„Wenn du nie scheiterst, steckst du deine Ziele zu tief“

Daniel Albrecht wollte schon als Kind Ski-Weltmeister werden. Er erreichte alles, was er sich vorgenommen hatte – auch nach seinem lebensverändernden Unfall 2009. Im November erzählt er am IAP Dialog «Scheitern – und weiter?!», wie er sich ins Leben zurück gekämpft hat. Uns hat er im Interview verraten, warum es für ihn kein «Scheitern» gibt.

Daniel, du hast sehr früh mit dem Skirennsport begonnen. Wie bist du als junger Mensch mit Niederlagen umgegangen?

Als Kind war ich immer sauer, wenn es nicht zum Sieg gereicht hatte. Ich haderte mit mir und meiner Leistung und versuchte – wie die anderen auch – Fehler zu vermeiden und Schwächen zu verbessern. Ich hatte aber das Glück, dass mein Vater, selber Skibob-Weltmeister, mich regelmässig zu den Kinder- und Juniorenrennen begleitete. Er hat ein sehr ruhiges Wesen und wusste instinktiv, was er sagen musste, wenn ich mal wieder unzufrieden mit einem Resultat war. Statt zu schimpfen oder zu belehren, resümierte er: „Stimmt, es war nicht alles perfekt, aber grundsätzlich war das eine ganz gute Leistung.“ Mein Vater brachte mir das Wichtigste überhaupt bei, nämlich mit mir selbst zufrieden zu sein. „Konzentriere dich auf das, was du gut kannst, trainiere hart und gib dein Bestes“, wiederholte er immer wieder, „dann darfst du mit dir selbst zufrieden sein, egal was die Tabelle oder der Trainer sagt.“ Diese Einstellung hat mich bis an die Weltspitze getragen, auch wenn mich solche Aussagen als Kind richtig auf die Palme brachten.

Warum hast du dich darüber geärgert?

Weil ich enttäuscht von mir war und seine Bestätigung suchte, dass die Wut auf mich selbst gerechtfertigt war. Aber er war immer zufrieden mit mir. Kennst du das, wenn man so richtig sauer ist und das Gegenüber überhaupt nicht mitspielt? Als Kind hat es mich unglaublich geärgert, dass er immer so zufrieden war, obwohl es offensichtlich gute Gründe gab, es nicht zu sein. Im Nachhinein weiss ich, wie wichtig das für meine Entwicklung war. Ich habe bei Kollegen miterlebt, wie man sich fühlt, wenn man in solchen Momenten von der Bezugsperson harsch kritisiert wird. Es hiess dann: „Dieses hättest du besser machen sollen, jenes war Mist und sowieso hast du dir keine Mühe gegeben.“ Die negative Haltung der Eltern und Trainer hat auch auf die Kids abgefärbt, sie verloren zusehends ihre Motivation und konnten die notwendige Energie für das viele Training und die langen Reisen nicht mehr aufbringen. Sie hatten einfach keinen Spass mehr daran, weil sie ständig auf das schauten, was sie noch nicht konnten, auch wenn sie talentiert waren. Ständiges Negativ-Feedback lässt das Selbstvertrauen schwinden. Und die Fokussierung auf das, was noch nicht klappt, macht einen nicht besser, sondern vielmehr unglücklich.

Daniel Albrecht in Aktion beim Riesenslalom in Soelden 2008.  Albrecht gewinnt das Rennen. Foto: Sven Thomann

Heisst das, auf dem Weg zum Erfolg ist Lob besser als Kritik? Es geht weniger um Lob und Kritik. Es geht um intrinsische Motivation und Vertrauen in sich selbst. Bei Kindern kann man das gut beobachten. Eltern sagen oft: „Nein, da fährst du sicher nicht mit dem Fahrrad runter. Das ist viel zu steil, du könntest hinfallen, dich verletzen, das ist gefährlich.“ Dabei wird die eigene Unsicherheit oder Angst auf das Kind übertragen. Warum sagen wir nicht einfach: „Ja, genau das machen wir! Aber zuerst probieren wir es hier an diesem flacheren Hang.“ So sagt man nicht einfach „nein“. Man redet dem Kind keine Angst ein, sondern bestätigt seine Motivation und hilft ihm, den eigenen Entscheid und sich selbst besser einschätzen zu können, indem man es Schritt für Schritt heranführt. Dasselbe gilt für Erwachsene, für Büroangestellte, für Vorgesetzte, für Jugendliche und natürlich auch für Spitzensportler.

Wie wichtig ist es, Fehler zu analysieren, um weiterzukommen?

Natürlich musst du als Top-Sportler auch die eigenen Fehler erkennen und darüber mit anderen diskutieren können. Aber die Grundhaltung darf nicht negativ belastet sein. Es geht ja darum, die Dinge zu verbessern. Das sollte mit einer positiven Haltung angegangen werden. Mein Vater wusste das. Mit seiner positiven Herangehensweise hat er eigentlich nur erreicht, dass ich von mir aus mehr erreichen wollte und selbst Wege suchte, an mir zu arbeiten und das, was ich schon gut konnte weiter zu verbessern. Jeder hat Schwächen und macht Fehler, aber das, was einen Sportler an die Weltspitze bringt, sind seine Stärken. Daran sollte man immer denken, wenn man mit Leuten arbeitet, die hoch hinaus wollen.

Über deinen schlimmen Unfall und wie du dich zurück gekämpft hast, wirst du am IAP Dialog im Detail sprechen. Was mich fasziniert ist, dass du nur sechs Monate nachdem du ein schweres Schädelhirntrauma erlitten hattest und aus dem Koma aufgewacht bist, bereits wieder auf den Skiern standst. Wie hast du das gemacht?

Schon während der Sportlaufbahn sagte mir mein professionelles Umfeld, ich sei mental sehr stark. Nach meinem Unfall habe ich auch von meinen Ärzten immer wieder gehört, dass ich über eine aussergewöhnliche mentale Stärke verfüge. Aber keiner konnte mir sagen, was mentale Stärke ausmacht, worin ihr Wesen liegt, wie sie sich entwickelt und ob man sie erlernen kann oder ob sie quasi „in den Genen liegt“. Später habe ich die Ausbildung zum Mentaltrainer gemacht. Nicht, um als Mentaltrainer zu arbeiten, sondern vielmehr um herauszufinden, was mich mental stark gemacht hat. Ich wollte für mich selbst diese Antwort finden, wissen, warum ich über die notwendige mentale Widerstandsfähigkeit verfüge, die es mir möglich machte, nach meinem Unfall wieder zurück ins Leben zu finden.

Wie sieht „scheitern“ heute für dich aus? Woran „scheiterst“ du in deinem zweiten Leben als (Mental-)Trainer?

„Scheitern“ gibt es nicht. Ich sehe die schwierigen Momente als lehrreich oder positiv an. Das ist natürlich nicht immer so einfach, gerade auch in der Berufswelt. Aber im Sport habe ich gelernt: Um wirklich gut zu sein, musst du Fehler machen und auch mal ein gestecktes Ziel nicht erreichen. Es ist ein ständiger Lernprozess, in dem du immer besser wirst. Je mehr du scheiterst, desto mehr lernst du, und je mehr du lernst, desto besser wirst du. Wenn du nie in deinem Leben scheiterst, hattest du entweder unverschämtes Glück oder du hast einfach deine Ziele zu tief gesetzt.


Daniel Albrecht wurde 2007 als 23-Jähriger Weltmeister in der Super-Kombination und Vizeweltmeister im Riesenslalom. Es folgten mehrere Weltcupsiege. 2009 stürzte er schwer und erlitt ein lebensbedrohliches Schädelhirntrauma mit diversen Einblutungen. Nachdem er aus dem Koma erwachte begann für ihn der Kampf zurück ins Leben. Nur sechs Monate nach seinem Sturz stand er wieder auf den Skiern. Ein Jahr später fuhr er wieder Skirennen. Heute arbeitet Daniel Albrecht unter anderem als (Mental-)Trainer.

Am IAP Dialog „Scheitern – und weiter?!“ erzählt er anhand eindrucksvoller Bilder und Videos seine Geschichte und erklärt, wie er die mentale Stärke fand, nach dem Sturz den beruflichen Weg und vor allem sich selbst wiederzufinden.


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