Die Trends von Konnektivität und «New Work» verändern Unternehmen fundamental, und Kommunikation ist der Schlüssel für Führung in diesem Wandel. Das sind zentrale Erkenntnisse aus dem kürzlich erschienenen «Leading Transformation Report», den Schweizer Unternehmen in Zusammenarbeit mit der ZHAW herausgegeben haben. Was bedeutet dies für Kommunikationsprofis? Das beantwortet Peter Stücheli-Herlach, Programmleiter des CAS Kommunikationsberatung und wissenschaftlicher Begleiter der Studie, im Interview.
Autorin: Ursina Ghilardi
Peter Stücheli-Herlach, der Leading Transformation Report (LTR) befragt jährlich Führungskräfte in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum zu «Führung im Wandel». Kürzlich ist die neuste Ausgabe erschienen. Was genau verstehen wir unter «Leading Transformation» resp. «Führung im Wandel»?
Führung im Wandel meint zweierlei. Es geht erstens darum, angesichts der hohen Volatilität und Komplexität des Wandels Entscheide fällen zu wollen und sie auch fällen zu können – Entscheide, die für Teams und Mitarbeitende den nötigen Raum schaffen, um sich entwickeln und auch neu erfinden zu können. Und es geht zweitens darum, dass sich Führungspersonen und -teams selber verändern können. Dass sie Wandel vorleben.
Studien und Befragungen zu Führung und Transformation gibt es etliche. Warum braucht es den Leading Transformation Report? Was macht er anders als andere?
Praktiken der Führung und strategischen Beratung stehen sehr häufig im Fokus von Debatten, ja, sie werden aber zu selten auch gründlich genug untersucht. Dem «Leading Transformation Report» geht es um die alltägliche Praxis. Er leistet seinen Beitrag, indem er jährlich eine Momentaufnahme von Führungspraxis in Schweizer Unternehmen erfasst. Er gewährt Einblick in den Alltag von über 300 Verantwortlichen in verschiedenen Branchen. Und er zieht Schlussfolgerungen, indem er Praxis und wissenschaftliche Forschung miteinander in den Dialog bringt.
Eine zentrale Erkenntnis aus dem Leading Transformation Report ist, dass Kommunikation zum Kerngeschäft von Führungspersonen geworden ist. Die Befragten haben erkannt, dass die eigene Kommunikation für die interne Zusammenarbeit und im Wandel zum Erfolgsfaktor wird. Wie können Führungskräfte Kommunikation als Führungsinstrument konkret nutzen?
Wichtig ist die Erkenntnis, dass sie das schon immer permanent tun. Es geht also nicht in erster Linie um neue «Tools», Tricks und Kniffs. Es geht um die Reflexion, dass ich als Führungsperson nur wirken kann, wenn ich Kommunikation als Arbeit an beruflichen Beziehungen verstehe, extern wie intern. Und in Beziehungen reflektiere ich die Situation des Gegenübers genauso wie das eigene Verhalten und die eigene Wirksamkeit. Ich kann nicht Veränderung erwarten, wenn ich nichts an meiner eigenen Kommunikation ändere.
Wie können Kommunikationsprofis Führungskräfte darin unterstützen?
Sie können unterstützen, indem sie Kommunikation nie nur als Lösung, sondern immer auch als ein Teil von sich stellenden Problemen und Herausforderungen verstehen. Führungs- und Managementkommunikation muss sich lösen können von bürokratischen Routinen, aber auch von den Versuchungen, stets den guten Eindruck zu suchen, den überwältigenden Event zu veranstalten. Die Analyse des Kommunikationsproblems und das Design einer massgeschneiderten Lösung sollten Führungsentscheide begleiten. Daran sehen wir, dass Führungs- und Beratungskommunikation Hand in Hand gehen müssen.
Unsere Welt befindet sich im Wandel. Gemäss den befragten Führungspersonen verändern die Megatrends Konnektivität und New Work ihre Organisationen am stärksten. Was bedeuten diese Trends für Kommunikationsteams?
Die jüngste Ausgabe des LTR zeigt eindrücklich, dass der Wandel die Unternehmen nun von innen heraus erfasst. Es geht also um mehr als um den Nachvollzug von Marktentwicklungen. Es geht um die Erneuerung der «license to operate» auch in der internen Öffentlichkeit. Kommunikationsteams sollten sich ernsthafte Gedanken machen, wie sie aus Schönwetter-Routinen des Marketings oder der Top-down-Führung hinausfinden und neue Stile und Formate für eine Führung und Beratung im Wandel etablieren. Erfolgreiche strategische Kommunikation ist heute ohne Strategiekommunikation nach innen wie aussen nicht mehr zu haben, das heisst also ohne Kommunikation über Strategie, ihren Referenzrahmen, ihre Umsetzung und ihre Alternativen.
Die Megatrends Konnektivität und New Work haben gemäss Aussage der Befragten auch Auswirkungen auf die Mitarbeitenden: Sie sind anspruchsvoller geworden und fordern zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten sowie eine ausgewogenen Work-Life-Balance. Zudem legen sie viel Wert auf die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Als Kommunikationsprofis sind wir uns darüber einig, dass nun ein Dialog über Flexibilität und Selbstbestimmung geführt werden muss. Ist das den im Report befragten Führungskräften auch bewusst?
In den Kopf der Befragten hinein können wir natürlich nicht hineinsehen ..! Aber die Antworten zeigen, dass die Teilnehmenden die Notwendigkeit der Veränderung auch bei sich selber sehen. Ich würde daher nicht von einem Dialog «über», sondern von einem Dialog «durch» Flexibilität und Selbstbestimmung reden. Denn dieser Dialog kann nicht irgendwann abgeschlossen werden wie ein Traktandum. Er wird bleiben. Und damit er erfolgreich wird, braucht es die Verpflichtung beider Seiten, zum Unternehmenserfolg insgesamt beitragen zu wollen und zu können. Es ist also ein Dialog über Unternehmenserfolg und nötige kulturelle Werte durch gegenseitiges Aushandeln von Flexibilität und Selbstbestimmung.
Überraschend für mich war, dass die befragten Führungskräfte Initiativen für Transformation und Innovation vor allem von der Geschäftsleitung, dem Verwaltungsrat und abteilungsübergreifenden Teams erwartet. Welche Rolle können oder sollen die/ der CCO und die Kommunikationsabteilung dabei spielen?
Diese Rolle beschreibt die Forschung über Kommunikationsmanagement wie beispielsweise der «European Communication Monitor» seit Jahren in unterschiedlichen Facetten. Der Monitor hat beispielsweise den Begriff «exzellenter Kommunikation» geprägt: Er umfasst das vernetzte Denken und Handeln über innere und äussere Grenzen hinweg, den Willen zur Wirkung und ein hohes persönliches Committment.
Als wichtigstes Merkmal zur Führung im Wandel wird im Report die Fähigkeit, sich selbst und die eigene Führungspraxis zu verändern. Was geschieht mit Führungspersonen und Organisationen, die in alten Führungsmustern verharren?
Das wird allein die Zukunft zeigen können. Führung im Wandel heisst grundsätzlich aber nicht, alles Alte und Herkömmliche über Bord zu werfen. Nur muss es sich einer Auseinandersetzung mit der Unsicherheit aktueller Entwicklungen stellen, sowohl was Werthaltungen und Managementpraktiken anbetrifft, wie, was technologische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen anbetrifft.
Und zu guter Letzt: Warum beschäftigt sich ein Forschungsteam der Angewandten Linguistik überhaupt mit «Leading Transformation»?
Wir sind ein Forschungsteam, das sich mit der Angewandten Linguistik strategischer Organisationskommunikation auseinandersetzt. Damit interessiert uns der sprachliche und kommunikative Vollzug von Unternehmensführung, Beratung und Management – und deren kommunikative Wirkungen. Auch in einer digitalisierten Dienstleistungsindustrie ist das nicht alles – aber ohne das ist alles nichts.
Vielen Dank für das Interview!
Der Leading Transformation Report
Der jährlich erscheinende Leading Transformation Report bietet Führungspersonen eine Plattform für kollegialen Austausch über eigene Praktiken und deren Zukunftsperspektiven. Die Resultate basieren auf einer Online-Umfrage im Sommer 2022, an der über 330 Führungskräfte aus dem deutschsprachigen Raum, aus unterschiedlichen Branchen und Unternehmen verschiedener Grössen teilgenommen haben. Sie beantworteten einen Online-Fragebogen, dessen Struktur sich an situativen Szenarien und am wissenschaftlichen Wissen über Prozesse erfolgreichen Führens orientiert. Flankiert wir die Befragung durch Tiefeninterviews. In verschiedenen Formaten führen die beteiligten Partnerunternehmen im Anschluss einen Dialog über die Ergebnisse und daraus sich ergebende Schlussfolgerungen mit Interessierten. Träger des Reports sind Boyden Schweiz, FutureWorks, Information Factory und Küng Consulting. Die Professur Organisationskommunikation und Öffentlichkeit des Departements Angewandte Linguistik fungiert als Wissenspartner. Peter Stücheli-Herlach hat zusammen mit François Cooren das internationale «Handbook Management Communication» herausgegeben.
Zum European Communication Monitor
Themen rund um Leading Transformation vertiefen wir auch in unserem CAS Kommunikationsberatung
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