Seit rund einem Jahr findet der Unterricht in der Weiterbildung vorwiegend online statt. Die neuen Lockerungen des Bundes vom 19. April 2021 erlauben es nun, dass Hochschulen Präsenzunterricht wieder vor Ort durchführen können. Eine wichtige Auflage ist dabei die Regelung, dass nur ein Drittel der Räumlichkeiten genutzt werden dürfen. Dies stellt viele Anbieter vor Kapazitäts-Fragen und ruft neue Formen des Unterrichts auf den Plan.
Was bietet sich mehr an, als in dieser Übergangsphase einfach auf «hybrides Lernen» zu setzen? Doch was versteht man genau darunter? Der Begriff wird aktuell sehr unterschiedlich gebraucht. Am IAP Institut für Angewandte Psychologie verstehen wir unter hybridem Lernen Unterrichtssettings, in denen sich gleichzeitig ein Teil der Teilnehmenden vor Ort befindet und die anderen online zugeschalten sind. Dies unterscheidet sich von Blended-Learning-Szenarien, bei denen Präsenzkurse mit digitalen Lernformaten kombiniert werden.
Ist hybrider Unterricht damit scheinbar die perfekte Lösung, wenn die Schulungsräumlichkeiten nur zu einem Drittel belegt werden können? Für Julia Kornfeind, Didaktik-Expertin am IAP, müssen die Lernsettings differenziert betrachtet werden. Sie sieht Hürden in den unterschiedlichen technischen und didaktischen Anforderungen. «Vorlesungen lassen sich zum Beispiel wunderbar hybrid durchführen, da es bei diesen Lernsettings nur einen relativ geringen Anteil an Interaktionen zwischen Dozierenden und Lernenden bzw. innerhalb einer Gruppe gibt. Die Weiterbildungen am IAP zeichnen sich jedoch durch hohe Übungsanteile mit verschiedenen Interaktionen und vielen Teilgruppensettings aus», sagt Kornfeind. Dies stellt die Dozierende technisch und didaktisch vor einige Herausforderungen. Um einen qualitativ hochstehenden Lernprozess zu gewährleisten, müssen die Teilnehmenden im virtuellen Raum voll in den Unterricht integriert werden. Das heisst, sie müssen einerseits alle Teilnehmenden im Unterrichtsraum sehen und hören können. Andererseits müssen sie auch allen Interaktionen im Unterrichtsraum folgen, diese in Echtzeit einordnen und sich selbst mit einbringen können.
Der Maskenfaktor
Bereits vor den neuen Lockerungen hat das IAP hybride Unterrichtsformen in der Weiterbildung getestet und mögliche Vor- und Nachteile für die Teilnehmenden herausgearbeitet. Erschwerend kommt in der aktuellen Lage die Maskenpflicht dazu. Da Teilnehmende vor Ort während des ganzen Unterrichts eine Schutzmaske tragen, ist es für die Online-Teilnehmenden oft nur schwer erkennbar, wer gerade spricht und wohin sie ihre Aufmerksamkeit lenken sollen. Nicht selten kommt es dabei zu Momenten, in denen Online-Teilnehmende den Unterhaltungen vor Ort nicht mehr ganz folgen können und sich ausgeschlossen fühlen. Bei mehrstündigen, interaktiven Unterrichtseinheiten kann das sehr anstrengend werden – sowohl für Online- als auch Präsenzteilnehmende.
Technisch (k)ein Kinderspiel
Die Mischung der verschiedenen Lernumgebungen – vor Ort und online zuhause – kann auch technisch herausfordernd sein. Schon kleine Dinge, wie ein Flipchart, der nicht auf der Höhe der Kamera (und darum nicht gut sichtbar) ist, können im hybriden Unterricht zu Irritationen führen.
Wäre es deshalb nicht besser, alle Weiterbildungen weiterhin online zu planen und durchzuführen? «Wir entscheiden für jeden Kurs individuell, wie wir ihn in der aktuellen Situation durchführen», sagt Julia Kornfeind. Durch den Einsatz kollaborativer Tools könne Online-Unterricht sehr interaktiv gestaltet werden und einige Kurse würden weiterhin komplett virtuell durchgeführt. «Für andere Kurse kann es didaktisch sinnvoll sein, die Kursgruppe beispielsweise zu splitten und die Kurse in Präsenz durchzuführen. Oder ein Teil des Lernprozesses findet asynchron im Selbststudium oder in virtuellen Lerngruppen statt.» So wurden am IAP unterschiedliche Unterrichts-Szenarien unter Einhaltung aller Hygiene- und Sicherheitsauflagen des Bundes entwickelt, die den Lernprozess bestmöglich unterstützen.
«Habe ich einen langen Anfahrtsweg, entscheide ich mich eher dazu, online am Kurs teilzunehmen. Habe ich zuhause keinen Rückzugsort, an dem ich ungestört lernen kann, komme ich lieber Vorort.»
Der Hybrid-Testlauf hat aber gezeigt, welche grossen Potenziale für die Zukunft in diesem Setting stecken. «Hybrider Unterricht bietet viel Flexibilität für die Teilnehmenden in ihren individuellen Lebenssituationen. Habe ich einen langen Anfahrtsweg, entscheide ich mich vielleicht eher dazu, online am Kurs teilzunehmen. Habe ich zuhause keinen Rückzugsort, an dem ich ungestört lernen kann, komme ich lieber Vorort,» sagt Julia Kornfeind. Doch dafür brauche es ein langfristiges Engagement für diese Lernform, denn ein professionelles hybrides Klassenzimmer sei eine beachtliche finanzielle Investition und für ein paar Monate als Übergangsform nicht sehr realistisch – und wenig sinnvoll solange die Maskenpflicht besteht. «Insbesondere reibungsloser hybrider Unterricht bedingt eine Gebäudeinfrastruktur, die technisch auf alle Eventualitäten abgestimmt und für Dozierende leicht zu bedienen ist», so Kornfeind.
Das Lernergebnis muss stimmen
Für Christoph Negri, Leiter des IAP Institut für Angewandte Psychologie, war nach dem Hybrid-Testlauf klar, dass es für die kommende Phase der Pandemie vor allem Flexibilität braucht. «Am IAP haben wir uns entschieden, nicht auf Hybridunterricht zu setzen, solange dies unseren Teilnehmenden keine wesentlichen Vorteile bringt.» Dennoch müsse sich jede Bildungsinstitution mit neuen Unterrichtsformen auseinandersetzen, meint er. Dazu gehöre auch, den Mut zu haben, in die Zukunft des Lernens und Lehrens zu investieren. «Die digitale Transformation verändert unseren Lernalltag immer stärker. Hybrides Lernen ist Teil unserer Zukunft – auch in der Weiterbildung», sagt Negri. Das gelte für Hochschulen genauso wie für Unternehmen und deren betriebliche Bildung. Auch hier würden in der Zukunft zunehmend neue Formen gefragt sein. Hybrides Lernen sei dabei aber nur eine von vielen Möglichkeiten. Letztlich müssten der Lernprozess und das Lernergebnis stimmen. «Wir wollen unseren Weiterbildungsteilnehmenden die beste Qualität bieten. Daher wählen wir am IAP für jede Lerneinheit genau die Unterrichtsform, mit der alle Teilnehmenden integriert sind und in ihrem Lernprozess abgeholt werden können.»
IAP-Verständnis: Hybrider Unterricht vs. Blended Learning
Unter hybridem Unterricht verstehen wir synchrone Lehr- und Lernveranstaltungen, bei denen ein Teil der Teilnehmenden vor Ort ist und ein anderer Teil online über ein Videokonferenz-Tool teilnimmt.
Blended Learning ist für uns ein Lehr- und Lernszenario, das Präsenzkurse mit Online-Formaten wie z. B. Web-Based-Trainings kombiniert resp. ergänzt.
Für mich hört sich hybrides Lernen spannend an. Gerade auch entscheiden zu können, ob man vor Ort dabei sein will oder nicht, hat seinen Reiz. Denn ich könnte mir vorstellen, dass die Bedürfnisse unterschiedlich sind. Ich studiere an einer Fernuni, an welcher alle Inhalte online vermittelt werden. Manchmal aber fehlt mir der physische Teil (Kontakt, Austausch, Gruppen- und Gesprächsdynamik). Eine Wahl zu haben wäre schön.
Danke für Ihren Beitrag. Hybrides Lernen würde es tatsächlich ermöglichen eine Wahl zu haben. Leider wird das aktuell noch an wenigen Orten umgesetzt.
Super informativ, danke für die Mühe diesen Artikel erstellt zu haben. Das lernen von neuen Dingen fällt mir besonders schwer.
Lg Tilda