Leandra Limani arbeitet als Beraterin am Institut für Angewandte Psychologie. Sie ist spezialisiert auf Diagnostik, Verkehr und Sicherheit. Im Gespräch erzählt sie, wie angehende Berufslenker geprüft werden.

Leandra, was macht eine Psychologin im Bereich Verkehr?

Tatsächlich werde ich das ab und zu gefragt. Gemäss der letzten aktuellen Statistik des Bundes verbringen wir jeden Tag durchschnittlich 90 Minuten im Verkehr. Jede Schweizerin und jeder Schweizer legt dabei 36 Kilometer täglich zurück, sei das auf dem Weg zur Arbeit, ins Wanderwochenende oder in die Ferien. Um diesen stetig wachsenden Mobilitätsbedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden, kommen komplexe hochtechnologische Verkehrssysteme zum Einsatz. Dabei spielt der Faktor Mensch eine entscheidende Rolle, beispielsweise in der Funktion als Tramchauffeurin, Lokomotivführer oder Pilot.

Als Reisende und Pendelnde legen wir also tagtäglich unser Leben in die Hände Fremder und vertrauen darauf, dass wir sicher an unser Ziel gelangen?

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant zu wissen, dass die Mehrheit der Unfälle im Strassenverkehr auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Was also gibt uns Pendlern und Reisenden die Sicherheit, dass diese Personen vorne im Cockpit tonnenschwere Flugzeuge, Strassenbahnen und Züge im Minutentakt durch den Wirrwarr des dynamischen Verkehrs manövrieren und uns zuverlässig ans Ziel bringen können? Mit diesen spezifischen verkehrs- und sicherheitsrelevanten Fragestellungen beschäftigen wir uns am Zentrum für Diagnostik, Verkehr und Sicherheit am IAP. Dabei legen wir als Psychologen in der Mensch-Maschinen-Interaktion den Fokus auf die Human Factors und prüfen die Eignung von zukünftigen Berufslenkerinnen und Berufslenkern.

Kannst du kurz beschreiben, wie ich mir die Charaktereigenschaften eines Berufslenkers vorstellen muss?

Stell dir vor, du sitzt in einem Zug, der mit Hochgeschwindigkeit durch die Landschaft braust. Du vertrauen darauf, dass im Cockpit der Lokomotive hoffentlich eine Person am Steuer sitzt, die verantwortungsbewusst ist und sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Jemand, der überlegt und diszipliniert handelt und nicht einfach nach einem Trial-and-Error Prinzip vorgeht.

Es wäre also fatal, wenn man da einen kreativen Menschen, der morgens um 8 Uhr singend die S-Bahn nach Zürich lenkt…?

Stell dir beispielsweise einen Charakter wie Woody Allen am Steuer vor, mit seinen hoch neurotischen und kreativen Wesenszügen. Gut möglich, dass so eine Person in einer Notfallsituation überfordert sein könnte, dadurch möglicherweise die Bahnhofseinfahrt verpassen oder bei einem Türendeffekt mit offenen Türen weiterfahren würde. Oder aus purer Langeweile eine andere Route als die abgemachte fahren würde.

Wahrscheinlich würden die Fahrgäste dann nicht mehr so selbstverständlich in den Zug oder das Tram einsteigen….

Damit das nicht passiert, werden Berufsanwärter für Funktionen in sogenannten Hochzuverlässigkeitsorganisationen eingehend überprüft. Dabei durchlaufen Bewerber und Bewerberinnen einen mehrstufigen Selektionsprozess. Sie führen Gespräche mit Personalverantwortlichen und Fachexperten, lassen sich von Ärzten auf Herz und Nieren prüfen und unterziehen sich einer psychologischen Tauglichkeitsuntersuchung bei uns am IAP. Dabei geht es darum, ein möglichst detailliertes Bild einer Person zu erlangen, um die Passung zwischen Persönlichkeit und Berufsfunktion zu überprüfen. Nebst einem umfangreichen Interview werden Leistungsmerkmale eruiert sowie Persönlichkeitseigenschaften anhand von psychologischen Fragebogen erhoben.

Aber die Leute haben doch alle einen Führerschein, eine abgeschlossene Ausbildung, Referenzen, die man befragen kann…

Ja, das haben sie. Doch diese aufwändigen Verfahren sind deshalb so wichtig, weil man in diesen Berufen – im Gegensatz zu anderen Berufsgattungen – nicht einfach davon ausgegangen werden kann, dass eine abgeschlossene Ausbildung oder eine bestandene Fahrprüfung automatisch befähigt, eine Profilenkerin oder Profilenker zu werden. Ein Lebenslauf oder ein Bewerbungsschreiben sowie gute Arbeitszeugnisse geben nicht genügend Aufschluss darüber, ob eine Person die nötigen Persönlichkeits- und Leistungsvoraussetzungen mitbringt, um Hunderte von Menschen zuverlässig von einem Ort zum anderen zu befördern.

Was genau muss ein Mensch mitbringen, wenn er zum Beispiel Tramchauffeur werden will?

Berufsanwärterinnen und Berufsanwärter in sicherheitssensiblen Positionen als Trampiloten, Lokomotivführer oder Schiffskapitäne müssen sicherheitsspezifische Persönlichkeitseigenschaften wie beispielsweise eine hohe Gewissenhaftigkeit und ein hohes Verantwortungsbewusstsein mitbringen. Darüber hinaus müssen sie über genügende Leistungsressourcen verfügen, um über einen langen Arbeitstag hinweg im Schichtbetrieb konstant konzentriert und aufmerksam arbeiten zu können.

Schichtbetrieb bedeutet, dass man zu jeder Tages- und Nachtzeit die volle Leistung abrufen können muss…

Genau. Entsprechend bedeutet das, dass Personen in sicherheitsrelevanten Funktionen eine kritische Grundhaltung in Bezug auf Risiken und Gefahren haben müssen und darüber hinaus über eine stabile psychische Konstitution verfügen müssen, um mit stressreichen und potentiell belastenden Ereignissen umgehen zu können. Denn wenn es um die Beförderung von Menschen geht, können die Konsequenzen von Fehlverhalten folgenschwere Auswirkungen haben.

Was genau wird in so einer Tauglichkeitsuntersuchung angeschaut?

In einer psychologischen Tauglichkeitsuntersuchung beleuchten wir beispielsweise eingehend die Biographie der jeweiligen Personen. Sie kann Aufschluss darüber geben, welche Strategien jemand in seinem Leben entwickelt hat, um mit potentiell schwierigen Herausforderungen umzugehen. Auch die individuellen Arbeitseinstellungen oder das Verkehrsverhalten liefern Informationen über die Risikosensibilität oder den Umgang mit Regeln und Gesetzen einer Person. Nebst den Persönlichkeitsfaktoren überprüfen wir mit multimodalen Testverfahren das Leistungsvermögen einer Person, um Ressourcen und Defizite zu eruieren.

Sind diese Tests für alle gleich?

Je nach Anforderungsniveau und Einsatz, sei das im Luftraum, auf Schienen oder auf der Strasse, gelten für Berufsanwärterinnen und Berufsanwärter unterschiedliche Anforderungskriterien und Leistungsniveaus.

Wie viele Kandidaten bestehen diese Prüfungen nicht? Ich nehme an, Woody Allen fliegt durch….?

Ja, das ist wirklich fraglich, ob jemand mit so zugespitzten prototypischen Persönlichkeitsmerkmalen eine Tauglichkeitsuntersuchung bestehen würde. Aus unserer Erfahrung bestehen ungefähr ein Drittel der Kandidatinnen und Kandidaten die psychologische Tauglichkeitsuntersuchung nicht. Diese Bewerberinnen und Bewerber wurden bereits im Selektionsprozess ausgewählt und durchlaufen nach unseren Testverfahren weitere Untersuchungen wie beispielsweise ärztliche Abklärungen oder praktische Fahrprüfungen bis sie dann schlussendlich zur Ausbildung zugelassen werden. Diese Quoten entstehen aufgrund der oben genannten Anforderungen, welche Personen in sicherheitssensiblen Funktionen erfüllen müssen.

Wie stellt ihr selbst eure Qualität sicher?

Das ist ein sehr wichtiger Punkt für uns. Nicht nur an die Anwärterinnen und Anwärter stellen wir hohe Anforderungen. Auch unsere Arbeit wird durch regelmässige Qualitäts-Audits, Weiterbildungen, Supervisionen und Akkreditierungen kritisch beurteilt. Unsere Verfahren basieren auf aktuellen wissenschaftlichen Standards, welche immer wieder überprüft und weiterentwickelt werden.

Zusammenfassend könnte man also sagen, ihr gewährleistet ihr Sicherheit in diesem Zusammenspiel zwischen Mensch, Organisation und Technik?

Die Arbeitswelt wird immer komplexer. Den daraus resultierenden Risiken wird heute oft mit technischen Systemen und Automatisierung begegnet, mit dem Ziel, den Faktor Mensch zu minimieren. Das gelingt jedoch nur bedingt. Denn der Mensch ist nicht programmierbar und kann sowohl als Sicherheitsrisiko als auch als Sicherheitsfaktor betrachtet werden. Damit in der Interaktion zwischen Mensch, Organisation und Technik der unabdingbare Human Faktor weiterhin als Sicherheitsfaktor dient, gilt es auch in Zukunft eine fundierte Selektion zu betreiben. Für die Bewältigung solch komplexer Aufgaben braucht es kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei unvorhergesehenen Ereignissen angemessen reagieren können.

Mit welchen Institutionen arbeitet ihr zusammen?

Wir arbeiten eng mit verschiedenen Ämtern, öffentlichen Verkehrsbetrieben und auch privaten Transportunternehmen schweizweit zusammen. So vergewissern wir, dass Passagiere, Reisende und Pendler sicher von A nach B gelangen und tragen so täglich zur Risikoprävention und Reduktion von Unfällen im Strassen- und Schienenverkehr bei. 

Leandra Limani studierte Psychologie und spezialisierte sich auf den Bereich Diagnostik, Verkehrs- und Sicherheitspsychologie. Heute ist sie als Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie tätig. Ihre Schwerpunkte umfassen Gebiete wie Eignungsdiagnostik, Personalselektion und Integritätsabklärung für sicherheitssensible Berufe.


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