Psychische Belastungen wie Stress, Leistungsdruck und private Sorgen sind für viele Menschen alltäglich – etwa ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung ist davon betroffen, bei Studierenden liegt der Anteil sogar noch höher. Besonders im Arbeits- und Studienalltag zeigt sich: Viele fühlen sich überarbeitet oder ausgebrannt – Tendenz steigend. Gleichzeitig wächst aber das Bewusstsein für die Bedeutung psychischer Gesundheit.
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Psychische Belastungen sind im Studien- und Arbeitsalltag weit verbreitet – doch niemand muss damit allein bleiben. Wichtig ist, Belastungen frühzeitig wahrzunehmen, offen darüber zu sprechen und sich bei Bedarf Unterstützung zu holen. Führungspersonen und Dozierende tragen dabei eine entscheidende Rolle: Sie können durch Aufmerksamkeit, Gesprächsbereitschaft und passende Rahmenbedingungen einen wertvollen Beitrag leisten.
Wir haben mit Prof. Dr. Imke Knafla, Psychotherapeutin am IAP Institut für Angewandte Psychologie, darüber gesprochen. Sie hat zusammen mit Kolleg:innen Leitfäden zur Förderung der psychischen Gesundheit in Organisationen erarbeitet. Im Interview gibt sie Einblick in die Hintergründe der neuen Leitfäden und Empfehlungen für die Praxis.
«Viele wollen helfen, wissen aber nicht wie – aus Angst, etwas falsch zu machen.»
Imke Knafla, Psychotherapeutin am IAP
Was genau versteht man unter «psychischer Gesundheit»?
Psychische Gesundheit bedeutet, sich wohlzufühlen, seine eigenen Fähigkeiten ausschöpfen zu können und mit den normalen Herausforderungen und Belastungen des Lebens zurechtzukommen. Man kann beispielsweise produktiv arbeiten und ist in der Lage, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Es geht nicht nur um die Abwesenheit von psychischen Erkrankungen, sondern vielmehr um ein stabiles inneres Gleichgewicht, das es ermöglicht, auf verschiedene Lebenssituationen angemessen zu reagieren.
Welche Empfehlungen gibst du Personen, die sich ausgebrannt oder psychisch belastet fühlen?
Zunächst ist es schon einmal wertvoll, wenn ich die Belastung wahrnehme und nicht versuche, sie vor mir oder anderen zu verstecken. Dann würde ich empfehlen, zum Beispiel im Gespräch mit der Partner:in oder Freund:innen herauszufinden, was los ist. Habe ich eine Idee, woher die Belastung kommt? Geht das schon länger so? Habe ich eine Vorstellung davon, was mir guttun würde und in dieser Situation hilfreich wäre? Wenn das nicht reicht und man sich überfordert fühlt, würde ich empfehlen, nicht zu lange zu warten und sich professionelle Unterstützung zu holen.
Welche Rolle haben Führungspersonen oder Dozierende im Kontext psychischer Gesundheit?
Führungspersonen und Dozierende haben eine wichtige Rolle, in doppelter Hinsicht. Zum einen prägen sie die Kultur und das Arbeitsklima am Arbeitsplatz oder im Studium und gestalten die Rahmenbedingungen massgeblich mit. Zum anderen sind sie direkte Ansprechpersonen und Vorbilder und können damit einen Beitrag zur Förderung der psychischen Gesundheit leisten. Daher ist es wichtig, dass sie über das nötige Wissen und Handlungskompetenzen verfügen, um Studierende und Mitarbeitende bestmöglich zu unterstützen.
Welche Empfehlungen gibst du den Führungspersonen und Dozierenden? Woran erkennen sie eine psychische Belastung?
Grundsätzlich rate ich, Studierende und Mitarbeitende möglichst direkt darauf anzusprechen, wenn ihnen etwas auffällt. Zum Beispiel wenn jemand sich zurückzieht, neuerdings öfter zu spät kommt, müde oder unkonzentriert wirkt oder sogar über Belastungen spricht. Dies zeigt, dass Führungspersonen und Dozierende sich interessieren, und wird in der Regel sehr geschätzt. Man fühlt sich «gesehen». Durch das Gespräch wird dann oftmals rasch klar, ob es ein Problem und Handlungsbedarf gibt. Für Studierende und Mitarbeitende kann dies sehr entlastend sein, wenn sie mit jemanden reden können. Oftmals trauen sie sich nicht, aktiv auf andere zuzugehen.
Was hat euch dazu bewogen, die Leitfäden zu entwickeln?
In Gesprächen mit Lehrpersonen und Führungspersonen wurde deutlich, dass Unsicherheit besteht, wie man mit psychisch belasteten Personen umgehen soll. Viele wollen helfen, wissen aber nicht wie – aus Angst, etwas falsch zu machen. Oder sie fragen sich, ob es sie überhaupt etwas angeht. Und ja, es geht sie etwas an. Führungspersonen haben eine Fürsorgepflicht und haben einen grossen Hebel, positiv Einfluss zu nehmen. Unsere Leitfäden sollen in solchen Situationen Orientierung und Sicherheit geben und stärken damit den bewussten Umgang mit psychischer Gesundheit in Organisationen.
5 Tipps für Führungspersonen und Dozierende im Umgang mit psychischen Belastungen
1. Frühzeitig ansprechen – aber sensibel.
Wenn Sie Veränderungen im Verhalten wahrnehmen, suchen Sie frühzeitig das Gespräch. Zeigen Sie Interesse und Sorge, nicht Kontrolle oder Druck.
2. Aktiv zuhören.
Lassen Sie die betroffene Person erzählen, ohne sofort Ratschläge zu geben. Wiederholen Sie in eigenen Worten, was Sie verstanden haben. Das schafft Vertrauen.
3. Keine Diagnosen stellen.
Sie müssen keine psychische Erkrankung erkennen oder benennen. Es reicht, Belastung zu thematisieren und Unterstützung anzubieten.
4. Grenzen kennen.
Sie sind keine Therapeut:in. Ihre Rolle ist es, zu begleiten – nicht zu behandeln. Vermitteln Sie gegebenenfalls an interne oder externe Stellen weiter.
5. Eigene Belastung ernst nehmen.
Achten Sie auf sich selbst. Gespräche über psychische Probleme können fordern. Holen Sie sich selbst Unterstützung, z. B. in Supervisionen oder durch Weiterbildung.
Weiterführende Informationen:
- Förderung der psychischen Gesundheit an der ZHAW | ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
- Förderung der psychischen Gesundheit in Organisationen

Prof. Dr. Imke Knafla ist Psychotherapeutin und Co-Leiterin des Zentrum Klinische Psychologie & Psychotherapie am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW. Zudem leitet sie die Psychologische Beratungsstelle für Studierende und Mitarbeitende der ZHAW.