Stress und Burnout sind Begriffe, welche uns täglich begegnen. Die meisten Menschen wissen heute, welche Symptome bei Überlastung zu erwarten sind und woher die verschiedenen Ursachen rühren. Und dennoch scheint sich trotz diesem Bewusstsein wenig in unserem Verhalten zu verändern. Umso wichtiger ist es also, sich mit den Faktoren zu befassen, die unsere Resilienz fördern.
Text: Susanna Borner, Beraterin und Dozentin am IAP Institut für Angewandte Psychologie
Bild: René Schindler auf Pixabay
Betrachtet man die neuste Studie zum Befinden der Erwerbstätigen in der Schweiz, so ist der Job-Stress-Index 2018 bei 27.1%. Das heisst, dass mehr als ein Viertel der befragten erwerbstätigen Personen sich gestresst und erschöpft fühlt. Das deutet darauf hin, dass ein schlechtes Verhältnis von Belastungen und Ressourcen am Arbeitsplatz besteht. Im Jahr 2014 lag diese Zahl bei 24.3%. Auch wenn der Anstieg nicht enorm ausfällt, ist doch bemerkenswert, dass der finanzielle Schaden heute mehr als 6 Milliarden Franken beträgt. Was also ist zu tun, um nicht Jahr für Jahr mehr Betroffene mit dieser Symptomatik auffangen zu müssen?
Innere Antreiber sind oft die Quelle des Stresses
Die meisten Menschen arbeiten nicht nur im beruflichen Umfeld. Neben unserer offiziellen, bezahlten Tätigkeit gibt es noch viele Arten der unbezahlten Arbeit: Hausarbeit, Weiterbildung, Pflege älterer oder kranker Angehöriger, ehrenamtliche Arbeit und vieles mehr. Nun arbeiten die meisten Menschen gerne, denn viele beziehen daraus auch Kraft und Identität. Doch für einen gesunden Umgang mit den Anforderungen der verschiedenen beruflichen und privaten Arbeitswelten braucht es Selbstaufmerksamkeit im eigenen Tun und Handeln. Besonders schwierig ist es, die eigenen inneren Antreiber zu erkennen. Innere Antreiber sind unbewusste Verhaltensmuster, welche bereits in frühen Kindertagen aufgrund von ausgesprochenen wie auch von unausgesprochenen Ansprüchen aus unserem nahen Umfeld entstanden sind. Mit unseren Handlungen wollen wir in der Regel den Erwartungen und Bedürfnissen anderer entsprechen und sichern uns so zum Beispiel äussere Belohnungen und Anerkennung. Dabei kann es schon passieren, dass an uns übertragene Arbeitsaufträge sehr herausfordernd und belastend sind. Dies ist aber nur die eine Seite. Bei Menschen, die im frühen Kindesalter konstant überfordert wurden, kann dieser Zustand zum Standard werden, den es ohne jede Hinterfragung auszuhalten gilt. Burnout-Betroffene berichten mir immer wieder im Rahmen einer Laufbahnberatung, dass es nicht nur die Aussenaufträge waren, welche dazu beigetragen haben, dass sie heute nicht mehr arbeitsfähig sind, sondern dass auch sie mit ihrem Verhalten, ihren Motiven und Werten ihren unbewussten Mitanteil daran hatten.
Dazu ein konkretes Beispiel: Martin W. beabsichtigte, nach der obligatorischen Schulzeit ins Gymnasium zu wechseln. Die Aufnahmeprüfung war eine Hürde, welche er trotz grossem Fleiss, Verzicht auf Hobbies und Einschränkung im Umgang mit Kollegen nicht nehmen konnte. Stattdessen absolvierte er eine kaufmännische Lehre in der Verwaltung. Sein Leistungswille und Ehrgeiz blieben aber ungebrochen. Nach Erlangung der Berufsmaturität entschied er sich, ein betriebswirtschaftliches Studium an der Fachhochschule anzugehen. Mit Bravour hatte er vor vier Jahren den Bachelorabschluss erreicht. Doch dies war Martin W. nicht genug. Er nahm sich vor, bei einem der renommiertesten Beratungsunternehmen anzuheuern, im Wissen darum, dass seine Kolleginnen und Kollegen meist über einen Master-Abschluss oder ein MBA verfügten. Ihm war wichtig zu zeigen, dass er mit Ehrgeiz und Einsatz auch die berufsbegleitende Weiterbildung meistern konnte, ohne, wie die anderen, bereits über einen weiterführenden Abschluss zu verfügen. So betreute er nicht nur effizient Mandate, sondern übernahm zudem auch die Teamführung. Er wollte sich keine Blösse geben und arbeitete und lernte Tag und Nacht – mit grossem Erfolg! Vorgesetzte waren begeistert, Teamkollegen bewunderten ihn; nur er selbst konnte sich auch nach dem hervorragenden Abschluss nicht freuen. Martin W. fühlte sich längst erschöpft. Er wusste, dass er nicht mehr in der Lage war, dieses Tempo weiter aufrecht zu halten. Nur zugeben konnte er dies nicht – weder vor sich, noch vor den anderen. Das hatte schlimme Folgen.
In diesem Beispiel kommen die klassischen inneren Antreiber zum Zug:
Sei perfekt!
«Ich bin noch nicht gut genug. Es gibt immer etwas besser zu machen.»
Sei beliebt!
«Ich will es allen recht machen und kann schlecht ‘Nein’ sagen. Ich will keine Konflikte und stelle meine eigenen Interessen zurück.»
Sei stark!
«Ich komme alleine zurecht. Ich bewahre Haltung und lasse keine Schwäche zu.»
Streng dich an!
«Ich muss es schaffen und Probleme überwinden. Dafür arbeite ich hart.»
Sei schnell!
«Ich muss vorwärts machen und bin dauernd beschäftigt. Ich mache mehrere Dinge gleichzeitig und darf keine Zeit verschwenden.»
Manchmal empfinden wir im Rückblick nicht alle unsere Verhaltensweisen als angemessen. Im Gespräch können wir diesen unbewussten Verhaltensmustern und verinnerlichten Lebensregeln auf die Spur kommen. So ist Martin W. heute bewusst, dass sein erster Zusammenbruch kurz nach dem ersehnten Abschluss keine Lappalie war. Er wollte damals möglichst rasch zurück an die Arbeit und gönnte sich keine Regenerationszeit. Dieses Verhalten zeigt sich oft bei Burnout-gefährdeten Personen, welche von ihren Motiven und Werten, also ihren inneren Antreibern, nicht Abstand nehmen können. Eine nachhaltige Veränderung in der Lebensführung braucht Zeit und die Erkenntnis, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, Arbeit als für sich sinn- und identitätsstiftend zu erleben.
Martin W. konnte nach seinem Zusammenbruch seine Batterien nicht mehr aufladen, weder durch Sport, noch durch Ausflüge mit Freunden. Alles wurde zur Belastung; seine Lebensenergie war aufgebraucht, er fühlte sich leer und stumpf; zu nichts mehr zu gebrauchen, wie er sagte. Was hätte ihn unterstützen können, damit er sich selbst nicht in diesem Masse überforderte? Welche Faktoren ermöglichen es uns, einen aufmerksamen Umgang mit uns selbst zu pflegen und den Faden zu unserem inneren Selbst nicht abreissen zu lassen?
Resilienz ist eine Lebenskompetenz
Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Materialforschung. Gesucht wird dort nach flexibel belastbarem Material, welches sich nach starken Einwirkungen, wie zum Beispiel Hitze, Druck oder Abreibung, rasch wieder in den Ursprungszustand zurückversetzen kann. Es zeigt somit die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen auf. Diese Fähigkeit kann auch auf das Verhalten von Menschen adaptiert werden, welche sich trotz widrigen Umständen, Niederlagen und Erschöpfung immer wieder auffangen und erholen können.
Doch was befähigt uns, resilient gegenüber Herausforderungen zu sein? Grundsätzlich sind es Lebenskompetenzen, die ein anpassungsfähiges und positives Verhalten ermöglichen, mit denen Anforderungen des täglichen Lebens angegangen werden können.
Personen, welche sich selbst gut kennen (Selbstklarheit) und sich mögen (Selbstliebe) haben eine gute Basis mit sich und ihren Gefühlen in Kontakt zu sein. Es gelingt ihnen, angemessen eine Zuschreibung von Ursache und Wirkung in schwierigen Situationen zu machen, und so eigenaktiv Verantwortung zu übernehmen. In der Psychologie spricht man von der «Selbstwirksamkeitserwartung», aufgrund derer ein Mensch überzeugt ist, Anforderungen bewältigen zu können.
Lebenskompetente Menschen denken kreativ und hinterfragen ihre Lösungswege, um so durchdachte Entscheidungen zu treffen. Somit gelingen ihnen erfolgreiche Problemlösungen viel leichter, und sie lassen sich nicht von Krisen überrollen.
Weiter sind sie in der Lage, mit anderen zu kommunizieren, Beziehungen einzugehen und dabei auch empathisch mit sich und anderen zu sein. Sie können sich Unterstützung einholen und sind geübt darin, ein soziales Netzwerk zu pflegen.
Weitere Resilienzfaktoren sind eine lebensbejahende Grundeinstellung (realistischer Optimismus) und die Gelassenheit, Situationen wo nötig auch zu akzeptieren. Es gilt, eine Balance zu finden zwischen «Energie-bereitstellen» und «Sich-schonen». Auch bei guter körperlicher Verfassung und Selbstfürsorge muss in belastenden Situationen immer wieder neu beurteilt werden, in welcher Weise sie angegangen werden können.
Personen, welche einen inneren Bezug zu sich selbst haben – in einem inneren Dialog mit sich sind – können zwischen herausfordernden Situationen und ihren Bewältigungsstrategien (Ressourcen) einen gesunden, realitätsgerechten Abgleich machen. Sie sind in der Lage, ihr Verhalten ihren Kompetenzen anzupassen und dabei Motive oder auch Werte – also auch Antreiber und Glaubenssätze – zu hinterfragen. Es gelingt ihnen, Herausforderungen von verschiedenen Perspektiven aus wahrzunehmen, und zum Beispiel in Gesprächen, andere, neue Herangehensweisen für deren Bewältigung zu überprüfen.
Unter diesen Aspekten müsste Martin W. also seine Lebenskompetenzen überprüfen, um sich in Zukunft den beruflichen wie privaten Herausforderungen positiv und erfolgreich stellen zu können. Doch welche Fähigkeiten ermöglichen es ihm, in schwierigen Situationen so zu handeln, dass seine Ressourcen die Krise auffangen können und seine Energiebilanz positiv bleibt?
Bewusste, ressourcenfördernde Lebensgestaltung
Es gibt unzählige Ratgeber, Artikel und Blogs, welche sich mit Ideen für eine bessere, positive Lebensführung auseinandersetzen. Genügend Sport zu treiben, für eine gute Ernährung zu sorgen und sich ausreichend Schlaf zu gönnen, sind wichtige Basiselemente, damit die körperlichen Reserven gewährleistet bleiben. Dazu kommen Aufmerksamkeitstrainings (MBSR), Meditationsübungen oder Yoga als Möglichkeit, Stress abzubauen und mehr Ruhe und Gelassenheit zu finden. Bei all diesen Lösungsansätzen geht es immer darum, die Aufmerksamkeit auf den eigenen Kern, das eigene Zentrum zu lenken: Was tut mir gut? Was macht mir Freude? Aktivitäten wie gärtnern, kochen, malen oder mit anderen musizieren und singen, können unsere Kreativität fördern und uns so die Dinge aus anderen Blickwinkeln betrachten lassen. Nicht zu vergessen, dass vieles, was wir mit anderen zusammen erleben, unser Gefühl der Gemeinschaft und Verbundenheit stärkt und uns dadurch widerstandsfähiger macht. Wir Menschen sind in der Regel soziale Wesen und wie das Sprichwort so schön sagt, ist geteiltes Leid nur halbes Leid.
Arbeitgeber und Teams haben grossen Einfluss
Zu guter Letzt ist es aber auch wichtig zu erkennen, dass nicht nur wir selbst in der Pflicht sind, unsere Ressourcen richtig zu pflegen und einzusetzen. Auch Unternehmen sind gefragt, ihren Mitarbeitenden eine gute Basis zu bieten, damit beide Seiten ihr Potential ausschöpfen können. So können die Faktoren der Lebenskompetenz auch auf Organisationen angewendet werden.
Unternehmen sollten sich diese Fragen stellen: Können die Mitarbeitenden ihre Fähigkeiten genügend einsetzen? Haben sie den nötigen Entscheidungsspielraum, um in Krisensituationen selbst aktiv zu werden und verbessert dies ihre Selbstwirksamkeit? Können Mitarbeitende in schwierigen Situationen ein betriebliches Coaching in Anspruch nehmen und zeigt sich die Firmenkultur so, dass Mitarbeitende übermässige Belastungen auch offen ansprechen dürfen? Gibt es Systeme, die ein frühzeitiges Handeln und damit die Prävention eines Burnouts möglich machen? Gute Voraussetzungen sind zudem, wenn sich Mitarbeitende in der Teamarbeit gegenseitig unterstützen und im Austausch voneinander lernen. Weiter sind Aktionen wie Kurse in Aufmerksamkeitstraining, Yoga und Joggen über Mittag oder auch das Bereitstellen eines Früchtekorbes im Pausenraum mehr als nur Wertschätzung. Sie signalisieren die Begleitung der individuellen Bemühungen, gesund und aktiv zu bleiben. Arbeitgeber und Teamkollegen haben also bei der Prävention viel in der Hand. Den grossen Unterschied kann aber wahrscheinlich keine der Parteien alleine bewirken. Um Resilienz aufzubauen und so die Burnout-Statistik zu verbessern, braucht es ein nachhaltiges und empathisches Miteinander von Eigen-, Team- und Arbeitgeberverantwortung.
Susanna Borner ist Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW. Nach ihrem Psychologiestudium an der Universität Zürich absolvierte sie verschiedene Nachdiplomstudien in Systemischer Familien- und Paartherapie, Personalmanagement sowie Berufs- und Laufbahnberatung. Am IAP leitet sie den MAS Berufs-, Studien- & Laufbahnberatung und arbeitet als Coach mit Menschen, die sich weiterentwickeln möchten.