Der Grundgedanke von Diversity und Political Correctness steht heute mehr denn je auf dem Prüfstand. Doch nur wer sich der Kritik stellt, kann Gedanken und Haltungen wirklich verstehen und verändern.

Von Elisa Streuli, Dozentin & Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

Die Lichterzeit inspiriert mich, einen Blick auf das vergangene Jahr zurück zu werfen und mich zu fragen: Wie war mein Jahr? Was hat Spuren in meiner Erinnerung hinterlassen? In diesem Jahr haben mich viele Menschen inspiriert und durch ihre Handlungen auch in meiner eigenen Arbeit neue Impulse gesetzt. Vor allem eine Person hat einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen: Yvonne Seitz.

Diversity – wo sich die Geister scheiden

Yvonne ist Beauftragte für Diversity & Family Care bei einem grossen Versicherungsunternehmen. Diversity ist mittlerweile Schlagwort und Worthülse zugleich: Unternehmen schreiben sich «Diversity» auf die Fahne, weil es gut tönt, und weil es sich gezeigt hat, dass gemischte Teams – bei guter Zusammenarbeit – bessere Resultate erzielen. Im Alltag kämpfen viele Diversity-Beauftragte mit theoretischen Konzepten und überladenen Erwartungen an die Menschen, die bei aller Political Correctness immer auch einfach Menschen bleiben. So gerät die Umsetzung der Diversity-Konzepte trotz aller guten Vorsätze oftmals ins Stocken oder scheitert gar am Widerstand der Belegschaft. Das ruft dann häufig Frustrationen auf der einen Seite und Unmut auf der anderen Seite hervor.

Mit Herzblut der Sache verschrieben

Vielerorts wird Diversity zwar hochglänzend propagiert, doch im Alltag nicht wirklich umgesetzt. Nicht so bei Yvonne Seitz. Sie «seitz und macht’s» – aber wie gelingt ihr das? Yvonne praktiziert eine offene wertschätzende Haltung gegenüber Andersdenkenden. Genau das hat mich so an ihr beeindruckt. Denn was ist Diversity, wenn nicht die Wertschätzung dem «Anderen» gegenüber? Diversity betrifft ja nicht nur die Geschlechter, die sexuellen Ausrichtungen und die körperlichen Beeinträchtigungen. Es betrifft auch andere Kulturen, andere Denkmuster und damit andere Meinungen. Yvonne lebt diese Einstellung mit bemerkenswerter Selbstreflexion. Wenn zum Beispiel jemand eine abfällige Bemerkung über Frauenförderung macht, könnte sich manche(r) Diversity-Beauftragte ärgern. Nicht so Yvonne. Ihr erster Gedanke ist dann: «Aha? Interessant! Was steht dahinter? Wie denkt dieser Mensch? Was kann ich von ihm oder ihr erfahren, das für das Unternehmen wichtig ist?» Vor Jahren sagte zum Beispiel einmal jemand aus ihrer Firma zu ihr, das mit der Diversity sei doch alles dummes Geschwätz und diese Stelle sollte man ohnehin gleich wieder abschaffen. Was dieser Mann nicht ahnte: Bei Yvonne lag er mit seiner Meinung genau richtig – auch sie will ihre eigene Stelle wieder abschaffen! Ihr Ziel ist es, dass die Einbindung und Gleichstellung aller Mitarbeitenden keine Worte und keine Aktionen mehr braucht, weil sie schlicht selbstverständlich sein sollten.

Aus dem Andersdenkenden neue Lösungen schöpfen

So lud Yvonne den betreffenden Kadermitarbeiter damals zu einem Kaffee ein. Gerade weil er eine andere Meinung offen vertrat, wollte und konnte Yvonne viel von ihm lernen. In diesem und folgenden Kaffeegesprächen knüpfte sie allmählich einen Massnahmenteppich, der zum Unternehmen und seinen Mitarbeitenden passte, und in der Firma mittlerweile fest verankert ist. Yvonne setzte immer auf persönliche Begegnungen. Von Andersdenkenden zu lernen und Gegensätze durch persönliche Begegnung besser zu verstehen, das ist in meinen Augen eine wichtige Grundlage für den Erfolg in der Arbeitswelt. Es ist nicht so einfach, dies auch wirklich im Arbeitsalltag zu praktizieren, sich gegen den Unmut und die Frustration zu stellen, mit offenem Ohr zuzuhören und daraus bessere Lösungen zu schöpfen. Diese Haltung beeindruckte mich. Sie klingt durch mein Jahr hindurch und ins nächste hinein. Danke Yvonne!

Elisa_Streuli_neuDr. Elisa Streuli ist Soziologin und arbeitet in der Führungsentwicklung am IAP Institut für Angewandte Psychologie. Sie leitet Weiterbildungskurse in den Themen Konfliktmanagement, Verhandlungstraining und Einstieg in die Führungsrolle. Sie ist zudem Autorin des Buchs «Mit Biss und Bravour – Lebenswege von Topmanagerinnen», erschienen 2007 im Orell Füssli Verlag.

 


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