Er macht nicht viel von sich reden, aber er wird gehört. Mike La Marr ist als Moderator bei SRF 1 vielen eine vertraute Radiostimme. Doch eigentlich ist er Übersetzer. Zum 75-Jahre-Jubiläum des IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen der ZHAW erzählt er, wie er nach einem Ausflug in die Chemie an die Dolmetscherschule Zürich gekommen ist. Wie hat ihn die Übersetzerausbildung auf seinen Job vorbereitet und was begleitet ihn bis heute?
Autorin: Christa Stocker
Mike La Marr hat 1989 die Dolmetscherschule Zürich (DOZ) mit dem Übersetzerdiplom für die Sprachversionen Englisch–Deutsch, Französisch–Deutsch und Portugiesisch–Deutsch abgeschlossen. Mit seinem Werdegang ist er für das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen der ZHAW und seine Vorgängerinstitution, die Dolmetscherschule Zürich (DOZ), typisch und untypisch zugleich. Untypisch, weil er mit seinem Übersetzerdiplom nicht Übersetzer wurde. Typisch hingegen, weil er wie viele Absolvent:innen das Handwerkszeug aus der Ausbildung – Sprach- und Kommunikationskompetenz, Sprachmittlung, Auslandserfahrung usw. – für seinen persönlichen Berufsweg in der Sprach- und Kommunikationswelt genutzt hat.
Nach dem Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium hat sich Mike La Marr entschieden, an der ETH Zürich Chemie zu studieren. Doch war das für ihn noch nicht das Richtige. «Ich habe damals im Chemiestudium gemerkt, dass es nicht meins ist.» Deshalb hat er diesen ersten Studienversuch abgebrochen – ohne zu wissen, wie weiter: «Ich bin dann mal zur Berufsberatung gegangen und habe gesagt: Ich möchte etwas machen mit Sprachen und mit Menschen. In der Chemie hat mir der direkte Austausch irgendwie gefehlt.» Die Berufsberaterin empfahl ihm die Werbeschule zu besuchen oder die Dolmetscherschule.
Der Entscheid für die Dolmetscherschule
Werbung kam für ihn klar nicht in Frage: «Kommerz und so. Geld verdienen wie verrückt. Das hatte in den 80er-Jahren einen ganz schlechten Ruf. Wie hätte ich das meinen Freunden sagen sollen?» Also prüfte er die zweite Option: die Dolmetscherschule.» Er informierte sich und meldete sich für ein Gespräch an. Dann ging es ganz schnell: «Ich bin ohne eine Ahnung hingegangen und bin rausgekommen und habe gedacht: Doch, das versuche ich!»
Aus der Schule konnte er Englisch und Französisch. An der DOZ lernte er zusätzlich Portugiesisch als seltene EU-Sprache. Eine solche wurde empfohlen, wenn man später als Dolmetscher nach Brüssel wollte, obwohl er eigentlich nicht Dolmetscher werden wollte: «Ich habe nie so konkret mit dem Dolmetschen geliebäugelt.»
An der Dolmetscherschule angefangen und angekommen
Seinen raschen Entscheid hat er nicht bereut nach seiner Erfahrung mit der Chemie. «Ich war am Schluss des Chemiestudiums nicht happy. Es ist nicht einfach, wenn man merkt: Ich bin am falschen Ort und habe keine Ahnung wie weiter.» Dieses Gefühl löste sich schlagartig auf: «Ich bin dann an die DOZ gekommen, noch an der Scheuchzerstrasse.» Die Dolmetscherschule war damals in einer alten, kleinen Villa im Zürcher Kreis 6, die aus allen Nähten platzte. «Es war glaub in der ersten Lektion Übersetzen Französisch – Deutsch. Da hatte ich das Gefühl: Wow, finde ich mega lässig. Das gefällt mir. Das spricht mich an! Das war der Start zu einer tollen Zeit. Ich war wahnsinnig gern an der DOZ – vielleicht auch nach der Erfahrung vorher. Es war wie eine Sauerstoffladung. Sprachen ist das, was mir zusagt.»
Highlights aus dem Übersetzerstudium
Gefragt nach den Highlights aus dem Studium kommt Mike La Marr ins Schwärmen: «Es gab praktisch nur Schönes.* Neben den Sprachen hat man auch die Kulturen kennengelernt. Ich hatte französische Literaturgeschichte bei Jacque Finné. Er war damals schon ein legendärer Dozent. Von den Autoren, die er uns vorgeschlagen hat – Rabelais, Racine, Corneille –, habe ich viele auch gelesen. Ich fand das unheimlich spannend. Dabei habe ich viel mehr gemacht, als was ich fürs Studium gebraucht hätte. Einfach, weil mich die literarisch- sprachliche Auseinandersetzung angeregt hat.»
Dann war da das obligatorische Auslandssemester: «Das war eine meiner besten Zeiten. Ich verbrachte ein tolles Auslandssemester am Monterey Institute of International Studies. In Kalifornien studierte ich Übersetzen Deutsch–Englisch, Sprachfächer und Politologie. In Monterey waren wir vier Studienkolleg:innen von der DOZ – zusammen mit vielen Studierenden vom US-Militär. Wir hatten eine super Zeit im Auslandssemester. Zum Beispiel haben wir zusammen Thanksgiving gefeiert – in einer Einrichtung für Obdachlose.» Auf die Frage, warum sie dort gefeiert hätten, erklärt er: «Ich bin gern unter Menschen, die es nicht so einfach haben.» Und weiter: «Es war mega cool! Seither feiern wir jedes Jahr gemeinsam Thanksgiving. Im Auslandssemester und im Studium sind Freundschaften fürs Leben entstanden.»
«Plötzlich hatte ich viele Frauen um mich herum»
Besonders waren für ihn an der DOZ auch die Menschen und der soziale Umgang: «Es gab Dozent:innen, die einen eigenen Ruf hatten – Duncan Kelly oder Virgil Moorefield.» Und: «Es gab wenige Männer an der DOZ. Das war ich nicht gewohnt. Plötzlich hatte ich viele Frauen um mich herum. Das fand ich angenehm nach all den Männerzeiten im Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium und im Chemiestudium. Man war eine seltene Spezies. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass ich besonders umworben gewesen wäre.» Als Unterschied nennt er den raueren Umgangston unter Männern: «Man war etwas ungehobelter im Umgang.» An der DOZ habe das Schöngeistige mehr Platz gehabt. Das sei es gewesen, was seinen Neigungen mehr entsprochen habe.
Sprache als Werkzeug für den kreativen Ausdruck
Mit seinem Übersetzerdiplom ist Mike La Marr seit bald dreissig Jahren Radiomoderator (seit über zwanzig bei Radio SRF 1). Dazu meint er: «An der Dolmetscherschule habe ich gelernt, Sprache als Werkzeug zu gebrauchen. Mir war aber bald klar, dass ich nicht Übersetzer oder Dolmetscher werden würde. Ich spürte in mir noch eine andere Art der Kreativität, die ich ausleben wollte.»
Dieser Kreativität folgte er bereits vor der DOZ im literarischen Schreiben und auch danach wieder. Mike La Marr schreibt bis heute Stücke für Amateurtheater (Theaterverlag Elgg) und eben beim Radio.
Zum Radio kam er eher durch Zufall: «Bei einem Besuch in einem Tonstudio hat mir ein Mitarbeiter gesagt: ‘Sie hätten eine Stimme fürs Radio’. Damals hätte ich das nie in Erwägung gezogen. Später hat mich das dann ermuntert, mich blind zu bewerben. Eine Radioausbildung gab es damals ja noch nicht. Man ist zu einem Lokalradio gegangen und dann war es ‘learning by doing’.
Mit dem Übersetzerdiplom zum Radio – ein DOZ-typischer Werdegang?
Den mündlichen Ausdruck, das schnelle Reagieren, das habe er bei der Arbeit weiterentwickelt. Den Boden für den sprachlichen Ausdruck und seinen Umgang mit Sprache – beim Radio und beim Schreiben – habe die Dolmetscherschule gelegt. «Die Herausforderungen sind beim Moderieren ganz ähnlich wie beim Dolmetschen, denke ich. Auch beim Sprechen am Radio überlegt man immer: Wie weiter? Wie mache ich den Anschluss? Was ist eine logische Fortsetzung? Wie gliedere ich meinen Beitrag? Wie bringe ich etwas verständlich rüber? Viel von meinem Handwerk habe ich an der Dolmetscherschule mitbekommen.»
Mit seinem Gang in einen anderen Zweig der Kommunikationsbranche ist Mike La Marr nicht allein: «Einige meiner Studien-Kolleg:innen haben übersetzt oder gedolmetscht – auch in Brüssel. Viele hat es aber auch in ganz andere Richtungen verschlagen. Sie haben spannende Karrieren gemacht wie zum Beispiel die Geschäftsleiterin von Unicef Schweiz. Sie ist via Bank dorthin gekommen.» Den Grund dafür sieht er in der Ausbildung der DOZ angelegt: «Die Ausbildung war klar auf Übersetzen und Dolmetschen fokussiert. Man hatte nach der DOZ aber auch viele andere Möglichkeiten. Wir haben das Rüstzeug bekommen, auch in andere Richtungen und Gebiete zu gehen. Das war mir bereits aufgefallen in dem «Büchlein» mit Portraits von Absolvent:innen, das ich bei meinem ersten Besuch an der DOZ bekommen hatte. Das fand ich schon damals spannend und das war irgendwie typisch für die DOZ.»
Solche Karrieren fallen aber natürlich nicht vom Himmel. Sein Tipp dazu: «Wenn man eine Idee hat, lohnt es sich, es einfach zu versuchen. Nicht nur beim Schreiben. Es ist vieles auch Handwerk. Man muss eine Idee haben und dann muss man dranbleiben – mit viel Fleiss.» Dies gilt bestimmt nicht nur für Sprach- und Kommunikationsprofis.
«Ich konnte vieles machen, was mir Freude gemacht hat. Das ist ein schönes Gefühl.»
Ob typisch oder untypisch, Mike La Marr hat beim Radio seinen Ort gefunden: «Wenn ich zurückschaue auf die Zeit, als ich nicht wusste, was aus mir werden würde, und auf meinen Beruf, dann kann ich sagen: Ich konnte vieles machen, was mir etwas bedeutet hat, was mir Freude gemacht hat. Das ist ein schönes Gefühl.»
Mit diesem Gefühl sage ich Danke, Mike La Marr, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Ihre Erinnerungen mit uns zu teilen!
* Auf mein hartnäckiges Nachfragen findet Mike La Marr dann doch noch etwas weniger Angenehmes, was bestimmt allen Absolvent:innen und Mitarbeitenden aus der Zeit in bleibender Erinnerung ist: «Im Sommer konnte es an der Thurgauerstrasse brutal heiss werden.»
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Das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen ist das Kompetenzzentrum der ZHAW für Mehrsprachigkeit und Sprachmittlung in Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Dienstleistung.
Mit dem Bachelor Mehrsprachige Kommunikation und den Vertiefungen Fachübersetzen und Konferenzdolmetschen des Masters Angewandte Linguistik bietet das IUED eine kohärente, praxisorientierte Ausbildung für zukünftige mehrsprachige Kommunikationsexpert:innen.
Das IUED ist ein Institut mit internationalem Ruf. So ist es Mitglied prestigeträchtiger internationaler Netzwerke wie CIUTI und EMT und steht in engem Austausch mit Instituten und Universitäten im In- und Ausland.