Annie Leibovitz, Richard Avedon oder auch Ren Hang gehören zu den bekanntesten zeitgenössischen Fotograf:innen der Welt. Ihre Werke hängen in renommierten Galerien weltweit. Und seit dem Herbstsemester 2022 sind sie auch im digitalen Ausstellungsraum «studio-iam.ch» der ZHAW zu sehen – in exklusiven Neuinterpretationen von Studierenden.
Von Kathrin Grissemann und Marius Born
Titelbild: Ren Hang interpretiert von Nubya Lienhard + Lea Göldi
Wie schafft man es, Studierende für die Fotografie zu begeistern und ihnen sowohl Theorie als auch Berufs-Praxis in vier Werkstatt-Tagen näherzubringen? Vor dieser Herausforderung stehen die Dozierenden Marius Born, Kathrin Grissemann und Stefan Tschumi jeweils, wenn sie die Erstsemester-Werkstatt «Fotografieren» im Bachelor Kommunikation am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW vorbereiten und durchführen. Wie können fachliches fotografisches Know-how wie beispielsweise Blende, Verschlusszeit oder ISO-Wert eingeführt werden? Welches Wissen soll vermittelt werden, wenn es um Themen wie Bildfälschungen, Bildbearbeitungen oder Bildrechte geht? Was ist relevant für die Studierenden, wenn sie später im Berufsleben mit Fotograf:innen zu tun haben und diesen beispielsweise in einer Kommunikationsagentur Aufträge erteilen müssen?
Studio-IAM – ein digitaler Ausstellungsort
Mit studio-iam.ch haben Born, Grissemann und Tschumi ein Format entwickelt, das all diese Aspekte auf praxisbezogene Weise involviert – und das Erlernte auch nach aussen kommuniziert. Studio-iam.ch ist der digitale Ausstellungsort, an dem die Studierenden ihre Fotografien aus der Werkstatt zeigen. Doch studio-iam.ch ist noch viel mehr. Es ist ein Ort, an dem ausprobiert, hinterfragt, genau hingeschaut, verglichen, besprochen – und für den natürlich fotografiert wird. Entstanden als spontane Idee, wurde daraus nach und nach ein umfassenderes Projekt, das umsetzt, worauf professionelles Kommunizieren letztlich abzielt, nämlich Öffentlichkeit herzustellen, das eigene Schaffen ins Schaufenster zu rücken und dabei in einen Dialog zu treten.
Vorbilder der zeitgenössischen Fotografie neu interpretiert
Es sind jeweils bekannte Vorbilder aus der zeitgenössischen Fotografie, die von den Studierenden auf eigene Weise interpretiert werden sollen. Das heisst zum Beispiel ein «Close-Up» im Stile des deutschen Fotografen Martin Schoeller zu fotografieren und dabei ein eigentümliches Leuchten in den Augen zu erzeugen. Das kann heissen, jemanden von ganz nah ins Gesicht zu blitzen, das Licht indirekt zu setzen, es zu reflektieren. Oder ein von Annie Leibovitz inspiriertes Fotostudio aufzubauen – mit absichtlich kaputtem Hintergrundpapier, Klammern und Stühlen. Diese Idee leitet 2016 die grosse Wende des legendären Pirelli-Kalenders ein: Weg vom Pin-Up, hin zu starken Frauen aus allen Lebensbereichen. Das Resultat: Der IAM/Pirelli Kalender 2023.
Talente entdecken und sichtbar machen
Im Studium geht es nicht um eine nachahmende Darstellung, wie sie in der platonischen Philosophie als Mimesis bezeichnet wird. Das Konzept entspricht eher der Diegesis, also der erzählenden Vermittlung, einem bewussten Ausbruch aus der engen Vorlage und einer schöpferischen Neuinterpretation des berühmten Vorbilds. Dass daraus sehr viel Kreatives, Überraschendes und Eigenständiges hervorgehen kann, beweisen die höchst unterschiedlichen und mitunter eigenwilligen fotografischen Werke auf studio-iam.ch. «Besonders gefreut hat mich, dass viele Studierende Mut hatten, eigene Wege zu beschreiten», sagt Marius Born, Dozent für visuelle Kommunikation am IAM. «Mut zu haben, zahlt sich aus, denn aufmerksamkeitsökonomisch ist alles, was nicht 08/15 ist, im Vorteil.» Die Bilder sind meist unter grossem Zeitdruck und im Teamwork entstanden, was zusätzliche kreative Energien freigesetzt hat. «Ich finde es toll, dass man sich kreativ ausleben und so neue Interessen entdecken kann», sagt stellvertretend für viele Noé Schlumpf, Student im Bachelorstudium Kommunikation am IAM. Das Entdecken von Interessen und Talenten steht regelmässig am Beginn einer erfolgreichen und erfüllenden beruflichen Karriere. «Kommunikationsberufe sind vielgestaltig, und wenn es gelingt, am einen oder anderen Ort zu einer zukunftsträchtigen Weichenstellung beizutragen, macht uns das glücklich», sagt Fotografie-Dozentin Kathrin Grissemann.
Kreativer Prozess im Teamwork
Studio-iam.ch ist das Resultat von Teamwork auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Phasen des Entstehungsprozesses. Zwei Studierende in höheren Semestern, Aline Baumgartner und Samuel Schneider, pflegten im Rahmen eines sogenannten ProjektPlus-Moduls die Arbeiten auf der Webseite ein, realisierten ein Behind-The-Scenes-Video der Werkstatt und konzipierten Social-Media-Posts für die Bewerbung der Site. Der Fokus bei studio-iam.ch lag – bei einem digitalen Ausstellungsort nicht überraschend – auf dem visuellen Gestalten, wobei am IAM auch dem Zusammenspiel von Bild und Text eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Dabei unterstützten die Dozentin für Deutsch Eva Bachmann und das Deutsch-Team die Studierenden im Rahmen der Schlussredaktion. Mit etwas zeitlicher Distanz überprüften die Studierenden zu Beginn des zweiten Semesters ihre Texte noch einmal und führten die Schlussredaktion durch. Sie lernten dabei, wie sie Bezüge zwischen Sprache und Fotografien herstellen und damit ein wirkungsvolles Gesamtprodukt gestalten können. Auch hier spielte Teamwork eine wichtige Rolle: Wie zuvor bei der Besprechung der fotografischen Arbeiten präsentierten die Studierenden ihre Textlösungen ihren Peers und gaben sich Rückmeldungen zur Wirkung. Und wie immer beim kreativen Arbeiten ging es darum, gute Lösungen durch bessere zu ersetzen.
Ob das gelungen ist? Martin Schoellers weltbekannte «Close-Ups» oder Annie Leibovitz Pirelli-Kalender auf neue Art entdecken: Zu sehen, neben vielen weiteren Werken, auf studio-iam.ch, unserem digitalen Ausstellungsraum, der sich laufend weiterentwickelt.
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