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Eignungsdiagnostik als Teil von Risk Management

Posted on 4. Dezember 2018 by Redaktion

Das klassische Verständnis von Eignungsdiagnostik ist die Abklärung von Fähigkeiten und Kompetenzen von Bewerbenden. Wenn man jedoch die möglichen Risiken einer Fehleinstellung für ein Unternehmen etwas genauer betrachtet, wird Eignungsdiagnostik schnell zu einem wichtigen Instrument fürs Risk Management.

Von: Simon Hardegger, Dozent und Berater am IAP Institut für Angewandte Psychologie

Haben Sie auch schon folgendes erlebt: Sie haben eine wichtige Stelle neu besetzt. Dabei war Ihnen wichtig, dass die neue Person im Rahmen der Tätigkeiten regelmässig auch selbständige Entscheidungen trifft. Das Onboarding lief perfekt und die Zusammenarbeit sieht vielversprechend aus. Dann stellen Sie fest, dass bei einer wichtigen Entscheidung der neuen Person ein erheblicher Mehraufwand für andere Personen in der Organisation entstanden ist. Immer öfter führen solche Entscheidungen zu ineffizienten Leerläufen, deren Auswirkungen im Unternehmen spürbar sind. Irgendwann stehen Sie plötzlich vor der Tatsache, dass eine verspätete Entscheidung sogar einen finanziellen Verlust zur Folge hat, den Sie Ihrer Vorgesetzten erklären müssen. Die falschen Entscheidungen, so stellt es sich nach einer Analyse heraus, waren auf nachlässige Arbeit zurückzuführen und nicht auf mangelndes Wissen oder Kompetenz. Sie überlegen hin und her, was Sie beim Anstellungsverfahren allenfalls übersehen haben könnten: Sie hatten ein klares Anforderungsprofil als Grundlage, die Erfahrungen der Person waren vielversprechend, die eignungsdiagnostischen Abklärungen von einer renommierten Beratungsfirma waren einwandfrei, und die Arbeitsprobe bestätigte alle Erkenntnisse. Und doch, irgendetwas scheinen Sie übersehen zu haben.

Auch erfolgshemmende Faktoren bewusst beleuchten

Solche vermeintlich unvorhersehbaren Fehlentscheide bei der Personalselektion sind keine Seltenheit. Hogan & Kaiser (2005) stellen in einem wegweisenden Aufsatz fest, dass es wichtig ist, nicht nur Kompetenzen, Ressourcen, Fertigkeiten und Fähigkeiten von Kandidaten zu identifizieren bzw. deren Fehlen festzustellen, sondern gezielt auch erfolgshemmende Faktoren aktiv zu beleuchten, um solche ausschliessen zu können. Dies gewinnt vor allem dann an Bedeutung, wenn die Tätigkeiten zukünftiger Mitarbeitender einen konkreten Schaden anrichten können. Sei es, indem zum Beispiel Mitarbeitende übermässigem Stress ausgesetzt werden, Verkaufsgeschäfte nicht getätigt werden, sensitive Daten missbraucht werden oder gefährliche Situationen für Menschen oder die Umwelt entstehen.

Anders ausgedrückt geht es also manchmal darum, im Rahmen der Eignungsdiagnostik auch potenzielle Risiken im Hinblick auf die erfolgreiche Tätigkeitsausführung zu erkennen. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass für die zu besetzende Stelle neben einem klassischen Anforderungsprofil auch ein Risiko-Katalog erstellt werden muss, den es systematisch zu prüfen gilt. Damit wird eine Grundlage geschaffen, auf der man entscheiden kann, wie man mit den entdeckten Risiken umgehen will.

Die Bandbreite menschlicher Risiken

Wenn im Unternehmen Unregelmässigkeiten, Vorfälle oder ein Schadenfall auftreten, die von einem Mitarbeitenden verursacht wurden, wird darüber meist von menschlichem Versagen oder vom Risikofaktor «Mensch» berichtet. Entgegen vielleicht der eigenen Intuition existiert eine differenzierte Vielfalt an menschlichen Risiken, die bei genauerer Betrachtung aber nur allzu vertraut erscheinen. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Mangelnde Kompetenzen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen – das Risiko schlechthin. Im Normalfall ist der Ausschluss dieses Risikos die zentrale Funktion von Eignungsdiagnostik.
  • Mangelnde Leistungsbereitschaft, mangelnde Motivation, fehlendes Commitment. Auch dies ist ein klassischer Teil von Eignungsdiagnostik. Wichtig hierbei ist auch die Beurteilung, ob die Leistungsbereitschaft auch bei ausreichend vorhandenen Kompetenzen nachhaltig vorhanden ist oder durch absehbare motivationale Einflüsse, situative Gegebenheiten oder für die Organisation unpassende Werte beeinträchtigt werden kann.
  • Menschliches Fehlverhalten wird dann zum Risikofaktor, wenn unbeabsichtigte Handlungen zu Fehlern bzw. zu Schaden führen. Wenn sicheres Handeln für eine Tätigkeit entscheidend ist, wie zum Beispiel bei einem Lokomotivführer, müssen Fehlerquellen wie geringe Wahrnehmungskapazität, langsames Reaktionsvermögen, unstete Konzentrationsfähigkeit, etc. ausgeschlossen werden können.
  • Fahrlässiger Umgang mit Arbeitsanweisungen und Sicherheitsvorschriften. Dies geschieht häufig durch Gleichgültigkeit, Selbstüberschätzung oder Anmassung.
  • Selbst herbeigeführte Einschränkungen der Leistungsfähigkeit durch Alkohol- oder Drogenmissbrauch sowie häufige Verspätungen oder Fernbleiben von der Arbeit.
  • Missachtung von Vorschriften im Zusammenhang mit Arbeitszeit. Dazu gehören unter anderem bewusst falsche Zeit-Erfassung, Erledigung von Privatangelegenheiten während der Arbeitszeit, Handel mit Drogen, etc.
  • Bewusstes Lügen, um sich Vorteile zu verschaffen, oder Regelverstösse, um schlechte Leistungen zu verschleiern.
  • Missbrauch von Informationen durch Weitergabe von Daten (elektronisch, mündlich, schriftlich).
  • Nicht zweckorientierter Umgang mit firmeneigenen Ressourcen (z.B. Verschenken von Gegenständen, etc.)
  • Unangemessenes verbales oder physisches Verhalten wie es zum Beispiel im Zusammenhang mit Mobbing oder sexueller Belästigung vorkommt. Auch Bedrohung oder Gewalt gehören in diesen Risikobereich.
  • Mutwillige Beschädigung oder Zerstörung von Firmeneigentum.
  • Diebstahl, Betrug, wirtschaftskriminelles Verhalten wie Bestechung, Urkundenfälschung, Veruntreuung, etc.
  • Destruktives Führungsverhalten durch unangemessene Forderungen bzw. Auferlegung von Arbeitsdruck, Vernachlässigung, Schikane, etc.

Einige dieser Risiken lassen sich durch einschlägige Methoden der Personalselektion oder umfassende und spezifische psychodiagnostische Verfahren früh erkennen und ausschliessen. Andere entstehen erst im Laufe des (Arbeits)lebens und müssen dann vom Arbeitgeber aufwändig analysiert und eingeschätzt werden. Die Grunderkenntnis hier ist: Wenn man nicht hinschaut, erkennt man auch nichts. Höchstens durch Zufall.

Mit Risiken bewusst umgehen

Im Rahmen von Eignungsdiagnostik bewusst auch Risiken zu identifizieren entspricht indes nichts anderem, als einem bewährtem Risk Management: Nachdem allfällige Risiken im konkreten organisationalen Setting und im Zusammenhang mit der zu besetzenden Stelle festgestellt wurden – zum Beispiel Hang zu Nachlässigkeit –, geht es darum zu entscheiden, wie wahrscheinlich dieses Risiko in der Realität wirksam werden kann und welches Ausmass an schädigenden Konsequenzen damit verbunden sein werden.

Die Beurteilung des Risikos hängt nicht zuletzt von den Absorbtionsfähigkeiten einer Organisation ab: In welchem Ausmass kann man sich das Eintreten des Risikos mit den absehbaren schädigenden Auswirkungen leisten bzw. darüber hinwegkommen? Ausserdem gilt es, die Möglichkeiten der Einflussnahme zu berücksichtigen: Welche Massnahmen wie zum Beispiel Führung, Schulung, Kommunikation, organisatorische Anpassungen, technische Absicherung, etc. können das Risiko minimieren und damit verträglicher machen? Eignungsdiagnostik liefert an dieser Stelle also die wesentliche Grundlage, auf der geeignete Massnahmen im Hinblick auf den Umgang mit einem konkreten identifizierten Risiko getroffen werden können.

Unter der hier erläuterten Perspektive stellt sich alsdann die Frage: Was ist nun Eignungsdiagnostik genau? Ein Prozess, eine Methode, eine Ansammlung von Verfahren, oder ein Teil des Risk Managements? Sicher wird Eignungsdiagnostik in den meisten Fällen berechtigterweise in der klassischen Form der Kompetenzfeststellung durchgeführt. In bestimmten Konstellationen kann es sich aber lohnen, den Einsatz der Eignungsdiagnostik auch als Teil eines Risk Management-Prozesses anzusehen.

Dies alles bedeutet für Eignungsdiagnostikerinnen und Eignungsdiagnostiker, dass sie sich mit der Logik von Risk Management auseinandersetzen müssen, um ihre internen oder externen Kunden auch in dieser Hinsicht beraten zu können. Denn für die Linie und weite Teile des Personalmanagements wird dieser Denkansatz mit der entsprechenden Terminologie ein neues Muster darstellen, für dessen Nutzen zunächst viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein wird.

Simon Carl Hardegger studierte an der Universität Zürich Psychologie, Pädagogik und Kriminologie und leitet heute das Zentrum Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie am IAP Institut für Angewandte Psychologie an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Dort ist er auch als Berater und Dozent tätig. Neben Innovationsprojekten beschäftigt er sich seit 20 Jahren mit eignungsdiagnostischen Fragestellungen. Seinen Arbeitsschwerpunkt bilden Führungskräfte-Assessments sowie Risikobeurteilungen menschlicher Faktoren im beruflichen Kontext.

 

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