einer Alibiübung verkommen zu lassen. Wenn uns unter der Woche keine Zeit bleibt, wühlen wir uns im Sonntagsverkauf durch die Menschenmassen, mit der klaren Absicht, diese Zusatzanstrengung auch noch schnell zu meistern. Ich muss nur noch einen Zacken zulegen und meine Zeit noch etwas effizienter planen, dann wird es schon klappen. Die Zeit der Besinnlichkeit wird zum Marathon und dank meines Trainings das ganze Jahr über, bin ich gewappnet, rasche Entscheidungen zu treffen und vorwärts zu machen.
Erkennen Sie sich wieder? Der Umgang mit den Anforderungen der Vorweihnachtszeit erscheint wie ein strategisch gut geplanter Schlachtplan, welcher garantieren soll, den Stress in Schach zu halten, und zu guter Letzt glücklich mit unseren Lieben Weihnachten zu feiern. Das Programm, welches hier abläuft, ist jedoch ein unbewusstes Verhaltensmuster, das bereits in frühen Kindertagen aufgrund von ausgesprochenen wie auch von unausgesprochenen Ansprüchen aus unserem nahen Umfeld entsteht. Wir Psychologen nennen sie gemäss dem Konzept der Transaktionsanalyse die fünf Antreiber.
Die fünf Antreiber
Mit unseren Handlungen wollen wir in der Regel den Erwartungen und Bedürfnissen anderer entsprechen. Dafür erhalten wir meistens äussere Belohnungen und Anerkennung. Zudem verfügen wir aber auch über eigene liebgewonnene Gewohnheiten, Werte und Wünsche welche unser Verhalten prägen. Manchmal empfinden wir im Rückblick nicht alle unsere Verhaltensweisen als angemessen. Meist waren dann unbewusste Verhaltensmuster und verinnerlichte Lebensregeln am Werk, eben innere Antreiber. Gerade in Situationen mit erhöhter Belastung arbeiten solche inneren Antreiber wie automatische Steuerungen, die unser Denken, Fühlen und Verhalten bestimmen. Hier die fünf bekanntesten Antreiber und die Haltung, die sich hinter ihnen verbirgt:
1 – Sei perfekt!
Ich bin noch nicht gut genug. Es gibt immer etwas besser zu machen. Ich arbeite fehlerfrei, genau und gründlich.
2 – Sei beliebt!
Ich will es allen recht machen und kann schlecht «nein» sagen. Ich will akzeptiert werden und vermeide Konflikte. Meine eigenen Interessen sind nicht so wichtig.
3 – Sei stark!
Ich komme alleine zurecht. Ich beisse die Zähne zusammen und zeige keine Gefühle. Ich bewahre Haltung und lasse keine Schwäche zu.
4 – Streng dich an!
Ich muss es schaffen und Probleme überwinden. Ich mühe mich ab bis zum Letzen und arbeite dafür hart.
5 – Sei schnell!
Ich muss vorwärts machen und bin dauernd beschäftigt. Ich mache mehrere Dinge gleichzeitig und darf keine Zeit verschwenden.
Jeder dieser fünf Antreiber kann uns in Stresssituationen noch mehr Energie rauben und uns belasten, obwohl in ihnen positive Ressourcen enthalten sind, wie zum Beispiel Genauigkeit und Fehlerlosigkeit, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit, Gründlichkeit und Belastbarkeit, Schnelligkeit und die Fähigkeit, Chancen zu nutzen. Damit sich die Antreiber nicht negativ im Berufs- und Privatleben auswirken, ist es wichtig, sich mit ihnen ehrlich und selbstkritisch auseinanderzusetzen. Hierzu braucht es Selbstaufmerksamkeit mit dem eigenen Tun und Handeln.
Innere Antreiber positiv nutzen
Innere Antreiber verlaufen nach automatischen Mustern und sind schlecht steuerbar. Wenn wir sensibilisierter darauf sind, in welchen Situationen Antreiber aktiv werden, können wir sie gezielter und damit konstruktiver einsetzen. Antreiber sind mit Botschaften verbunden. Meist sind es negative Gebote. Diesen können wir ihre positive Seite entgegensetzen, die sogenannten «Erlauber». Wir erteilen uns damit die Befugnis, auch anders handeln zu dürfen und nicht automatisch dasselbe Verhalten zu aktivieren. Unterbrechen wir also die stressbeladenen Handlungsmuster und wählen je nach Situation und Energie-Level bewusst denjenigen Antreiber, welcher kontextbezogen stimmig ist:
Sei perfekt! | Erlauber: Ich darf auch mit 80% zufrieden sein. Dies ist gut genug. |
Sei beliebt! | Erlauber: Ich darf auch meine eigenen Bedürfnisse ernst nehmen. |
Sei stark! | Erlauber: Ich darf mir Hilfe holen. |
Streng dich an! | Erlauber: Ich darf Spass bei der Arbeit haben. |
Sei schnell! | Erlauber: Ich darf mir Zeit geben. Ich darf Pausen machen. |
Um die Ressource der Erlauber zu nutzen und so alle Aufgaben entspannter und zufriedener auszuüben, sollten wir schauen, welche Antreiber uns oft unreflektiert heimsuchen und den Stresspegel erhöhen. Um das leichter anzugehen, empfehle ich, sich die positiven Aspekte der eigenen inneren Antreiber zu notieren und so einen aufmerksameren Umgang mit ihnen zu pflegen – nicht nur in der Adventszeit.
Was heisst das jetzt für die Vorweihnachtszeit?
Es gibt eine unüberschaubare Anzahl von Artikeln und Blogs, versehen mit Tipps und Tricks wie wir mit den vielen Anforderungen dieser Zeit umgehen können. Betrachten wir die fünf Antreiber und ihre eigenständige Dynamik bei belastenden Herausforderungen, so gilt es gerade in der Vorweihnachtszeit, einen gesunden und adäquaten Umgang mit ihnen zu finden. Im Grunde genommen sind Antreiber wichtige Helfer. Sie animieren uns, aktiv zu sein, helfen uns, vieles zu schaffen und verhindern, dass wir nur teilnahmslos in der Ecke sitzen. Wichtig ist, dass wir diese andere Seite der Antreiber erkennen. Wenn wir lernen, die positive Kraft der Erlauber zu nutzen, sind wir den Stressfaktoren nicht mehr unreflektiert ausgeliefert, sondern machen uns die motivierende Kraft der Antreiber und positive Energie der Erlauber zunutze, so wie es die Situation erfordert. Gerade die Vorweihnachtszeit bietet dafür ein gutes Übungsfeld.
Möchte ich mich also in die Adventszeit einstimmen, dekoriere ich mein Heim mit Licht und Wärme und schaffe mit Lieblingsmelodien den idealen Rahmen, um nach der Arbeit abzuschalten. Geschenke können auch gemeinsame Erlebnisse beinhalten wie Zoo-, Museums- oder Zirkusbesuche, einen Tag in den Bergen oder ein Wellnesswochenende – dies alles entschleunigt in hektischeren Zeiten und bringt uns unseren Lieben näher als manches Präsent, welches in letzter Minute noch gekauft werden musste. Und wenn es doch einmal eng wird mit der Planung der Einkäufe, kann ich gut auf Online-Dienste zurückgreifen und mir eine Pause gönnen.
In diesem Sinne wünsche ich all unseren Leserinnen und Lesern frohe Weihnachten und ein entspanntes Fest!
Susanna Borner ist Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW. Nach ihrem Psychologiestudium an der Universität Zürich absolvierte sie verschiedene Nachdiplomstudien in Systemischer Familien- und Paartherapie, Personalmanagement sowie Berufs- und Laufbahnberatung. Am IAP leitet sie den MAS Berufs-, Studien- & Laufbahnberatung und arbeitet als Coach mit Menschen, die sich weiterentwickeln möchten.
Spannender Beitrag und auf den Punkt gebracht. Habe entspannte und gemütliche Feiertage verbracht.