«Wir Erwachsene haben oft eine Zensurschere im Kopf»

«Was mach ich nur die ganze Zeit mit den Kindern?!», werden sich wohl viele Eltern in diesen Tagen fragen. Spielen kann eine Quelle von Freude und Spass sein, aber leider auch von Frust und Wutanfällen. Unser Spielpsychologe Roberto Siano macht Vorschläge, wie ein gutes Spiel für die Kinder und auch die Erwachsenen gelingt.

Text: Roberto Siano
Bild: Prashant Sharma

Das Zuhause-bleiben-müssen der Kinder bietet die Möglichkeit, wieder vermehrt mit ihnen zu spielen. So überrascht es nicht, dass Spieletipps momentan boomen. Sie sind überall zu finden. Doch auch das spassigste Spiel hat seine Tücken und statt Freude herrscht manchmal Frust oder sogar Streit. Oft liegt es aber nicht an den Spielen selbst, sondern an den unpassenden Rahmenbedingungen. Denn beim Spielen mit Kindern gibt es einige Spannungsfelder, die es zu beachten gilt.

Ich habe die Unordnung gesehen, die Kinder eine Party mit Freunden

Das erste wichtige Thema ist «Raum lassen». Spielen braucht Platz. Aber nebst dem physischen Raum, geht es auch um die Freiheit im Denken. Wie oft habe ich mich dabei ertappt, den Kindern «Stopp» zu sagen, weil sie alle Stofftiere um den Tisch platzieren wollten inmitten eines Rollenspiels. Ich habe die Unordnung gesehen, sie eine Party mit Freunden. Wir Erwachsenen haben häufig eine Zensurschere im Kopf, weil wir die Folgen des Spiels abschätzen. Dadurch verlieren wir die Möglichkeit, unbeschwert in den Moment einzutauchen.

Aber Raum lassen heisst nicht, keine Grenzen zu setzen. Regeln sind ein fixer Bestandteil von Spielen. Ich versuche in Spielsettings nicht mit Belohnung oder Bestrafung zu hantieren, sondern mit klaren Regeln (die meist gemeinsam verabschiedet werden). Und die erste Regel beim Spielen heisst: bevor ein neues Spiel beginnt, muss das alte abgeräumt werden. Auch wenn wir mitspielen, müssen wir Erwachsene die Verantwortung übernehmen und sind für Sicherheit und Grundstruktur zuständig.

Wenn man keine Lust hat, sollte man nicht mitspielen

Ausserdem ist es wichtig, sich auf die Spielsituation komplett einzulassen. Ich persönlich muss mir ganz bewusst Zeit nehmen, um mich mit den Kindern zu synchronisieren. Wenn ich mich gestresst fühle, geschieht es häufig, dass ich keine Geduld habe. Dann überhöre ich ihre Ideen und lasse mich nicht genug auf sie ein. Dieses vordergründige «Anhören» spüren die Kinder und es kommt dann gerne zur Verweigerung. Wenn man keine Lust hat, sollte man lieber gar nicht mitspielen als nur halbherzig dabei zu sein.

Hier habe ich 3 Tipps zur aktiven Gestaltung von Spiel-Zeiten zusammengestellt.

Tipp 1: Einfach schlägt komplex
Jede Familie hat phasenweise ein Lieblingsspiel. Unseres ist gerade «Drecksau». Es besticht nebst dem Namen – meine Kinder liebten das Spiel, bevor sie es zum ersten Mal gespielt hatten – auch durch eine Mechanik, die es Erwachsenen erlaubt mitzuspielen, ohne vor Langeweile einzuschlafen. Meist spielen meine Kinder jedoch frei. Mit etwas Platz und etwas Abfallholz, können sie sich stundenlang vergnügen. Was sie damit schon alles gebaut haben, ist fantastisch: Ein Schloss, ein Hindernisparcours oder eine Brücke.

Probieren sie Folgendes: Tisch oder Boden frei räumen. Ein paar Kartonschachteln drauf. Für jedes Kind 1 Schere und genug Klebeband. Schauen sie, was passiert… es wäre ziemlich sicher eine «Internet-Challenge» wert.

Tipp 2: Kooperation führt zu weniger Reibung
Viele Spiele sind kompetitiv. Seit «Hanabi» 2013 Spiel des Jahres geworden ist, sind die kooperativen Spiele aber wieder stärker in den Fokus gerückt. Auch Teamspiele gibt es viele. Hier steht das Miteinander im Vordergrund und weniger das Gegeneinander. Man kann viele Spielsettings kooperativ ausgestalten. Ein Hindernisparcours kann z. B. kompetitiv aufgestellt sein, sodass der Schnellste gewinnt oder kooperativ, dass jenes Team einen Punkt bekommt, bei dem die Mitglieder zusammen die Hindernisse bewältigen. Ausserdem kann man nicht messbare Ziele setzen. Ich habe Kindern schon mit Holzklötzen zwei unterschiedliche Aufgaben gegeben. Baut den höchsten Turm oder baut ein schönes Schloss. Die Dynamik war sehr unterschiedlich.

Tipp 3: Spass haben
Das Wichtigste beim Spielen ist Spass und eine gute Zeit zu haben. Das verbindet. Dieser Spass kann für alle unterschiedlich sein. Ich persönlich kann zum Beispiel nicht absichtlich verlieren. Ich gebe mir manchmal ein Handicap, aber gewinnen lasse ich meine Kinder nicht, das würde mir selbst den Spass verderben.

Spass haben, heisst aber auch, es locker zu nehmen, wenn etwas nicht klappt. Manchmal hat man eine geniale Idee, bereitet alles vor und freut sich darauf – und auf einmal wollen die Kinder lieber Playmobil spielen. Das muss man dann nicht persönlich nehmen, sondern die Situation «fliessen» lassen.

Roberto Siano ist als Berater & Dozent am IAP Institut für Angewandte Psychologie tätig. Seine Themenschwerpunkte liegen auf Spielpsychologie, Spielentwicklung und dem Einsatz von Spielmethoden in der Aus- und Weiterbildung.

Schlagwörter: Kinder, Spiele

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