Von Gabi Rechsteiner, Psychologin am IAP
Es ist amtlich: In einer Untersuchung von 2014 wurde die Stigmatisierung der Psychotherapie nachgewiesen. Das Bild, das Menschen sich von einer Therapie machen, sieht demnach immer noch so aus: Der Therapeut, ein älterer Herr mit Brille, Bart und einem durchdringenden Blick bietet Ihnen den Platz auf der Liege-Couch an. Auf der werden Sie nun in einem jahrelangen Prozess drei Mal pro Woche in ihrer Kindheit und in Konflikten mit der Mutter herumwuseln.
Entgegen diesem Vorurteil erwartet Sie in der Realität etwas anderes. Und dies gleich vorweg: Eine Therapie sollte so lange gehen, wie es für Sie notwendig ist, sie sollte so intensiv sein, wie Sie es brauchen und es sollten diejenigen Themen besprochen werden, die Sie für relevant halten. Es ist eine Suche, auf die man sich in Begleitung eines Psychotherapeuten begibt.
Und so läuft es wirklich ab: Nach Ihrer Kontaktaufnahme, meist per Telefon oder Mail, werden Sie zu einem Erstgespräch eingeladen. An manchen Orten wird zur Gesprächsvorbereitung vorweg ein Fragebogen an Sie verschickt.
Zu Beginn der Therapie wird vor allem viel Raum sein, in dem Sie Ihre Situation schildern können. Aber gleichzeitig haben Sie auch die Möglichkeit, die Therapeutin (die ja auch eine junge Frau sein kann) kennen zu lernen, Fragen der Finanzierung oder der möglichen Dauer einer Therapie zu stellen, Ihre Bedenken zu äussern und sich grundsätzlich nochmals klar zu werden, ob Sie sich jetzt bzw. an diesem Ort, bei dieser Person für eine Therapie entscheiden wollen. Zudem sollte in dieser ersten Phase auch das gemeinsame Vorgehen in der Therapie besprochen werden. Dies klingt zwar banal, aber es ist oft ein ziemliches Herausschälen von vielen Einfluss- und Wirkfaktoren sowie von Wünschen, Erwartungen und Zielen, wobei einige dieser Ziele und Wünsche von Beginn weg klar sind und andere sich erst im Verlauf der Zeit zeigen. Deswegen kann es durchaus mehrere Gespräche dafür brauchen. Es lohnt sich aber, diese Arbeit gewissenhaft zu tun, da sie einen guten Boden fürs Weiterkommen bildet.
Im Anschluss folgt eine Phase, in der Sie die Themen angehen, die für Sie zentral sind. Der Therapeut (der ja auch ein langhaariger Freizeit-Punk sein kann) wird mit Ihnen vermutlich vorwiegend übers Gespräch arbeiten, dabei aber verschiedene Modelle, Gesprächstechniken, Instrumente oder Fragebogen aus seiner „Werkzeugkiste“ kramen. Wie lange eine Therapie dauert, ist im Voraus oft schwer zu sagen, denn das hängt stark von dem Problem, der Situation und Ihrer Geschichte ab. Bildlich gesprochen braucht eine Verstauchung natürlich eine kürzere Rehabilitation als ein mehrfacher Bruch. Genauso ist es mit den seelischen Druckstellen und Verletzungen. Sie sind nicht alle gleich, und jede braucht ihre eigene Zeit zu heilen.
Schliesslich wird eine Phase kommen, in der Sie gemeinsam zurückblicken und überprüfen, ob Sie Ihre Ziele erreicht haben. Falls ja: Jubilate! Falls nein: Weitersuchen! Manchmal treten die Lösungen schneller ein als erwartet, manchmal braucht es länger als erhofft. Dann brauchen Sie Geduld mit sich, die sich aber in der Regel auch auszahlt.
Je nachdem ergeben sich ausserdem aus einer Behandlung heraus weitere Themen, die Sie vielleicht angehen möchten. Und manchmal braucht es auch einfach etwas „Mut zur Lücke“ und den Entschluss, die Therapie abzuschliessen, auch wenn noch nicht alles gesagt und behandelt ist. Sie werden im Alltag schnell feststellen, ob Sie weitere Unterstützung wünschen – und Sie werden (fast) immer die Möglichkeit haben, wieder zu „Ihrem“ Therapeuten – der ja tatsächlich ein älterer Mann mit Bart sein kann – zurückzukehren.
Therapie
Der Ausdruck „Therapie“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie „Heilung“ oder „Pflege“. Eine Therapie ist also der Weg zur Heilung einer Krankheit oder Verletzung, dies sowohl auf der körperlichen wie auch auf der psychischen Ebene. Dabei dürfen natürlich Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Ebenen nicht vernachlässigt werden. Therapeuten sind entsprechend Menschen, die ausgebildet wurden, um den Heilprozess zu fördern, wobei sich Psychotherapeuten spezialisiertet haben, Menschen mit psychischen Krankheiten, akuten Krisen oder traumatischen Erfahrungen zu unterstützen.
Nach ihrer Ausbildung zur Ergotherapeutin und der Arbeit in einer psychiatrischen Klinik machte Gabi Rechsteiner den Master in klinischer Psychologie an der Universität Zürich. Aktuell steht sie in der Weiterbildung MAS in Systemischer Psychotherapie mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Seit 2014 arbeitet sie als Psychologin am IAP, wo sie neben der beraterischen und therapeutischen Arbeit immer wieder gerne in die Vielfalt der Sprache abtaucht und nun auch für unseren Blog Beiträge schreibt.