Positive Vögel vor dem Fenster und die Macht der Gedanken

In den letzten Wochen sind Sie sicher auf viele Tipps zum Umgang mit der derzeitigen Situation gestossen. Vielleicht wollten Sie diese Ratschläge gerne befolgen, wussten aber nicht, wie umsetzen. Die Sportpsychologie kennt konkrete Übungen und Anleitungen, die im (Arbeits-)Alltag eingesetzt werden können. Wir stellen Ihnen hier drei vor.

Text: Jan Rauch und Anuschka Zimmermann
Bild: Ales Krivec

(Mentale) Ziele setzen

Ziele setzen ist einfach – gesetzte Ziele erreichen ist eine andere Geschichte.
Dies gilt nicht nur für den Sport. Je nach Ihrer Situation könnten dies konkrete Aufgaben fürs Homeoffice, den Haushalt, das Familienleben etc. sein.

Im Sport ist es beispielsweise so, dass Ziele zunächst auf der Leistungsebene gesetzt werden. Also Zeiten erreichen, Anzahl Kilometer erreichen, einen bestimmten Rangplatz erreichen. Es erscheint jedoch logisch, dass Sportler/innen solche Ziele nur erreichen können, wenn sie es schaffen, Aufmerksamkeit und Konzentration auf das Wichtige zu lenken – man spricht hier von mentalen Zielen. Ausserdem setzen sich Sportler/innen damit auseinander, was sie daran hindern könnte, ihre mentalen Ziele zu erreichen (Bedingungen, Gegner etc.). Im Alltag funktioniert das genau gleich.

Tipp: In vier Schritten Ziele setzen und Stolpersteine identifizieren

  • Schritt 1: Setzen Sie sich ein Leistungsziel für den nächsten Tag (siehe Beispiel unten) und unterteilen Sie es, wenn nötig, in kleine, messbare Einheiten.
  • Schritt 2: Überlegen Sie sich, was die mentalen Ziele sind, um dieses Leistungsziel zu erreichen: Worauf soll meine Konzentration liegen? In welcher Stimmung muss ich sein? Und so weiter.
  • Schritt 3: Identifizieren Sie konkrete «Stolpersteine», welche die Erreichung dieser mentalen Ziele verhindern könnten.
  • Schritt 4: Schaffen Sie diese Stolpersteine aus dem Weg.

Ein Beispiel. Ihr Leistungsziel lautet: «Morgen stelle ich das neue Kundenkonzept fertig» (1. Schritt). Dann formulieren Sie dazu ein passendes mentales Ziel, wie z.B.: «Ich benötige vier Stunden störungsfreie Zeit vor dem Computer» (2. Schritt). Danach definieren Sie entsprechende Stolpersteine (Fragen der Kinder zu den Hausaufgaben, eingehende Telefonate, Baulärm von der Strasse) (3. Schritt). Nun überlegen Sie, wie Sie diese Stolpersteine überwinden werden: «Ich werde mit den Kindern die Abmachung treffen, dass sie konkrete Fragen aufschreiben sollen, welche wir dann über Mittag besprechen» oder «Ich stelle das Telefon am Vormittag auf Flugmodus» (4. Schritt).

Ausserdem: Lernen Sie bewusst. Wenn Sie die Zielsetzungen ein paar Tage ausprobiert haben, werden Sie rasch merken, welche Stolpersteine Sie immer wieder behindern. Passen Sie daraufhin ihre Zielsetzungen an.

Das klingt einfach, aber es ist sehr wichtig, solche Stolpersteine überhaupt zu identifizieren. Denn häufig sind es immer ähnliche Dinge, die uns von unseren Plänen abhalten. Das Bewusst-Machen dieser Stolpersteine alleine führt bereits dazu, dass man besser gegen solche Einflüsse gewappnet ist. Dies hilft nicht nur, gesetzte Ziele zu erreichen, sondern reduziert auch den Ärger, wenn man gefühlt «dauernd» von seinen Zielen abgehalten wird. Und dies hat wiederum positive Auswirkungen auf die Konzentration, welche es erlaubt, an einem Ziel dranzubleiben.

Positive Selbstgespräche führen

Viele unserer Gedanken sind ein innerer Dialog, also ein Selbstgespräch. Wir nutzen Selbstgespräche, um unsere Handlungen vorzubereiten («Morgen stehe ich früher auf.»), zu kommentieren («Läuft ja ganz gut.») oder auszuwerten («Uff, gerade noch geschafft!»). In der Regel haben diese Selbstgespräche motivationale Komponenten, die unser Handeln unterstützen.

Stehen wir unter Stress, können negative Einflüsse in den Selbstgesprächen Überhand nehmen («Das schaffe ich nie!», «So ein blöder Fehler!»). Dies hat in der Regel schädliche Auswirkungen auf die Motivation, das emotionale Befinden und die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf Wichtiges zu lenken. Umso wichtiger ist es, Selbstgespräche positiv zu formulieren, um deren vorteilhafte Auswirkung auf den Selbstwert zu nutzen.

Führen Sie positive Selbstgespräche. Fragen Sie sich: Was macht mir Mut? Wer oder was kann hilfreich sein? Welche Sätze kann ich mir sagen, die mich beruhigen und mir/meiner Familie Sicherheit geben?

Tipp :«Antworten» auf negative Selbstgespräche

  • Identifizieren Sie regelmässig auftretende negative Gedanken und Selbstgespräche («Immer diese negativen Meldungen in den Medien!» oder «Ich drehe langsam durch, immer nur zuhause rumzusitzen!»).
  • Überlegen Sie sich Sätze, mit denen Sie konkret auf den negativen Aspekt des Gedankens «antworten» können («Ich suche ab jetzt bewusst nach mehr positiven Inhalten in den Medien» oder «Ich werde mich ab jetzt mehr bewegen»)
  • Sobald einer Ihrer negativen Gedanken wieder auftritt, antworten Sie darauf bewusst und laut (also nicht nur in Gedanken) mit der positiven Antwort.
  • Sie werden bemerken: Nach einigen Tagen erkennen Sie die negativen Gedanken, bevor Sie sie (innerlich) ausgesprochen haben. Stoppen Sie den Gedanken an dieser Stelle und sprechen Sie Ihre positive Antwort aus.

Das Gute bewusst machen

Ein hohes Wohlbefinden geht in der Regel mit besserer Arbeitsleistung einher. Wenn es uns also gelingt, das Wohlbefinden zu steigern, können wir damit gleichzeitig die Arbeitsleistung positiv beeinflussen.
In Krisensituationen tendieren wir dazu, nur noch das Negative zu sehen. Daher lohnt es sich, den Blick ganz bewusst auf das Gute, Gelingende zu richten. Auch in dieser Krise gibt es positive Dinge: trotz Stress mehr Zeit mit der Familie verbringen, komfortableres Arbeiten von zuhause aus usw.

Tipp: Drei gute Dinge

  • Nehmen Sie sich jeden Abend mindestens 15 Minuten Zeit und notieren Sie drei Dinge, die an diesem Tag wirklich gut gelaufen sind oder die Sie als schön empfunden haben. Dies können Dinge aus allen Bereichen des Lebens sein, auch ganz kleine Dinge (z.B. der Vogel, den ich am Morgen vor dem Fenster gesehen habe oder die erfolgreich durchgeführte Online-Veranstaltung)
  • Beantworten Sie für Sich zu jedem der guten Dinge folgende Frage: Warum hat sich dieses gute Ereignis zugetragen? (z.B. «weil ich mir das Homeoffice am Fenster eingerichtet habe» oder «weil ich mich intensiv mit Online-Konferenz-Tools beschäftigt habe»).
  • Beantworten Sie in einem weiteren Schritt für jedes der drei guten Dinge die Frage: Was habe ich dabei genau empfunden? (z.B. «ich war glücklich, wieder mal einen Vogel aus der Nähe zu beobachten» oder «ich war stolz, dass der Kurs so gut über die Bühne ging»).

Achten Sie darauf, dass Sie die drei Dinge und die jeweiligen Gefühle wirklich aufschreiben. Es reicht nicht, diese Übung nur gedanklich durchzuführen. Das mag zu Beginn etwas schwierig erscheinen, aber versuchen Sie dies in den nächsten Wochen konsequent durchzuziehen. Sie werden sehen, es wird Ihnen im Laufe der Zeit leichter fallen.

Neben einem bewussteren Fokus auf positive Dinge, ist das Ziel dieser Übung, eine Sammlung positiver Dinge aufzubauen, welche man zu einem späteren Zeitpunkt wieder hervorholen kann. In vielen Studien trat nach vier Wochen eine merkliche Steigerung des Wohlbefindens ein.

Dr. Jan Rauch ist Psychologe FSP und am IAP Institut für Angewandte Psychologie als Leiter Sportpsychologie tätig. Er ist Studienleiter von zwei Zertifikatslehrgängen und bietet sportpsychologische Beratungen im Einzel- und Teamsport an.

Anuschka Zimmermann ist Psychologiestudentin an der ZHAW und absolviert im Rahmen ihres Studiums ein Praktikum am IAP Institut für Angewandte Psychologie. Darüber hinaus ist sie als Trainerin in der Erwachsenenbildung tätig.


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