Die heutige volatile, unsichere, komplexe und mehrdeutige Arbeitswelt ist einem starken Wandel unterworfen. Dies hat auch Auswirkungen auf die Arbeitnehmenden. «Agilität» ist das Modewort der Stunde und kann auch auf die Laufbahn- und Personalentwicklung bezogen werden, denn auch diese sollte individualisiert ablaufen. Zentral dabei ist, dass Mitarbeitende und Führungspersonen im kontinuierlichen Dialog stehen und Verantwortung übernehmen.
Marc Schreiber, Laufbahnberater am IAP Institut für Angewandte Psychologie
Die schnelllebige Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts stellt Organisationen vor grosse Herausforderungen: Für den Unternehmenserfolg in einem volatilen und komplexen Umfeld benötigen Firmen Arbeitnehmende mit ganz bestimmten Kompetenzen und Eigenschaften. Und diese verändern sich aufgrund des stets wechselnden Marktumfeldes sehr schnell. Der Einsatz und die Entwicklung von Mitarbeitenden ist daher nicht mehr so gut plan- und vorhersehbar wie früher. Die streng normierten Personalentwicklungsprozesse der letzten Jahrzehnte machen heute oft wenig Sinn. Doch wie können Organisationen auf der Basis solcher Rahmenbedingungen wirksam funktionieren und ihr Personal langfristig weiterentwickeln?
Laufbahn- und Personalentwicklung an Realität anpassen
Gemäss aktuellen Trends geht die Antwort auf diese Frage in Richtung Flexibilisierung und Individualisierung. Zum Beispiel reagierten immer mehr Organisationen, und selbst öffentliche Arbeitgeber, auf die Schnelllebigkeit und Unsicherheit mit befristeten Anstellungen, mit Anstellungen auf Projektbasis oder mit Anstellung über Drittfirmen. Auf dieser Basis ist konventionelle Personalentwicklung nicht mehr möglich, weder für Arbeitnehmende, noch für Arbeitgebende. Die gängigen Personalentwicklungskonzepte in Organisationen, die auf normierte Laufbahnpfade wie die Fach- und Führungslaufbahn abzielen, gehen immer noch von vorhersehbaren Rahmenbedingungen aus und stehen dadurch in einem krassen Widerspruch zur aktuellen Realität in der Arbeitswelt. Nachhaltige Personalentwicklung sollte heute einerseits eine individuelle Komponente beinhalten und an die individuellen Bedürfnisse und Lebensthemen der Mitarbeitenden anknüpfen. Denn wertgeschätzte und zufriedene Mitarbeitende leisten mehr für ihre Organisation. Andererseits sollte sie auf die schnellen Wechsel in der Arbeitswelt ausgerichtet sein und dem Unternehmen die Möglichkeit geben, seine Mitarbeitenden flexibel einzusetzen. Darüber hinaus möchten die Organisationen ihre Mitarbeitenden trotz maximaler Flexibilität in der Planung möglichst langfristig binden, um auf deren Know-how zurückgreifen zu können. Flexibilität und Langfristigkeit als zwei Bedürfnisse der Organisation sind nicht widersprüchlich, aber sie müssen Mitarbeitenden klar erklärt und individuell betrachtet werden.
Die normierte Laufbahnentwicklung entspricht daher häufig weder den Bedürfnissen der Arbeitnehmenden noch denen des Unternehmens, das sich im Markt mit messbarem Erfolg behaupten muss. Arbeitnehmende streben in unterschiedlichem Mass nach Sicherheit und neuen Herausforderungen. Sie versuchen, ihre Bedürfnisse in ihrer unmittelbaren Arbeitswelt umzusetzen. Moderne Personalentwicklung, die den Anspruch hat, zufriedene und erfolgreiche Mitarbeitende zu entwickeln und auch in Zukunft im Unternehmen zu halten, tut daher gut daran, auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden und deren Arbeitsrealität einzugehen.
Laufbahnentwicklung erfordert Selbst- und Führungsverantwortung
Viele Mitarbeitende schaffen es, ihre aktuelle berufliche Situation mit den eigenen Interessen, Werten und Bedürfnissen abzugleichen und als Folge dieser Selbstreflexion ihre Laufbahn selbstverantwortlich zu entwickeln. Als Laufbahnberater begegne ich aber auch immer wieder Klientinnen und Klienten, die ihre Bedürfnisse nur diffus benennen können und gerade deshalb in die Beratung kommen. Sie sprechen häufig von Stress, Nervosität oder auch von Lust- und Ziellosigkeit sowie Langeweile, weil keine Entwicklung möglich ist. Dieselben Personen beklagen bisweilen auch, dass ihnen die Laufbahnmöglichkeiten und deren Anforderungen innerhalb der Organisation nicht bekannt sind. Die Situation gestaltet sich, wie in der Abbildung skizziert.
Nicht selten schildern Klientinnen und Klienten in Laufbahnberatungen ihre berufliche Situation als «verloren ohne Kompass auf einem grossen Dampfer». In einer solchen Ausgangslage kann eine Laufbahnberatung – sei diese privat initiiert oder durch die Organisation ermöglicht – dabei unterstützen, erst einmal die eigenen Bedürfnisse zu identifizieren und diese auch explizit festzuhalten.
In der Folge stellt sich häufig die Frage, ob die Bedürfnisse (z.B. nach fachlicher Weiterentwicklung oder mehr Verantwortungsübernahme) in der Organisation überhaupt umsetzbar sind. Dazu ist es wichtig, dass Mitarbeitende im Gespräch mit der oder dem Vorgesetzten Transparenz über ihre Entwicklungswünsche schaffen und eine Diskussion über die Möglichkeiten innerhalb der Organisation einfordern, sei dies im Rahmen der zur Verfügung stehenden Instrumente wie Mitarbeitendenbeurteilung (MAB) oder Zielvereinbarungsgespräch, oder in Form eines zusätzlichen Gespräches während des Jahres. Für Mitarbeitende, welche zwar fest eingebunden sind in einer Organisation, deren Vertragsverhältnis aber über eine Drittfirma, einen sogenannten Contractor läuft, verkompliziert sich dieser Prozess. Manchmal ist es für Mitarbeitende nicht eindeutig, wen sie als Ansprechperson für ihre persönliche Entwicklung adressieren sollen.
Häufiger als ein externer Wechsel ergibt sich aus dem Prozess, der mit der Konkretisierung der Bedürfnisse des Mitarbeitenden beginnt, eine interne Lösung. Wenn die Bedürfnisse und Entwicklungsziele der Mitarbeitenden die Anforderungen der Organisation treffen und auf Resonanz stossen, so kann entweder die aktuelle Rolle geschärft und neu ausgerichtet werden oder die Person kann sich auf eine neue Stelle innerhalb der Unternehmung bewerben. Interne Wechsel reduzieren im Idealfall das Risiko einer Fehlbesetzung, weil man die Person bereits kennt.
Dialog und Transparenz schaffen Vertrauen
Führungspersonen fürchten bisweilen den Verlust von wichtigen und kompetenten Mitarbeitenden, wenn man ihnen aufzeigen muss, dass sie sich kurz- oder mittelfristig nicht wie gewünscht entwickeln können, weil beispielsweise gerade keine entsprechende Position offen ist oder kein passendes Projekt ansteht. Doch unternehmerisch gesehen, gehen die wertvollen Ressourcen von lernwilligen Mitarbeitenden früher oder später verloren, wenn sie in einer Position feststecken, in der sie ihr Potenzial nicht voll entwickeln können. Deshalb sollten zukunftsgerichtete und möglichst transparente Entwicklungsgespräche geführt werden. Dazu gehört auch transparent aufzuzeigen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt kein beruflicher Entwicklungsschritt möglich ist.
In einer agilen Organisation sollte der Prozess einer individualisierten Laufbahn- und Personalentwicklung forciert werden, um den Herausforderungen der schnelllebigen Arbeitswelt begegnen und Entwicklungspotenziale innerhalb einer Organisation schnell identifizieren und umsetzen zu können. Perspektivenlosigkeit und damit verbundene Unzufriedenheit können bei Mitarbeitenden sonst zu einer sogenannten «inneren Kündigung» führen. Selbst wenn man im Laufe des Prozesses zum Schluss kommt, dass eine gewünschte Entwicklung nicht möglich ist und sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter im Sinne der persönlichen Entwicklung sinnvollerweise nach einer anderen Herausforderung umschauen sollte, kann ein solcher Prozess zufriedenstellend gelöst werden. Eine für beide Seiten akzeptable Lösung kann zum Beispiel darin bestehen, dass man den Weggang offen bespricht und konstruktiv gestaltet, so dass beide Seiten besser planen und sich im Guten trennen können. Dadurch lässt man sich zudem die Türen offen für die Zukunft. Wirksame Laufbahn- und Personalentwicklung kann also nur dann zielorientiert ablaufen, wenn Mitarbeitende und Führungspersonen im kontinuierlichen Dialog stehen, und wenn beide bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Vorgesetzte stehen in der Verantwortung, den Mitarbeitenden Orientierung zu geben, indem sie die Möglichkeiten und Grenzen innerhalb der Organisation transparent aufzeigen. Mitarbeitende stehen in der Verantwortung, ihre Bedürfnisse und Anliegen möglichst konkret zu adressieren.
3 Tipps einer individualisierten Laufbahn- und Personalentwicklung
Mitarbeitende sollten ihre Bedürfnisse und Entwicklungsziele formulieren können
Durch die steigende Komplexität der individuellen Entwicklungsaufgabe ist es sinnvoll, dass Mitarbeitende Unterstützung im Rahmen einer professionellen Laufbahnberatung in Anspruch nehmen. Diese kann privat initiiert sein oder durch die Organisation ermöglicht werden.
Vorgesetzte sollten Transparenz über die Entwicklungsmöglichkeiten schaffen
Mitarbeitende sind dann zufrieden und erfolgreich, wenn sie gemäss ihren Bedürfnissen und Entwicklungszielen eingesetzt werden können. Ist das nicht möglich, sollte offen und transparent darüber gesprochen werden.
Kontinuierlicher und transparenter Dialog über die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten
Durch die Schnelllebigkeit der Arbeitswelt und die Tatsache, dass sich Bedürfnisse und insbesondere Entwicklungsziele von Mitarbeitenden ändern können, ist ein permanenter Dialog nötig. Jährliche Entwicklungsgespräche sind je nach individuellem Kontext zu wenig.
Über den Autor:
Marc Schreiber hat an der Universität Zürich Psychologie studiert und promoviert. Er ist Fachpsychologe für Laufbahn- und Personalpsychologie FSP und dipl. Berufs-, Studien- und Laufbahnberater. Seit 2009 ist er Dozent und Berater am IAP Institut für Angewandte Psychologie. Davor war er als Marktforscher in der Telekommunikationsbranche tätig.