Corona-Alltag mit kleinen Kindern und trotzdem entspannt und leistungsfähig? – ein Erfahrungsbericht

Juhee die Auflockerung kommt! Ach, wie werden wir sie vermissen diese Alle-unter-einem-Dach-Zeit… oder verdrängen wir da etwas?
Es lohnt sich auf jeden Fall, einen ehrlichen Rückblick auf schluchzende Kinder, sinnloses Aufräumen und das allsehende Kamera-Auge des Laptops im Mami-Papi-Kind-Homeoffice zu werfen.

Text: Gian-Rico Bardy
Bild: Shutterstock

Für alle Menschen hat sich durch das Corona-Virus und den damit einhergehenden Massnahmen in den letzten Wochen vieles verändert.
Auch für unsere Familie mit zwei Kleinkindern und zwei berufstätigen Eltern. Wir mussten uns, in vielerlei Hinsicht anpassen. Die Kinder gehen am Montag nicht mehr in die Krippe (das war für uns zu dieser Zeit keine Option) und Omi kommt am Mittwoch auch nicht mehr. Gleichzeitig haben sich die Anforderungen im beruflichen Kontext stark verändert. Homeoffice mit Nicht-enden-wollenden-Online-Meetings, bei denen man sich nur ausloggt, um sich direkt ins nächste einzuloggen. Es bleibt kaum noch Zeit, um die in den Meetings besprochenen Tasks auch wirklich umzusetzen – und zwar in der gewohnten Manier bzw. mit den gewohnten Ansprüchen von aussen, wie auch von einem selbst.

Mit je einem Kind am Bein auf den Homeoffice-Einsatz warten

Viele stellten sich in den letzten Wochen bestimmt derselben oder ähnlichen Herausforderungen. Deshalb möchte ich hiermit unsere Selbsterkenntnis zugänglich machen, um solche Phasen im Leben so gut als möglich zu meistern und dabei noch eine gewisse Entspannung zu erleben – oder nicht komplett verrückt zu werden.

1. Tipp: Struktur schaffen, wo es vermeintlich keine Struktur gibt

Zu Beginn haben meine Frau und ich versucht, unsere Termine aneinander vorbei zu planen. Dies hat dazu geführt, dass wir uns in unserem improvisierten Homeoffice die Klinke in die Hand gegeben haben, bzw. der eine mit je einem Kind am Bein draussen vor der Tür genervt gewartet hat, bis der andere endlich sein Meeting beendete, damit man selbst das eigene rechtzeitig beginnen konnte.

«Hesch denn bim Papi scho as Dessert gha?»

Nicht bedacht haben wir dabei, was dieser Zustand mit den Kindern macht. Das Meiste, was ich meinen Kindern zu dieser Zeit gesagt habe, waren Sätze, wie «Wart schnell!», «Jetzt müander ganz still si, gell» oder «z’Mami kunnt grad». Das dies unsere Kinder im Alter von 1 und 3 Jahren nicht verstanden haben, liegt wohl auf der Hand und die Reaktionen waren entsprechend. All dies hat zu einer unglaublichen Hektik geführt, die sich wie in einer Spirale ständig verstärkte. Als meiner Frau und mir dies irgendwann bewusst wurde, haben wir versucht, etwas grobmaschiger zu planen – sie am Morgen, ich am Nachmittag. Aber auch das war nur mässig erfolgreich, da sich für die Kinder dabei nicht viel an der Struktur verändert hat. Für sie erschien der Tag ungeplant und es war schwierig, Abmachungen zu treffen und sich auch daran zu halten. «Hesch denn bim Papi scho as Dessert gha? Nei? Bisch sicher?».

«s Mami het neeeeeeeeeeei gsait!!»

Wir haben dann festgestellt, dass es allen am besten geht, wenn ein Elternteil den ganzen Tag arbeitet und der andere die Kinderbetreuung übernimmt. Und ja, manchmal platzen die Kinder in die Video-Konferenz «Papi i han grad as Riesagaggi gmacht» oder schluchzen vor der Türe «s Mami het neeeeeeeeeeei gsait!!». Auch das gehört zum neuen Alltag dazu und zum Glück geht es den meisten Kollegen ähnlich. Ausserdem kann man die Videofunktion sowie das Mikrofon auch kurz einmal ausschalten.

2. Tipp: Eigene Ansprüche zurücknehmen

In dieser aussergewöhnlichen Zeit den Anspruch an sich selbst zu haben, die gleiche Menge an Arbeit in der gleichen Qualität zu erbringen, ist wahrscheinlich etwas vermessen. Und dennoch hat sicher jeder von uns einen gewissen Arbeitsanspruch, einen gewissen Arbeitsethos, den man nicht einfach über Bord werfen kann oder will. Gleichzeitig dann aber mit den Kindern den «Nuggi» los zu werden (was ja vor 2-3 Wochen so gut geklappt hat), die Windeln endlich abzugewöhnen, das Radfahren ohne Stützräder hinzubekommen und die Wohnung blitzblank zu halten, ist wohl Einiges zu viel verlangt. Die eigenen Ansprüche an sich und andere bewusst zurückzunehmen – «z Füfi grad si loh» – hat bei uns ebenfalls dazu geführt, mit der ganzen Situation gelassener umzugehen.

3. Tipp: Bewusst auch die Vorteile der Situation sehen

Homeoffice bietet da und dort auch Vorteile. Mittagessen mit der Familie auf der Terrasse oder ein gemeinsames Zvieri und dann dafür am Abend noch etwas arbeiten. Oder der Umstand, sich die Arbeit zu einem gewissen Teil selbst einteilen zu können, ist auch nicht zu verachten. Wenn es beispielsweise bei der Konzeption einer Online-Weiterbildung harzt, kann ich mich jederzeit mit anderen Tätigkeiten kurz ablenken.

Diese Strategie ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen, wenn man kleine Kinder hat.

Zu Beginn wollte ich einmal still und heimlich eines der Zimmer etwas aufräumen. Natürlich haben mich die Kleinen dabei erwischt, worauf ich sie direkt aufgefordert habe, mir zu helfen. Aber sind wir mal ehrlich: nach spätestens 5 Dingen, die sie aufgeräumt hatten, war das Ganze wieder komplett vergessen und es lagen bereits 10 neue Spielsachen, die sie während dem «Aufräumen» wiederentdeckt hatten, herum. In diesem Moment war ich froh, mich wieder in die Konzeption vertiefen zu können und den Rest mit einem nicht ganz so schlechten Gewissen meiner Frau zu überlassen.

4. Tipp: Klares Ziel setzen

Seit meiner Frau und mir bewusst geworden ist, dass ein klar formuliertes Tagesziel uns hilft, auch herausfordernde Tage gut zu meistern, machen wir uns einen kleinen Spass daraus, dies am Morgen bzw. am Vorabend zu definieren. Mittlerweile haben wir festgestellt, dass für uns zurzeit vor allem ein Ziel wichtig ist, um längerfristig entspannt und leistungsfähig zu bleiben: Die Kinder müssen spätestens um 20 Uhr in ihren Betten sein und schlafen (ok, das mit dem schlafen klappt nicht immer). Dann haben wir nämlich Zeit für uns. Sei es, um jeder für sich einer Tätigkeit nachzugehen oder gemeinsam etwas zu machen. Zum Beispiel die Highlights des Tages Revue passieren lassen und dabei ab und zu ein Glas Wein trinken.

Es ist klar, dass diese Tipps für uns nur funktionieren, weil wir beide von zu Hause aus arbeiten können und zusätzlich flexible und verständnisvolle Arbeitgeber haben, die uns in dieser Zeit ermöglichen z. B. Überzeit abzubauen oder auch Minusstunden zu generieren.

Diese Ansätze sind sicher nicht für Jeden und Jede komplett neu, sie basieren aber auf grundlegenden psychologischen Erkenntnissen und haben sich bei uns bewährt. Wir können diese Ratschläge also mit gutem Gewissen weitergeben.

Gian-Rico Bardy ist Berater im Bereich Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie am IAP Institut für Angewandte Psychologie.


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