Die neue Welt der Online-Beratung

Digitalisierung und mediale Vernetzung machen auch vor Beratungsangeboten keinen Halt. Psychologische Beratungen werden bereits über Online-Kanäle wie Chat, Mail, SMS oder Foren angeboten. Für Klientinnen und Klienten bietet dies verschiedene Vorteile wie zum Beispiel einen leichteren Zugang, örtliche Unabhängigkeit sowie zeitliche Flexibilität. Aus Studien geht hervor, dass die Form der Beratung keinen wesentlichen Einfluss auf den Beratungserfolg hat. Deshalb haben auch wir das Experiment gewagt.

Von Anita Glenck, Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie

Online-Beratung am IAP

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Es begann am Strategietag in unserer Abteilung Berufs-, Studien- & Laufbahnberatung. Wir erhielten eine erste Einführung in ein neues Online-Beratungstool. Meine anfängliche Haltung war klar: Beraten ohne mit dem Gegenüber physisch in Kontakt zu sein? Für mich undenkbar. Neben dem persönlichen Kontakt sehe ich den Verlust an Kommunikations- und Interaktionskanälen wie nonverbale Signale über Mimik und Gestik. Hinzu kommt einmal mehr die Abhängigkeit von einem elektronischen Tool.

Bei all der aufkommenden Skepsis hinterfragte ich mich: Bin ich vielleicht doch nicht so offen gegenüber Neuem, wie ich bisher von mir dachte? Könnte Online-Beratung nicht auch ungeahntes Potenzial bergen? Vielleicht könnte der mediale Zugang zu Klienten für die Beratung sogar hilfreich sein? Vermindert die Reduktion der Sinneseindrücke auch die Ablenkungen? Und kann man die Themen in der Beratung dadurch vielleicht gezielter angehen? Je mehr ich darüber nachdachte, desto verlockender erschien mir die Vorstellung, es auszuprobieren. Sich darauf einzulassen, könnte spannende neue Möglichkeiten mit sich bringen und einen Zugang zu neuen Methoden und Ansätzen in der Beratung ermöglichen.

Erstes Erkunden der CAI-World

Kaum zu Ende gedacht, fand ich mich bereits mit Headset ausgestattet vor dem Computer wieder, und versuchte, mit den Tools unseres neuen Software-Programmes „CAI World“ vertraut zu werden. Der Login funktionierte einwandfrei. Nach ersten kleinen Pannen mit Bild und Ton sah ich mich aber für kurze Zeit in meinen Vorbehalten bestätigt. Als mein Gegenüber dann endlich auf dem Bildschirm erschien, gelang es uns beiden, uns auf das Experiment einzulassen. Neugierig erkundeten wir die unterschiedlichen Zusatzfunktionen und Coaching-Tools. Zur Verfügung standen eine Chatfunktion, ein digitales Whiteboard, eine Bildergalerie, ein Soziogramm für die grafische Darstellung des sozialen Umfeldes, ein Ressourcenbaum zur Erarbeitung der eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten und vieles mehr. Ich bemerke, wie meine anfängliche Skepsis während des Ausprobierens schwand und sich eine kindliche Begeisterung einstellte.

Mobile Beratung für mobile Klienten

Dann kam die Pilotberatung, welche ich in einer Mischung aus Face-to-Face und Online-Beratung durchführte. Sie vermittelte mir einen ersten Eindruck der Beratungsvielfalt in der digitalen Welt. Die Ergänzung der Präsenzberatung durch Online-Treffen war sowohl für meine 19-jährige Klientin, wie auch für mich eine spannende Erweiterung – wobei sie mit Online-Medien durchaus vertrauter wirkte als ich. Für sie war es von Vorteil, dass sie die Beratungen von Zuhause aus durchführen und sich den Anfahrtsweg sparen konnte. Mein Eindruck war, dass für sie meine physische Abwesenheit keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Beratungsqualität hatte. Für mich hingegen war dies gewöhnungsbedürftig, auch wenn nicht in dem Ausmass wie befürchtet. Zuweilen kam es zu kleinen Koordinationsschwierigkeiten mit den unterschiedlichen Funktionen des Programmes. Auch war es für mich schwierig abzuwägen, wie viele und welche meiner Beratungsnotizen ich elektronisch auch für meine Klientin sichtbar machen sollte. Hingegen war es interessant zu erleben, dass die Konversation viel schneller zu den zentralen Themen führte. Nebst den multimedialen Möglichkeiten dürfte eine der weiteren Stärken der Online-Beratung in dieser Effizienz liegen.

Das Fazit: In meiner anfänglichen Befürchtung, bei der Online-Beratung handle es sich um eine technische Spielerei, die für unsere Arbeit unpassend sei, sah ich mich nicht bestätigt. Die Beratung über das Internet zeigte sich sowohl für meine Klientin wie auch für mich als hilfreiche Ergänzung zur herkömmlichen persönlichen Beratung. Auch wenn meine geringe Erfahrung in der digitalen Beratung noch keine abschliessende Beurteilung erlaubt, bin ich überzeugt, dass diese Form ihren Platz in unserem Beratungsalltag finden wird. Für welche Klientinnen und Klienten die Online-Beratung besonders geeignet ist und welche Themen sich mit in dieser Form noch effizienter bearbeiten lassen, werden uns künftige Erfahrungen lehren.


Online-Beratung am IAP

Seit Mai 2016 bietet das IAP Berufs-, Studien- & Laufbahnberatung auch online an. Die Kombination aus persönlichen Gesprächen und Online-Treffen macht den Prozess der Beratung flexibler und integriert visuelle, kreative Instrumente, die den Entwicklungsprozess unterstützen.


Anita_Glenck_0805_300x300pxZur Autorin
Anita Glenck arbeitet als Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie. Sie studierte Psychologie an der Universität Zürich und spezialisierte sich in Wirtschafts- und Personalpsychologie. Sie begleitet Menschen in allgemeiner Berufs-, Studien- und Laufbahnplanung sowie in der beruflichen Neuorientierung.


3 Kommentare

  • Danke Anita. Ein gutes Beispiel sich auf etwas neues einzulassen, mutig zu sein und auszuprobieren. Weiterhin viel Erfolg mit dem Projekt.

  • Als Coach ist so ein Tool wie “CAI World” ja nicht ganz billig. Gibt es eindeutige Gründe, die gegen die Verwendung von “einfacheren” und Tools (Skype, Facetime, geteilte Dokumente z.B. auf Google Docs/Slides, auf ein Blatt malen und dies in die Kamera halten, …) sprechen? Immerhin bringen solche Tools es ja auch immer mit sich, dass man in der Methodenauswahl und -anwendung sehr eingeschränkt ist.

  • Gegen die Verwendung von einfachen Tools spricht eigentlich nur die Datensicherheit und die Regelung der Eigentumsrechte an den Daten und dem Nutzungsverhalten.
    Die Eigentümer dieser Tools, also z.B. Microsoft (Skype) oder Facebook (WhatsApp) behalten sich in der Regel vor, z.B. das Nutzungsverhalten der User auszuwerten und zu kommerziellen Zwecken zu verwenden. In Punkto Sicherheit ist es zwar besser geworden. WhatsApp hat vor kurzem die sogenannte Ende-zu Ende-Verschlüsselung eingeführt. Nachrichten können nur noch von Sender und Empfänger entschlüsselt gelesen werden. Ob sich aber die Hersteller Hintertürchen offengelassen haben und die Daten trotzdem lesen können, ist nicht bekannt.

    Während einer Beratung werden viele sehr persönliche Informationen ausgetauscht. Zum Schutz der Kunden und Kundinnen, aber auch zum Selbstschutz lohnt es sich, bevor man ein Tool nutzt, genau zu überprüfen wie es mit der Sicherheit und den Datenrechten steht. Neben der Datensicherheit und dem rechtlichen Aspekt gibt es keine grundsätzlichen Einwände, die gegen die Verwendung eines ‚einfachen‘ Tools sprechen. Selbstverständlich sollte man sich immer überlegen, wie nützlich und zieldienlich ein Medium für den beabsichtigten Zweck ist.

    Hansjörg Künzli, Dozent am ZHAW Departement Angewandte Psychologie


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