Was darf Integrität kosten?

Skandale und Korruptionsvorwürfe wie bei der FIFA oder bei VW schrecken auf. Am IAP Impuls 2016 wurden die Gefahren und Folgen von Integritätsverlusten aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.

Von Joy Bolli, Redaktorin ZHAW Angewandte Psychologie

„Ein Unternehmen, das ein Integritätsproblem hat, hat nicht nur bei den Kunden ein Problem. Es hat auch keine Chance die besten Talente anzuziehen – und die sind gerade in unserem Bereich essentiell.“ Urs Breitmeier, CEO der RUAG nimmt in seiner Präsentation über Integrität kein Blatt vor den Mund. Er hat auch kein Problem, sich die Frage stellen zu lassen, ob ein Waffenlieferant per se überhaupt integer sein kann. In seinen Augen ist die Frage für alle wichtig. Man müsse sich immer wieder fragen, ob das, was man tue – und wie man es tue – richtig sei. In seinem Vortrag „Integrität als Erfolgsfaktor im internationalen Umfeld“ zeigt er die Spannungsfelder von Kultur bis Rechtsstaatlichkeit auf. „Es gibt gewisse Grundregeln“, so Breitmeier, „an die man sich halten muss, ohne sich selber zu verleugnen. Dazu gehören Respekt, Transparenz und Zuverlässigkeit. Mit diesen Grundregeln kann man eigentlich in der ganzen Welt sauber Geschäfte machen.“

https://youtu.be/OU7PHxCuPDk

Die Kirche als perfekte Welt?

Das Thema „Integrität“ stiess auf grosses Interesse. Bereits zwei Wochen nach dem Versand der Einladungen, war die Veranstaltung IAP Impuls 2016 ausgebucht. „Wir hatten bereits sehr früh eine Warteliste“, erklärt Christoph Negri, Leiter des IAP Institut für Angewandte Psychologie. „Die Leute schätzen, dass es immer um ein sehr aktuelles Thema geht und hochkarätige Podiumsgäste eingeladen sind.“ Unter den diesjährigen Gästen waren Firmenvertreter von Siemens und KPMG, aber auch ein Vertreter der Katholischen Kirche. Die grösste private Organisation der Welt macht immer wieder negative Schlagzeilen und verliert aufgrund des Integritätsverlustes auch immer mehr „Kunden“ – und damit Geldgeber. „Die Kirche hat ein riesiges Problem“, so Priester Erich Häring. „Sie sieht sich selbst als Hüterin der perfekten Ordnung auf Erden. Entsprechend ist es schwierig für ihre Vertreter, sich die Schwächen der Organisation einzugestehen“. Der Priester des Bistum Basel erklärte in der Podiumsdiskussion die Schwachstellen und deren Ursprünge. „Das Bild von Kirche als Societas perfecta geht auf den Heiligen Augustinus zurück, der selbst vor seiner Zeit als Gottesmann ein äusserst ausschweifendes Leben führte“, erklärte Häring. „Das ist bis heute eine Schwachstelle. Einerseits sind beispielsweise zöllibatäre Priester leichter kontrollierbar als Männer, die eine Frau zuhause haben. Andererseits schlägt die als sündig verstandene unterdrückte Sexualität bei Priestern in vielen Fällen durch die Hintertür zurück. Es ist daher wichtig, dass solches Fehlverhalten offen zur Sprache kommt. Endlich wird Nähe und Distanz in unserer Arbeit thematisiert.“

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Bewusstsein ist der erste Schritt

Dass der Lernprozess beim Thema Integrität meist über die Verfehlung stattfindet, zeigte sich auch in der weiteren Diskussion. Bei Vergleichen mit Firmen, die sich Compliance auf die Fahne geschrieben haben und Themen wie Nachhaltigkeit und Verantwortung gross auf ihrer Webseite propagieren, wurde schnell klar, dass alle diese Firmen bereits mit Fehlverhalten in den Schlagzeilen standen. „Wir sehen oft, dass die Bereitschaft, präventive Massnahmen einzuführen, steigt, nachdem eine Organisation einen Fall hatte“, meint Diana Gut vom Forensic Team der KPMG. Ihre Abteilung untersucht Schwachstellen in Organisationen und unterstützt bei der Prävention, der Aufdeckung und der Aufklärung von wirtschaftskriminellen Sachverhalten in Unternehmen und Behörden. „Die Erkenntnis, dass es auch im eigenen Unternehmen passieren kann, führt oftmals zu einem erhöhten Bewusstsein und einem Verständnis für allfällige Lücken im System.“

Einzelpersonen werden immer ein Risiko sein

Auch beim Siemens-Skandal, einem der grössten Korruptionsskandale der neueren Zeit, war dies der Fall. „Es ist nicht passiert, weil bei Siemens eine kriminelle oder arrogante Stimmung herrschte“, erklärt Garry Wagner, Head of Human Resources. „Das Gegenteil war der Fall. Keiner hätte so etwas für möglich gehalten, darum hat man auch die Antennen nicht ausgefahren.“ Während Wagners Erzählung von den harten Massnahmen, mit denen das Unternehmen das Vertrauen der Kunden und Märkte wieder erlangen musste, war die Betroffenheit im Publikum spürbar. „Keiner ist davor gefeit und einzelne Personen werden immer Sicherheitsrisiken sein“, so Wagner. „Deshalb ist es für jedes Unternehmen wichtig, dass einzelne Mitarbeiter oder auch Gruppen nicht die Kompetenz erhalten, ohne unabhängige Kontrolle über die Verwendung von Unternehmensmitteln verfügen zu können. Zusammen mit einer klaren Haltung gegenüber Compliance-Verletzungen hat man so ein wirksames Instrument, die eigene Organisation vor Integritätsverlusten zu schützen“.

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Die grossen „K“s der Integrität

Neben der Einschränkung von Kompetenzen, gibt es noch weitere „K“s, die eine wichtige Rolle spielen: Es braucht Klarheit im Unternehmen, also zum Beispiel klare Policies und Schulungen. Es braucht ausserdem Kontrolle. Hier spielt Compliance ein wichtiges Thema. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kultur, also wie gehen wir miteinander um, und wie stehen wir zu Fehlern? Und dann ist da das K, das für die Köpfe steht, also für die Menschen selbst. „Generell wird der Faktor Mensch zu wenig direkt miteinbezogen“, erklärte Simon Hardegger im Podium. Er leitet den Bereich Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie am IAP und weiss um die inneren Konflikte von Personen in schwierigen Situationen. „Man muss mehr in die Köpfe schauen, vor allem dort, wo das Risiko sehr gross ist. Dafür braucht es spezifische diagnostische Abklärungen, aber auch gezieltes Monitoring.“ Das wiederum wirft die Frage nach Konsequenzen auf, deren Antwort für alle Teilnehmenden eine klare Null-Toleranz-Haltung war. Bleibt noch ein letztes K: die Kosten. Wieviel darf Integrität kosten? Für viele Unternehmen ist das eine wichtige und gleichzeitig eine der schwierigsten Fragen. Wieviel gebe ich aus für Compliance, wie viele Leute stelle ich ein für Kontrolle und Schulung? Die Antwort kam von Garry Wagner: „10 Jahre nach dem Skandal bei Siemens sitze ich hier und muss noch immer Fragen zum Thema beantworten. Berechnen Sie die Kosten für Strafbeträge, die Kosten für Marketingmassnahmen, die vielen Entlassungen und Neueinstellungen, die Arbeit an der Reputation – und das über 10 Jahre und eventuell mehr. Dann haben Sie den Betrag, den es kostet, sich nicht effektiv um Integrität zu kümmern. Wenn Sie nur 10% dieses Betrages in den Schutz des Unternehmens investieren, haben Sie einen hervorragenden Return on Investment.“


IAP Impuls 2016web - 57Die Fachveranstaltung IAP Impuls bietet eine Informations- und Diskussionsplattform für Fach- und Führungspersonen. Renommierte Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Praxis diskutieren über aktuelle Themen, setzen diese in psychologische Kontexte und geben so neue Impulse. Der nächste IAP Impuls findet im März 2017 im Gartensaal des Kongresshaus Zürich zum Thema „Unternehmertum“ statt.


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