SCHLAF-WORKSHOPS IM MÖBELHAUS

Schlaf ist wichtig für unsere Regeneration, unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit. Die Absolventinnen des Weiterbildungskurses «Ausgeschlafen!» möchten diese Ressource im Therapiealltag besser nutzen. Ihr Know-how konnten sie bereits unter Beweis stellen: bei der Durchführung von Schlaf-Workshops bei Ikea.

VON RITA ZIEGLER

Samstagmorgen, 9.50 Uhr. In der Ikea Dietlikon herrscht Hochbetrieb. Ein Familienvater prüft die Stabilität eines Schranks. Zwei Freundinnen fläzen sich kichernd auf ein Sofa. Ein Pärchen streitet darüber, ob sie Hochlehner «Hendriksdal» in Beige oder in Schwarz nehmen sollen, während ihr Sohn mit dem Kickboard zwischen den Stühlen herumkurvt.

In der Matratzenabteilung startet Ergotherapeutin Nicole Rüfenacht ihren Laptop. Sie wird heute die Workshops zum Thema «Healthy Sleeping» halten. Alle drei Durchführungen sind ausgebucht, «aber spontan Entschlossene sind ebenfalls willkommen», versichert sie. Die Stuhlreihe vor der mobilen Leinwand füllt sich langsam. Einige Zuhörer machen es sich auf den Betten dahinter bequem. «Das Thema interessiert mich», sagt eine Mittvierzigerin, nach dem Grund für ihr Kommen gefragt. «Gut schlafen ist für mich leider nicht mehr so selbstverständlich wie früher.»

Volkskrankheit schlechter Schlaf
Die Workshop-Besucherin ist in guter Gesellschaft. Wie die Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2012 zeigen, leidet etwa jeder Vierte an Schlafstörungen, hat also Probleme beim Ein- oder Durchschlafen oder wacht morgens zu früh auf. Dabei unterstützt Schlaf wichtige Vorgänge im Körper: In der Tiefschlafphase etwa werden Hormone produziert, die das Wachstum und die Reparatur von Muskelzellen unterstützen. Die REM-Phase, auch Traumphase genannt, ist wichtig, um Gefühle und Informationen zu verarbeiten. Schlafstörungen wirken sich so nicht bloss physisch aus, sondern können auch zu psychischen und kognitiven Einschränkungen führen.

Im einstündigen Workshop präsentiert Nicole Rüfenacht der Ikea-Kundschaft das Einmaleins des guten Schlafs. Sie spricht über den Einfluss von Licht auf unseren Hormonhaushalt, über die Auswirkungen von Koffein und Alkohol, über schlafförderndes Verhalten und den Aufbau von Bettsystemen. Auch Schlafpositionen sind Thema: Aus ergonomischer Sicht wird die Seiten- oder die Rückenlage empfohlen. «Allerdings begünstigt die Rückenlage Schnarchen oder Atemaussetzer», warnt die Ergotherapeutin. Die Bauchlage führe aufgrund der Rotation in der Halswirbelsäule oft zu Nackenschmerzen. Eine Zuhörerin seufzt bedeutungsvoll.

Schlafstörungen und Schmerz
Nicole Rüfenacht arbeitet unter der Woche im Zürcher Rehazentrum Wald. Sie ist eine von 15 Ergo- und Physiotherapeutinnen, die den zweitägigen Weiterbildungskurs «Ausgeschlafen!» an der ZHAW besucht haben. «Wenn ich meine Patienten in der Klinik frage, wie es ihnen geht, antworten 80 Prozent, sie hätten schlecht geschlafen», erzählt sie. Bis vor einigen Monaten sei sie darauf nicht weiter eingegangen, «schliesslich liegen wir alle hie und da wach, gerade in einer fremden Umgebung». Heute fragt sie genauer nach und gibt den Patienten auch mal Lagerungsmaterial mit. «Es ist erstaunlich, dass wir dem Schlaf bisher so wenig Bedeutung beigemessen haben», sagt sie. «Schliesslich beeinflusst er unseren Alltag ganz wesentlich.»

Diese Einschätzung teilt Berufskollegin Barbara Droth, die sich mit ihrer Praxis auf die Behandlung von Schlafstörungen spezialisiert hat. Wegweisend dafür waren Patienten, die an chronischen Schmerzen litten oder postoperativ zur Therapie kamen. «Sie klagten über Beschwerden beim Liegen, konnten nachts kaum schlafen. Tagsüber waren sie unkonzentriert, gereizt und geschwächt, was wiederum die Schmerzen verstärkte – ein Teufelskreis», erzählt sie. Die Ergotherapeutin führt in solchen Fällen eine ausführliche Anamnese durch und untersucht Körperhaltungen, Atmung, Schlafstellungen, Bettausstattung sowie Schlafumgebung. Je nach Befund und Zielsetzung stellt sie dann ein Massnahmenpaket zusammen: Sie informiert ihre Patienten zum Beispiel über schlafhemmende Einflüsse, berät sie zu Verhaltensänderungen, instruiert sie bei Atem- und Entspannungstechniken oder nimmt Anpassungen im Schlafzimmer vor. «Verbessert sich der Schlaf, lassen oft auch die körperlichen Beschwerden nach», sagt sie. «Die Betroffenen können den Alltag wieder besser bewältigen – für mich als Ergotherapeutin ein Kernanliegen.»

Wirbelsäule entlasten
In der Ikea Dietlikon ist Nicole Rüfenacht inzwischen zum praktischen Teil übergegangen. An zwei Workshop-Teilnehmern demonstriert sie, wie man das Bettsystem, bestehend aus Matratze und Lattenrost, auf Körperform und Gewichtsverteilung abgestimmt. «Die Wirbelsäule sollte beim Liegen entlastet werden. So können sich die Bandscheiben wieder mit Flüssigkeit füllen.» Zur Veranschaulichung markiert sie die Wirbelsäule ihrer Versuchspersonen mit Klebepunkten. Während beim männlichen Probanden alle Punkte auf einer Linie liegen – das Bettsystem passt –, verlaufen sie beim weiblichen Pendant in einer fallenden Linie. «Die Taille braucht eine bessere Unterstützung und die Schulterpartie sinkt im Vergleich zur Hüfte zu wenig in die Matratze», analysiert Rüfenacht. «Bei Frauen ist dies leider ein verbreitetes Problem.»

Potenzial des Schlafs bekannt machen
Ihr Wissen aus der Weiterbildung gibt die 33-Jährige nicht nur bei Ikea weiter, sondern auch in ihrem Team in Wald. Gerne würde sie das Potenzial des Schlafs auch interprofessionell besser nutzen: «Das Thema betrifft das ganze Gesundheitspersonal in unserer Klinik, Ärzte ebenso wie Physiotherapeuten, Pflegefachleute oder Psychologen.» Einen Schritt in diese Richtung macht das Netzwerk Sleep, das 2014 von ZHAW-Dozentin Verena Langlotz Kondzic sowie weiteren Ergo- und Physiotherapeutinnen gegründet wurde. Es zielt darauf ab, Fachwissen zum Thema Schlafen und Liegen über verschiedene Berufsgruppen und Institutionen hinweg weiterzuentwickeln und zu verbreiten. An der ZHAW geschah dies mit dem Weiterbildungskurs «Ausgeschlafen!», aber auch mit entsprechenden Lerninhalten im Bachelorstudiengang Ergotherapie. Dass Ikea an der ZHAW zeitgleich nach Fachleuten für ihre fast 100 Workshops in der Deutschschweiz suchte, war ein glücklicher Zufall. Der Unterricht wurde so gewissermassen zum Train-the-Trainer-Programm.

Der Workshop von Nicole Rüfenacht ist inzwischen zu Ende. Die Ikea-Kunden schwärmen in alle Richtungen aus. Einige testen ihre neuen Kenntnisse in der Matratzenabteilung. «Hilfreich fand ich die Beispiele dazu, wie die Wirbelsäule gestützt werden soll», sagt eine Workshop- Teilnehmerin. Das werde sie sich zu Herzen nehmen. «Zwar sind mein Mann und ich auf der Suche nach einem Gästebett» – sie lächelt verschmitzt –, «aber nach so vielen Ehejahren bin ich auch froh um eine Ausweichmöglichkeit.»//


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