IAP-Studie: «Der Mensch in der Arbeitswelt 4.0»

Unsere Arbeitswelt ist von grundlegenden Transformationsprozessen betroffen. Die Rede ist von der 4. Industriellen Revolution. Veränderungen wie das Internet der Dinge, Künstliche Intelligenz, Robotics, Big Data & Cloud Computing wirken sich nicht nur auf Prozesse, Dienstleistungen und das Entstehen neuer Geschäftsmodelle aus. Unser grundlegendes Verständnis von Arbeit und von der Rolle des Menschen im Arbeitsprozess steht auf dem Prüfstand.

Von: Anna-Lena Majkovic, IAP Institut für Angewandte Psychologie

In Wissenschaft und Praxis wird bisher wenig thematisiert, wie einzelne Berufsgruppen die Digitalisierung fachlich und persönlich einschätzen. Diesen thematischen Fokus hat das IAP Institut für Angewandte Psychologie in einer zweiteiligen Studie aufgegriffen. Im ersten Teil der Untersuchungsreihe wurden 629 Personen (ein Drittel KMU, zwei Drittel Grossunternehmen) mittels einer quantitativen Online-Befragung zu den Themen «Mobil-flexibles Arbeiten»,  «Personalentwicklung und Lernen in Organisationen», «Führung 4.0», «Kommunikation, Erreichbarkeit und Gesundheit», sowie «Arbeits- und Führungskräfte der Zukunft» befragt. Zentrale Ergebnisse der Studie Teil 1 waren u.a., dass die Digitalisierung eher als positiv empfunden wird. Besonders geschätzt wurde mobil-flexibles Arbeiten. Als Schattenseiten gelten die ständige Erreichbarkeit oder Arbeitsplatzunsicherheit.

Im 2. Teil der IAP-Studie wurden strukturierte Interviews mit 23 Fach- und Führungskräften aus unterschiedlichen Branchen und Unternehmen der Schweiz (Schwerpunkt Grossunternehmen) durchgeführt. Im Mittelpunkt der Interviews standen Praktiken und Erleben in der Arbeitswelt 4.0. Ziel dieser qualitativen Studie war es, die Funktionsgruppen Führung, HR-Management, Ausbildung/PE-Management und Technologiemanagement zu ihrer Einschätzung des digitalen Strukturwandels für die eigene Funktion und für das Unternehmen als Ganzes zu befragen.

Chefs müssen Chancen aufzeigen

Die befragten Führungskräfte berichten, dass zukünftige Führungsansätze vermehrt die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden stärken und eine Unternehmenskultur des Vertrauens etablieren sollten. Sie sehen eine Veränderung ihrer Führungsrolle hinsichtlich des zunehmenden Coachings von Mitarbeitenden. Angesichts der steigenden Komplexität in der Projektgestaltung und des Informationsüberflusses in Entscheidungsprozessen sind sie vermehrt als Orientierungshelfer und Prozessbegleiter gefordert.

«Es ist wichtig, [als Führungskraft] Verunsicherungen abzubauen. Man muss Chancen, Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter aufzeigen. Es gilt eine nachvollziehbare und solide Strategie zu entwickeln, in welche Richtung es kurz- und langfristig gehen soll.»  
Rolf Roos, Director Software Development, Komax AG

 

Bewerber erwarten heute mehr

Gemäss der befragten HR-Verantwortlichen hat sich der Einsatz von Social Media im Talent Recruiting fest etabliert. Weitere wesentliche Veränderungen in der HR-Funktion beziehen sich auf die frühzeitige Netzwerkpflege zu potentiellen Bewerberinnen und Bewerbern, zum Beispiel via Praktika und Betreuung von Masterarbeiten. Die HR-Experten stellen in diesem Zusammenhang die Entwicklung in Richtung eines «Job Seeker’s Market» fest; potentielle Kandidatinnen erwarten «Active Sourcing», die direkte Ansprache durch Unternehmen. Insbesondere junge Bewerber suchen sich zunehmend ihre zukünftigen Arbeitgeber entsprechend des digitalen Fortschritts und der digitalen Zukunft der Unternehmen aus.

«In das Thema Image investieren wir sehr viel Effort, um als moderner Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.»
Daniela Angius-Braun, Head of Human Resources, Würth International AG

 

Lernen im Job ist wieder «in»

Verantwortliche aus dem Bereich «Learning & Development» stellen eine substantielle Abnahme an Präsenzkursen gegenüber einer Zunahme an digitalen Lernangeboten bzw. der verstärkten Nutzung von «70:20:10–Lernmodellen» fest. Das betriebliche Lernen wird zunehmend in den Arbeitsalltag integriert. Die Wissensaneignung findet vermehrt über E-Learning und digitalisierte Lernangebote statt. Lerneinheiten sollen jederzeit und individuell abrufbar sein und vor allen Dingen auch das Lernen durch Vernetzung fördern. Daher werden in den Unternehmen zunehmend Lern- und Kollaborationsplattformen eingerichtet, welche unter anderem das «Peer to Peer»-Learning unterstützen.

«Ich gehe davon aus, dass der Frontalunterricht zunehmend ersetzt wird. Vorne stehen und wissen, wie es geht, und dann den Leuten sagen: So müsst ihr es machen. Das ist vorbei.»
Gabriele Brönimann, Ausbildungsleiterin, SRF Schweizer Radio und Fernsehen

 

Digitales Mindset braucht neue Organisationsstrukturen

Mit besonderer Spannung haben wir die Ergebnisse der Befragung von Technology-Expertinnen und -Experten erwartet. Für sie liegt die Herausforderung darin, ein «digitales Mindset» in der Belegschaft zu etablieren, welches agiles, flexibles und schnelles Handeln ermöglicht. Als weitere Schwierigkeit wird die unterschiedliche Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden im digitalen Wandel identifiziert. Der Aufbau einer konstruktiven Fehlerkultur wird ebenfalls als Herausforderung in der Gestaltung des digitalen Wandels angesehen. Digitale Innovationsprojekte erfordern die Etablierung neuer Organisationsstrukturen und die kritische Reflexion bisheriger Prozessstrukturen. Allerdings erschweren engmaschige Controlling- und Compliance-Vorgaben innovatives und kreatives Denken der Mitarbeitenden.

«Man wird in der Digitalisierung nicht erfolgreich sein, wenn man technisch interessante Sachen macht, die aber betriebswirtschaftlich nicht viel bringen. Deswegen brauchen wir Technologie-Experten mit Geschäftsverständnis.»
Dr. Enrico Senger, VP Digital Innovation / Digitize the Field, Aufzugs- und Fahrtreppenhersteller Schindler

 

Fazit

Die Arbeitswelt 4.0 ist ein interdisziplinäres und komplexes Themenfeld, das ganzheitlich aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden muss. Neben der bedeutenden Rolle der Technologie wird die Gestaltung von kooperativen interdisziplinären Arbeits- und Lernformen noch wichtiger. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass man neben den technologischen Innovationen und den damit verbundenen Veränderungen der Arbeitswelt den Menschen als aktiven Gestalter der Transformation nicht vernachlässigen darf. Der Mensch gestaltet als zentrale Figur den digitalen Wandel und eröffnet sich somit neue Gestaltungs- und Handlungsspielräume. 


Dr. Anna-Lena Majkovic ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie. Nach dem Studium der Psychologie an der Freien Universität Berlin und der Monash University, Australien promovierte sie im Themenfeld Innovationsförderung und Teamprozesse an der University of Kent, UK. Seit 2012 ist sie am IAP unter anderem mit dem Schwerpunkt Bildungsmanagement, Arbeitswelt 4.0 und Interkulturelle Kompetenz tätig. In diesem Zusammenhang leitet sie das interdisziplinäre Weiterbildungsprogramm «Modul Interkulturelle Kompetenz – Internationale Studienreisen» am IAP.  

 


 

 

 


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