Seit Google’s Aristoteles-Studie, ist das Gruppenklima-Konzept «Psychologische Sicherheit» in vieler Munde. IAP-Berater Joachim Maier erklärt, was auf der Suche nach dem Bauplan für das perfekte Team herausgefunden wurde und eröffnet Perspektiven, um Teams in der Praxis sicherer und erfolgreicher zu machen.
Text: Joachim Maier
Bild: Pixabay
Mit einem evidenzbasierten Ansatz hat Google vor fünf Jahren 200 Teams durchgemessen und zahllose Interviews geführt, um das Alleinstellungsmerkmal von gut performenden Teams zu finden. Das Fazit: Die Teamzusammensetzung – WER miteinander unterwegs ist – spielt eine deutlich geringere Rolle als traditionell angenommen.
Um die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Teams vorherzusagen, spielt die Art und Weise, das «WIE im Team zusammengearbeitet wird», eine erheblich grössere Rolle.
Der Bauplan für ein gut funktionierendes Team
Dabei sticht ein Faktor hervor. «Psychologische Sicherheit» erscheint in der Aristoteles-Studie als der tragfähigste Prädiktor gelingender Zusammenarbeit. Aus einer wissenschaftlichen Optik problematisch erscheint allerdings, dass der Originaldatensatz bisher nicht veröffentlicht wurde. Bekannt ist nur, dass Google das Fundament gelingender Zusammenarbeit anhand zweier Faktoren erfasst hat. Die Bausteine für psychologisch sichere Teams sind folgende:
- Durchschnittlich ausgeprägte soziale Sensibilität. Jeder im Team ist in der Lage und willens wahrzunehmen, wie es dem Gegenüber gerade geht. Dadurch kann jede/r in der Regel angemessen auf diese wahrgenommene Befindlichkeit reagieren. Neudeutsch würde man von der Fähigkeit zu einer Begegnung auf Augenhöhe sprechen.
- Gleichmässig ausgeprägte Redeanteile aller Teammitglieder. Am Ende des Tages sind alle ungefähr gleich häufig zu Wort gekommen und haben gleich grosse Redeanteile erhalten. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Art und Weise, wie Redeanteile von einer zur nächsten Person übergeben werden. Sprich, ob man sich traut und sicher fühlt, sich überhaupt zu Wort zu melden. Oder ob die innere Zensurstimme die Oberhand gewinnt, basierend auf einem Glaubenssatz wie, «da sage ich lieber nichts, damit es mir nicht so ergeht wie der Kollegin letzte Woche, über die seither hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird».
«Dare to speak up»
Je stärker die beiden Faktoren «soziale Sensibilität» und «gleichberechtigte Redeanteile» im Team ausgeprägt sind, umso stärker fühlt sich jede/r einzelne im Team wahr- und aufgenommen. Denn psychologische Sicherheit ist ein Gruppenklima-Konzept, zu dem jeder menschliche Beitrag zählt. Wer sich gesehen fühlt, wird eher Risiken in der Beziehungsgestaltung eingehen, das heisst, es «wagen» etwas zu sagen, vielleicht eine Unsicherheit auszusprechen oder die Möglichkeit eines sich abzeichnenden Kollateralschadens anzumerken. Offensichtlich sind solche riskanten Äusserungen für gelingende Lern- und Kreativitätsprozesse entscheidend.
Wer solcherlei wagt, handelt aus der Sicherheit heraus, wahrgenommen zu werden und Raum zu erhalten. Kurz: Psychologische Sicherheit zeigt sich im «Dare to speak up». Teammitglieder gehen Risiken in der Beziehungsgestaltung zu anderen ein, ohne befürchten zu müssen, ausgeschlossen, be- oder verurteilt zu werden – dies ist eine klassische Psychologische-Sicherheits-Definition der Harvard Professorin Amy Edmondson.
Sicher ist auch: Das mit dem Wagnis einhergehende Risiko kann niemals gänzlich ausgeschlossen werden. Weil ein Teammitglied niemals vollständig sicher sein kann, dass das Team konstruktiv reagiert, wenn man Angst und Bedenken über Bord wirft und es wagt, in aller Aufrichtigkeit zu kommunizieren.
Psychologische Sicherheit in der Praxis stärken
Teams mit einer ausgeprägten psychologischen Sicherheit sehen sich in der Regel auch als Teams, die ihr Potenzial gut ausnutzen. Nach der Arbeit mit über 50 Teams, die ich bei der Reflexion und Verbesserung des Teamzusammenspiels hin zu mehr psychologischer Sicherheit begleiten durfte, kann ich den in der Aristoteles-Studie behauptete Zusammenhang zwischen Psychologischer Sicherheit und der Wahrnehmung, das Potenzial des Teams auszuschöpfen, bestätigen.
Menschen verschiedenster Berufsgruppen und Hierarchiestufen verstehen schnell und intuitiv, was mit psychologischer Sicherheit gemeint ist, auch wenn sie zum Beispiel im Rahmen eines Teamentwicklungs-Workshops zum ersten Mal davon hören. Der unmittelbare Nutzen aufrichtiger Kommunikation für gelingende Lernprozesse ist naheliegend und lädt dazu ein, psychologische Sicherheit zum Kulturbestandteil zu machen.
Für die Prozessbegleitung bietet sich psychologische Sicherheit als Gütekriterium an, um einen sicheren Begegnungsraum im Workshop zu eröffnen und bei Bedarf im Arbeitsalltag zu halten: Kommen alle gleichberechtigt zu Wort? Nehmen die Teilnehmenden aufeinander Bezug und sich gegenseitig wahr? Fühlt man sich sicher genug, um zu zeigen, was sich hinter manchmal starren Masken aus Rollenerwartung und eingespielten Konflikt-Vermeidungsmechanismen regt? Gelingt es während der Entschlüsselung der Teamdynamik nachvollziehbar zu machen, welche Spannungsmomente im Aufeinandertreffen verschiedener Bedürfnisse wirken?
«Praktisch jedes Teammitglied hat, wenn die Masken fallen, eine ganz eigene Sensibilität und einen eigenen Blick auf die im Team wirkenden Kräfte.»
Wenn man das Moderieren von Spannungen zugespitzt als Primäraufgabe gelingender Führung verstehen könnte, dann wäre das Eröffnen von Lernräumen, in denen das Moderieren von Spannungen eingeübt werden kann, eine Primäraufgabe prozessorientierter Entwicklungsbegleitung. In der Prozessbegleitung ist immer wieder faszinierend, wie das Mass an unterschiedlichen Wahrnehmungen wirkt. Praktisch jedes Teammitglied hat, wenn die Masken fallen, eine ganz eigene Sensibilität und einen eigenen Blick auf die im Team wirkenden Kräfte. Diese Unterschiedlichkeit stiftet in einem psychologisch sicheren, sozialen Raum das Fundament gelingender Team- und Lernprozesse.
Zu einer systematischen Reflexion und Verbesserung der Dynamik im Team hin zu mehr psychologischer Sicherheit haben sich folgende Fragen in der Praxis bewährt:
- Wie gut nutzt ihr das Team-Potenzial auf einer Skala von 1 (low performing) bis 99 (high performing) aus?
- Welche Kraftquelle gibt dir ganz persönlich in diesem Team am meisten Energie?
- Was kostet dich ganz persönlich in diesem Team am meisten Energie?
- Was ist dein Beitrag zu den Kraftquellen und Energiefressern im Team? Wie beurteilen die anderen Teammitglieder deinen Beitrag?
- Wie steht es um eure psychologische Sicherheit? Was ist der Beitrag jedes Teammitglieds zur psychologischen Sicherheit?
Wie steht es um die psychologische Sicherheit in Ihrem Team?
Joachim Maiers Online-Gruppen-Challenge DIE ARCHE hilft dabei, psychologische Sicherheit im Team zu messen und zu entwickeln. Die Challenge ist selbsterklärend, geeignet für Teams von 3-15 Personen und kann wunderbar auch auf Distanz, z. B. über Zoom, gespielt werden.
Eine Vorschau finden Sie in diesem Video.
Joachim Maier ist Berater für Team-, Führungs- und Organisationsentwicklungsprojekte am IAP Institut für Angewandte Psychologie. Spezifisch bietet er systemische und lösungsfokussierte Interventionen, Coachings/Beratungen und Begleitung von organisationalen Veränderungsprozessen und Grossgruppenmoderation an.