Von Cherelle Dini
In einer Studie untersuchten Barth et al (2022), wie Schweizer Unternehmen mit digitalen Zwillingen im Rahmen des Produktlebenszyklus Wert generieren. Während im ersten von drei Blogbeiträgen die Verbreitung und die Beweggründe für die Nutzung digitaler Zwillinge im Vordergrund standen, geht es in diesem Beitrag um die Nutzung digitaler Zwillinge im Produktlebenszyklus.
Digitale Zwillinge von Unternehmensleistungen werden immer konkreter, auch bei Schweizer Unternehmen. Dies belegt die gerade erst erschienene Studie von Barth et al (2022), für welche 103 Personen aus 13 verschiedenen Branchen befragt wurden. Die Ergebnisse werden in Form einer Serie vorgestellt. Im ersten Blog-Beitrag zur Wertgenerierung im Produktlebenszyklus mit digitalen Zwillingen wurden die Verbreitung und die Motivation zum Einsatz digitaler Zwillinge in Schweizer Unternehmen erläutert. Doch wie sieht es mit der konkreten Anwendung digitaler Zwillinge zur Wertgenerierung im Produktlebenszyklus aus? In Tabelle 1 wird ersichtlich, dass digitale Zwillinge hinsichtlich der drei Lebenszyklusphasen am häufigsten in der «Beginning of Life-Phase» (BoL, 79 %) eingesetzt werden oder werden sollen.
Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge einsetzen, nennen die «Middle of Life-Phase» (MoL) deutlich häufiger als jene, welche den Einsatz lediglich planen (70% gegenüber 52%). Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Unternehmen, die derzeit keine digitalen Zwillinge anwenden, diese zunächst in der BoL-Phase einführen müssen, um die Grundlagen für ihre Anwendung in den anderen Phasen zu schaffen. Ausserdem ist trotz der relativ kleinen Stichprobengrösse festzustellen, dass die End of Life-Phase (EoL) häufiger von den Unternehmen genannt wurde, die den Einsatz von digitalen Zwillingen nur planen (24 % gegenüber 4 %). Eine genauere Betrachtung der einzelnen Antworten zeigt, dass fünf der sechs Unternehmen, die angaben, digitale Zwillinge für die EoL-Phase einsetzen zu wollen, alle drei Phasen des Produktlebenszyklus ausgewählt haben. Es ist also anzunehmen, dass die Unternehmen, die den Einsatz digitaler Zwillinge aktuell erst planen, dies ganzheitlich über den gesamten Produktlebenszyklus tun.
Weitere Erkenntnisse über die Anwendung digitaler Zwillinge im Produktlebenszyklus lassen sich aus der Betrachtung der einzelnen in Tabelle 2 dargestellten Prozessschritte gewinnen. Die 48 Unternehmen, die digitale Zwillinge bereits einsetzen oder dies planen, gaben hierfür insgesamt 186 Prozessschritte an. Im Durchschnitt gaben die Unternehmen nur 3.875 von 13 zur Auswahl stehen Prozessschritten an. Insgesamt zeigen die Ergebnisse eine bewusste Auswahl der Schritte, in denen digitale Zwillinge für die Wertschöpfung entlang der Phasen des Produktlebenszyklus eingesetzt werden sollen.
In der BoL-Phase wurden die Produktentwicklung und die Produktion von 68% bzw. 66% der Unternehmen als Einsatzgebiet digitaler Zwillinge angegeben, die Produktplanung auf dem dritten Platz von 53% der Unternehmen. Es kann davon ausgegangen werden, dass digitale Zwillinge häufig in der Produktentwicklung eingeführt werden und erst anschliessend in den nachfolgenden Produktionsprozessen zum Einsatz kommen. Zudem sind die in diesen beiden Prozessschritten generierten Werte aufgrund der hohen Datenverfügbarkeit vergleichsweise leicht zu quantifizieren, was Investitionsentscheidungen deutlich erleichtert.
Marktseitige Prozessschritte wie die Kunden- und Marktanalyse oder Marketing und Vertrieb wurden dagegen mit 26% bzw. 37% deutlich weniger häufig genannt. Interessanterweise sind die Ergebnisse der Unternehmen, die bereits digitale Zwillinge anwenden, in allen Prozessschritten der BoL-Phase höher als jene der Unternehmen, welche die Anwendung digitaler Zwillinge planen. Im Durchschnitt werden digitale Zwillinge in 3,33 von 6 (56%) Prozessschritten angewendet und in 2,5 von 6 Prozessschritten (42%) geplant.
In der MoL-Phase setzen 75% der Unternehmen digitale Zwillinge zur Wertschöpfung mittels Wartung und Service ein. Bei den Unternehmen, die den Einsatz digitaler Zwillinge erst planen, gaben sogar 85% an, damit Werte in dieser Phase schaffen zu wollen. Dies könnte wiederum daran liegen, dass diese Mehrwerte einfach zu quantifizieren und zu vermarkten sind, da die dafür benötigten Daten, die Zahlungsbereitschaft der Kunden und die Verträge für Service und Wartung oft schon vorliegen. Darüber hinaus führt die Anwendung digitaler Zwillinge für diesen Prozessschritt vermutlich zu einer Steigerung der Kundeninteraktion, -bindung und -zufriedenheit. Leistungsoptimierung und Upgrades oder Updates spielen mit 59% bzw. 52% ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Schulung hingegen wird mit nur 34 % eine weniger wichtige Rolle zugewiesen. Unternehmen, welche digitale Zwillinge anwenden, gaben auch in der MoL-Phase mehr Prozessschritte an als diejenigen, die ihre Anwendung nur planen, allerdings nicht so deutlich wie in der BoL-Phase. Wartung und Service wurde sogar relativ häufiger von den Unternehmen gewählt, welche digitale Zwillinge lediglich planen.
In der EoL-Phase schliesslich werden Wiederverkauf und Recycling mit jeweils 71% als sehr relevant angesehen. Dies ist jedoch zu relativieren, da nur 7 von 48 Unternehmen die EoL-Phase überhaupt als bedeutsam für den Einsatz von digitalen Zwillingen ansehen.
Im letzten Blog-Beitrag werden die durch digitale Zwillinge generierten Werte präsentiert sowie die Erkenntnisse der Studie abschliessend diskutiert.
Barth, L., Ehrat, M., Galeno, G., Holler, M., & Savic, N. (2022). Value Generation in the Product Lifecycle with Digital Twins: Status Quo in Swiss Companies. Proceedings of the 55th Hawaii International Conference on System Sciences (HICSS 2022), Hawaii.