PR in einer agonalen Welt

Wir entkommen ihr nicht. Wo wir auch tätig sind, ist sie offensichtlich: Die agonale Verfassung unserer Welt. Darunter verstehen wir die Tatsache, dass es zu jeder Meinung eine Gegenmeinung, zu jedem Fakt einen kritischen «Check», zu jedem Vorschlag einen begründbaren Einwand gibt.

von Prof. Dr. Peter Stücheli-Herlach und Fabienne Bünzli*

Unsere Welt ist ein gigantischer Wettstreit. Die Demokratie eine ewige Debatte. Die Wissenschaft ein institutionalisiertes Werweissen. Ja, so weit ist es gekommen mit dieser Aufklärung, da sind wir gelandet in dieser schönen neuen, in dieser «postmodernen» Welt (Lyotard; Holtzhausen / Zerfass).

Eine gute Nachricht ist das für Streitlustige: Was wir wissen, das eignen wir uns in Auseinandersetzungen an. Diese entwickeln sich überall und jederzeit: An der Aktualität («bad news», «good news» oder «fake news» aus Washington?), im Fernsehen (Demokratie oder Propaganda bei Jonas Projer?), oder gar zu Hause beim Nachtessen (ist fortschrittlich oder rückständig, wer mehr private Eigenverantwortung fordert?).

Eine schlimme Nachricht aber kann es für den Alltag sein: Zu schnell ist eine gute Idee schlechtgeredet. Und die Person, die Initiative ergreift, steht schon in der Kritik, bevor sie einen Tatbeweis erbringen kann.

Organisationskommunikation – also die Wissenschaft und die Kunst arbeitsteiliger Wertschöpfung – bleibt davon nicht unberührt. Was ist eine gute Strategie in pluralistischen Kundenmärkten? Wie wäre eine Umstrukturierung Mitarbeitenden zu vermitteln, die je ganz unterschiedliche Interessen verfolgen? Wofür genau brauchen wir den zentralen Corporate Newsroom, wo doch «micro-targeting» von Messages und Diversität das Gebot der Stunde sind?

Agonalität ist Alltag geworden. Die Einheits- und Integrationsphantasien von «Corporate Communications» stehen auf dem Prüfstand des digitalisierten Meinungsmarkts (Christen / Cornelissen). Die Arbeitsfelder – gerade in der Schweiz – sind mehrsprachig und multikulturell (bei Migros und Coop, bei Banken und Versicherungen). Der Berufsverband («pr suisse») pflegt den Föderalismus, die Unternehmensverbände und Weiterbildungen stellen sich dem internationalen Wettbewerb. Und der Computer sowie das ihn nährende Internet: Sie rechnen diesen ganzen Widerstreit in Echtzeit auf und zeigen ihn auf dem Bildschirm, auch zu Hause.

Vielfalt und Widerstreit als Markenzeichen: Werbung der Bundeswehr.

Agonalität auch in der Wissenschaft

Die Wissenschaft selber bietet dabei kein Bild von Klarheit und Orientierung, sondern eines von agonal operierenden «Schulen», von zersplitterten Forschungs-«Communities» und Theoriewelten. «Strategische Kommunikation», «Corporate Communication», «PR», «Stakeholder-Kommunikation» und «Business Communication»: Das sind nur fünf der zahlreichen Labels, an deren fröhliches Gedeihen sich gewöhnen sollte, wer nach Wahrheit im modernen Organisationsleben sucht.

Doch wissenschaftliche Forschung hat in dieser agonalen Welt nicht ausgedient – ganz im Gegenteil. Sie bleibt die wohl einzige Hoffnung auf wirklichen Fortschritt der Erkenntnis. Sie prüft und wägt, sie verwirft oder begründet, sie experimentiert und verfeinert, was erfolgreiche Organisationskommunikation sein könnte – nach dem Wettbewerbsprinzip der Logik und der Gründlichkeit. Spitzensport des Intellekts, sozusagen.

Das Angebot der SGKM-Fachgruppe Organisationskommunikation / PR

Die Fachgruppe Organisationskommunikation / PR hat an der heurigen Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaften (SGKM) in Lugano ein Treffen und ein Fach-Panel abgehalten. Dabei ging es um die Orientierung des Fachs in dieser agonalen Welt. Und es ging darum, ein Angebot an Mitglieder und Interessierte zu formulieren, um die vielfältige, aber gemeinsame Sache in den nächsten Jahren vorwärts zu bringen.

Colette Schneider Stingelin (ZHAW) und Kristina Pelikan (TU Berlin / Swiss Tropical and Public Health Institute, Basel) umrissen dabei sehr anschaulich die Herausforderungen, denen begegnet, wer im Wirrwarr internationalisierter Projekte stringente «Konzepte» für die interne Kommunikation entwickeln und umsetzen möchte.

Die Fachgruppe beschloss einerseits, Panels an künftigen Jahrestagungen abzuhalten. Versierte Stimmen sollen die Organisationskommunikation in ihrer Vielfalt neben jenen aus dem Journalismus oder der digitalen Kommunikation zur Geltung bringen.

Sie fasste anderseits den Vorsatz, sich regelmässig auch intern auszutauschen. Dabei stehen weniger die Ergebnisse der Forschung im Zentrum. Vielmehr sollen empirische und theoretische Zugänge sowie Fragen der Methode zur Diskussion kommen: Es geht also nicht darum, wer «besser» ist. Es geht darum, wie jede(r) Einzelne noch besser werden kann – in ihrer bzw. in seiner eigenen Position im Wettstreit um das robuste Wissen. Eigene Forschung soll also nicht – wie oft an Workshops oder Tagungen – «verteidigt» werden müssen, sondern in ihrem eigenen Zugang positioniert und entlang der noch offenen, der brennenden – der eigenen! – Fragen geschärft werden. Ein Labor für OK- und PR-Forschung, ein Freundschaftsspiel zu Trainingszwecken, einen akademischen «Baustellenbesuch», so könnte man das nennen. Der Mut, auch Halbfertiges zur Diskussion zu stellen, würde dabei durch Feedbacks belohnt. Agonalität würde für einmal als «Heimspiel» inszeniert: also vor wohlwollendem Publikum.

Wer sich dafür interessiert, melde sich direkt bei der Fachgruppe (stue@zhaw.ch). Wer für die Fachgruppe eine andere Perspektive bevorzugt, tue genau dies erst recht (stue@zhaw.ch)! Lasst uns die agonale Organisationskommunikation auch wirklich leben.


* Prof. Dr. Peter Stücheli-Herlach ist Professor für Organisationskommunikation am IAM und Sprecher der Fachgruppe OK / PR der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM); Fabienne Bünzli, M.A. UZH, ist Doktorandin für strategische Kommunikation an der Universität St. Gallen und Mitglied der Fachgruppe.


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