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Psychologie im Alltag nutzen

Ein Blog der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

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Foto: Hannes Thalmann

Vom Spitzensport zum Berufsalltag

Posted on 11. September 2017 by Redaktion

Wie Spitzensportler mit ihrem Karriereende umgehen und welche Hürden es beim Berufseinstieg gibt.

Beitrag erschienen in der Handelszeitung Nr. 34 vom 24. August 2017
Text und Interview von Marianne Rupp

Sie leben für ihre Leidenschaft, trainieren hart, stehen oft im Mittelpunkt und werden bejubelt. Spitzensportler führen während ihrer Sportkarriere ein spezielles Leben – eines, das unweigerlich zu Ende geht. «Oft fallen Sportler nach ihrem Karriereende in ein Loch», sagt Daniela Torre, die bei Swiss Olympic das Athlete Career Programme betreut. «Sie haben sich jahrelang über den Sport identifiziert und müssen nun einen Weg finden, ihre Vergangenheit sinnvoll in einen neuen Lebensabschnitt zu transferieren.»

Was kann ich denn?

Torre kennt diese Identitätskrise, oft gepaart mit Selbstzweifel, nicht nur aus den rund 150 Beratungsgesprächen, die sie jährlich durchführt, sondern auch aus eigener Erfahrung. Sie war während 18 Jahren Synchronschwimmerin und sagt: «Es braucht Zeit, bis man sich vollständig von der Athletinnenrolle gelöst hat. Bei mir dauerte es drei bis vier Jahre.» Vielen Sportlern falle es zudem schwer, die neu gewonnene Freizeit sinnvoll zu gestalten oder wieder selber für den Tagesablauf verantwortlich zu sein – und nicht der Verband. Eine der grössten Herausforderungen bei der Neuorientierung ist gemäss Marc Schreiber, sich der eigenen Kompetenzen bewusst zu werden. Schreiber leitet die Berufs-­, Studien-­ und Laufbahnberatung am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW und berät Athleten bei ihrer Laufbahnplanung. «Sportler sind sehr engagiert, zielstrebig und belastbar», sagt Schreiber. Oft seien sich die Athleten jedoch nicht bewusst, dass solche Kompetenzen übertragbar und in der Wirtschaft gefragt sind. «Aber Vorsicht, sie können auch zu Stolpersteinen werden», sagt Schreiber. Dann etwa, wenn der Athlet nicht versteht, warum im Job nicht alle so leistungsorientiert sind und 120 Prozent geben wollen.

Spitzensportlerin Daniela Torre bei einer Synchro – Show 2004 Bild: Manuela Jaeggi- Wyss

Damit seine Klienten besser erkennen, welche Fähigkeiten sie haben, was ihnen wichtig ist und wo ihre Interessen liegen, wendet Schreiber eine spezielle Interview-Technik an, das Career Construction Interview. «Mit diesem Vorgehen wird auf die persönlichen Lebensthemen, Werte und Eigenschaften fokussiert. Diese werden mittels Bildern und Geschichten aus dem Lebenskontext der Sportler identifiziert.» Eine aktuelle qualitative Studie des IAP zeigt, dass dieser Ansatz für Sportler besonders geeignet ist. Eine zweite Hürde für Athleten besteht darin, dass ihre Kompetenzen nicht dokumentiert sind. Oft fehlen ihnen Diplome oder Arbeitszeugnisse. «Viele Sportler kümmern sich neben ihrer Karriere auch um ihre Buchhaltung, sind für ihre Website und die Social Media verantwortlich oder organisieren die Sponsoren­-Events», sagt Torre. «Aber dieses erworbene Können wird nirgends dokumentiert und ist für potenzielle Arbeitgeber nicht sichtbar.» Swiss Olympic hat daher eine Vorlage für einen Leistungsausweis für Spitzensportler erarbeitet, den der nationale Verband ausfüllen sollte.

Weiterbildung nach Karriereende

Rund 80 Prozent der Sportler finden den Einstieg in die Arbeitswelt über ihr breites Netzwerk, das von Familie bis Sponsoren reicht, wie Torre weiss. «Viele Athleten müssen allerdings aus finanziellen Gründen während ihrer Sportkarriere arbeiten und sind daher schon in der Arbeitswelt integriert.» Tatsächlich sind gemäss einer Studie aus dem Jahr 2011 von Jürg Schmid, Dozent am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern, nur 4 Prozent der Sportler als Profi tätig, 46 Prozent arbeiten Vollzeit, 19 Prozent haben eine Teilzeitstelle und 8 Prozent gehen mehreren Erwerbstätigkeiten in Teilzeit nach. «Für Athleten ist ein sportfreundlicher Arbeitgeber, der ihnen Offenheit und Flexibilität entgegenbringt, existenziell», sagt Torre. Swiss Olympic baut daher in Zusammenarbeit mit einem Stellenvermittler ein Netzwerk von sportfreundlichen Arbeitgebern auf. «Wir helfen den Athleten bei der Stellensuche während der Sportkarriere und beim Wiedereinstieg in den Beruf nach Karriereende», sagt Torre. Mit dem Athlete Career Programme, das aus drei Modulen besteht, unterstützt Swiss Olympic die Sportler bis zu einem Jahr nach Karriereende. Der Übergang von der Sportkarriere in die Berufswelt gelinge Schweizer Sportlern besser als ihren dänischen oder polnischen Kollegen. Das hat der ehemalige Skisprung-Weltmeister Andreas Küttel in seiner Dissertation aufgezeigt. Küttel war von 1996 bis 2011 Mitglied der Schweizer Skisprung-­Nationalmannschaft, 2009 wurde er Skisprung­Weltmeister. Küttel lebt heute mit seiner Frau und seinem Sohn in Dänemark.

Skispringer Andreas Küttel bei der Qualifikation zum 4. Springen bei der 55. Vierschanzentournee in Bischofshofen

Das durchlässige Schweizer Aus-­ und Weiterbildungssystem ermögliche viele Anknüpfungspunkte. «Allerdings ist das Ausbildungsniveau der Sportler in der Schweiz tiefer als in den anderen beiden Ländern», sagt Küttel. So haben in Dänemark rund 60 Prozent der Athleten einen Bachelor­- oder Master­-Abschluss bei ihrem Karriereende, in der Schweiz nur zwischen 35 und 40 Prozent. Küttel führt dies zurück auf die besseren Informationen bereits auf Stufe Gymnasium, auf Koordinationsstellen und eine bessere Betreuung an Hochschulen in Dänemark und Polen. Aus der Studie der Universität Bern geht hervor, dass 199 von insgesamt 370 der ehemaligen Spitzensportler bei Karriereende eine Ausbildung auf Sekundarstufe II und 155 oder 42 Prozent eine Ausbildung auf Tertiärstufe haben. Durchschnittlich 7,6 Jahre nach dem Karriereende haben 95 der Sportler den Schritt von der Sekundarstufe II in die Tertiärstufe gemacht, also eine höhere Berufsbildung oder Hochschule absolviert.

Einfach mal doktoriert …

Auch der Laufbahnberater Marc Schreiber hat sich nach seiner über zehnjährigen Karriere als Tischtennis­-Nationalspieler weitergebildet: «Weil ich nicht wusste, was ich nach meinem Karriereende machen sollte, doktorierte ich – wohl typisch für viele», sagt Schreiber. Typisch auch, dass der Einstieg in die Arbeitswelt danach noch schwieriger gewesen sei, meint Schreiber und nennt Stichworte wie Überqualifizierung und wenig Berufserfahrung in der Privatwirtschaft. «Dass mir der Einstieg – trotz vielen Stolpersteinen – gelungen ist, habe ich verschiedenen Arbeitgebern zu verdanken, die mir eine Chance gaben. Und Zufällen, die ich zu nutzen wusste.»


«Das Buchprojekt half mir, Abschied zu nehmen»

Welche Person und welches Projekt hat Ihnen beim Über gang von der Sportkarriere zu Ihrem neuen Leben in Dänemark geholfen?
Andreas Küttel: Ich habe mit meinem Teamkollegen und Freund Simon Ammann ein Buch über unsere beiden Karrieren herausgegeben. Während der Arbeit am Buch wurde mir bewusst, wie viel ich erlebt und bewegt habe, aber auch, dass es Zeit ist, etwas Neues zu beginnen. Das Buchprojekt half mir, Abschied von meiner Sportkarriere zu nehmen.

Nach Karriereende haben Sie ein Jahr als Sportlehrer gearbeitet; warum so kurz?
Als Spitzensportler arbeitete ich mit leistungsorientierten, motivierten Menschen zusammen, die das Bestmögliche aus sich herausholen wollen. Als Turnlehrer scheuchte ich Schüler umher, so kam es mir jedenfalls vor. Das wollte ich nicht die nächsten dreissig Jahre tun. Ich möchte lieber mit Leuten arbeiten, die eine ähnliche Einstellung haben wie ich.

Sie haben sich dann für eine Dissertation entschieden. Wie konnten Sie Ihre
Fähigkeiten hier nutzen?
Selbstständig arbeiten, Prioritäten setzen, auf Leute zugehen und mit täglichen Schritten ein grosses Ziel erreichen, das sind Fähigkeiten, die ich erworben habe. So gesehen, gibt es zwischen meiner Dissertation und dem Sport viele Gemeinsamkeiten.

Wo sehen Sie Ihre Zukunft?
Mein Wunsch wäre es, Forschung und Athletenbetreuung zu kombinieren.

 

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