«Wenn ich nicht sagen kann: ‘Du machst das jetzt so, weil ich deine Chefin bin!’»

Bei der lateralen Führung geht es um das Führen auf Augenhöhe. Wie kann es möglich sein, Ziele zu erreichen und Menschen zu führen, wenn jemand keine formale Macht besitzt und somit keinen Druck ausüben kann? Und wen geht laterale Führung überhaupt etwas an? Sidal Alisa Lutterbach vom IAP Institut für Angewandte Psychologie erklärt, um was es bei dieser Art der Führung geht und welche Mittel und Kompetenzen es braucht, um sie gelingend umzusetzen.

Interview: Kathrin Fink
Bild: Mohamed Hassan

Management-Schlagworte wie «agil» oder «Change» sind mittlerweile ins Bewusstsein vieler Menschen eingesickert. Aber «laterale Führung» sagt mir persönlich nicht viel. Wie würdest du diesen Ausdruck erklären?
Der Begriff «lateral» ist tatsächlich auf den ersten Blick nicht ganz eindeutig. Es gibt recht viele Synonyme wie «kollegiale Führung» oder «Führung ohne Weisungsbefugnis». Das Konzept an sich ist nicht neu, das gibt es schon seit den 60er-Jahren. Ich habe aber das Gefühl, dass der Begriff jetzt erst richtig in den Organisationen ankommt. Interessant finde ich, dass es eine Art der Führung ist, die oft nicht so «gelabelt» wird. Wir haben hier ein stereotypisches Denken: Führung ist von oben nach unten, also Top-Down. Als Führungskraft (mit Personalverantwortung) hat man z. B. die Salärverantwortung, ist für die Entwicklung der Mitarbeitenden zuständig und muss eventuell auch eine Kündigung aussprechen. Da denken wir, das ist Führung.

Führung fängt aber zuerst bei einem selbst an, indem man gut mit seinen Ressourcen haushaltet, eine Work-Life-Balance pflegt. Dann gibt es die Führung von unten nach oben, bei der man versucht, die eigene Führungskraft zu führen z. B. im Sinne von Feedback geben. Und schliesslich eben die laterale Führung – die Führung von der Seite, wo ich auf Augenhöhe zu meinem Gegenüber stehe. Hier führe ich meine Kolleginnen und Kollegen bei denen ich eben nicht sagen kann: ‘Du machst das jetzt so, weil ich deine Chefin bin!’.

Wenn man als «klassische» Führungsperson ein Team führt, kann man schnell denken, dass die Führung von Kollegen/-innen einen selbst nichts angeht. Ist dem so?
Solche Aussagen höre ich oft in der Praxis. Interessanterweise kann es alle Personen in Unternehmen betreffen und meint nicht, dass Führungskräfte mit Personalverantwortung nie in eine Situation geraten, in der sie nicht ihre Kollegen/-innen auf gleicher Stufe führen müssen.

Ist es denn nötig meine Kollegen/-innen zu führen? Ist das meine Verantwortung als Mitarbeitende?
Was wir sehen, ist eine starke Veränderung des Arbeitsmarktes z. B. durch die Digitalisierung und Internationalisierung von Unternehmen. Von aussen kommt der Druck in die Firmen mit dem ständigen Wandel umzugehen und sich anpassen zu können. Besonders gut sieht man das in der Projektarbeit. Hier kann man nicht immer ein festes Team mit einer Führungsperson bilden, wenn es um einen überschaubaren Zeitraum geht. Wir wissen, dass die Telekommunikationsbranche sehr schnelllebig ist. Wenn zum Beispiel eine Firma ein neues Internet-Abo lancieren möchte, ist solch ein Vorhaben am Anfang oft ein Projekt. Da kommen Mitarbeitende aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen und auch wenn es eine Person gibt, die das Projekt leitet, hat diese Person meist keine formale Macht. Sie ist also nicht fest im Organigramm auf Kaderebene verankert und hat, was die Führung des Projekts angeht, nur die Möglichkeit der lateralen Führung.

Wann funktioniert laterale Führung gut?
Als Rahmenbedingung braucht es einen ganz, ganz klaren Auftrag: Wer ist der/die Auftraggeber/in, welche Unterstützung bekomme ich, was für Ressourcen habe ich zur Verfügung? Das muss von oben aus der Hierarchie, also Top-down, klar formuliert sein. Auch ist eine Klärung des Rollenverständnisses wichtig. Was ist meine Rolle als laterale Führungskraft, was erwarte ich und was erwarten die anderen von mir?

«Bei lateraler Führung geht es viel
um Beziehungsmanagement. »

Mir scheint, bei der lateralen Führung hängt sehr viel von mir als Person ab. Welche Verhaltensweisen sind da förderlich bzw. nicht?
Letztendlich geht es bei der lateralen Führung viel um Beziehungsmanagement und effektive Kommunikation. Es braucht starke menschliche Kompetenzen: Ich muss herausspüren, was den Leuten wichtig ist – denn ich will ja etwas von ihnen haben. Es kommt auch sehr darauf an, als Person eine bestimmte Ausstrahlungskraft und Überzeugungskraft zu haben. Kurz gesagt: Die Leute müssen einen mögen und den Sinn in der Arbeit erkennen. Dann sind sie auch bereit ein Commitment einzugehen.

Um Ihnen ein genaueres Bild einer lateralen Führungssituation zu geben, haben wir uns hier ein Praxisbeispiel ausgedacht.

Beispiel aus der Praxis
Frau Müller arbeitet in einem Technik-Unternehmen als Leiterin Verkauf. Sie führt ihr Team auf klassische Weise, also Top-Down. Nun gibt es innerhalb des Unternehmens eine enge Zusammenarbeit mit der Abteilung Produktion. Diese stellt die Produkte her, die nachher die Verkaufsabteilung vermarkten muss. Da Frau Müller aber keine Weisungsbefugnis gegenüber ihrem Kollegen dieser Abteilung hat, muss sie auf andere Mittel zurückgreifen, um sicherzustellen, dass ihr Team gut mit der Produktion zusammenarbeitet.
Was sind konkrete Schritte von Frau Müller, um erfolgreich lateral zu führen?
Frau Müller verdeutlicht das gemeinsame Ziel und den Nutzen der Zusammenarbeit. Sie versucht nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe zu kommunizieren und Transparenz in ihrem Vorhaben zu zeigen. Im nächsten Schritt ist eine Rollenklärung sinnvoll, bei der die eigenen Erwartungen offengelegt und die der anderen Person erfragt werden.
Begriffserklärung
Das Wort «lateral» ist lateinisch und bedeutet seitlich.

Sidal Alisa Lutterbach ist Studienleiterin des CAS Laterale Führung (flex) und Beraterin im Bereich Leadership, Coaching und Change Management am IAP Institut für Angewandte Psychologie.

Laterale Führung lernen – Weiterbildungen am IAP
Der zwei Tage dauernde Weiterbildungskurs Lateral führen in der Praxis vermittelt Grundlagen und bildet die Basis zum umfangreicheren Certificate of Advanced Studies.
Im CAS Laterale Führung (flex) – Führen ohne Macht setzen sich die Teilnehmenden intensiv mit Kompetenzen und Inhalten auseinander, die sie in ihrer Funktion neben der Fachexpertise benötigen, um unterschiedliche Rollen optimal gestalten zu können.

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