Fotograf: Sebastian Schulz

Kreativ führen mit humorvoller Provokation und Improvisation

Je höher der Druck in der Arbeitswelt, desto schwieriger wird es, gelassen zu bleiben. Besonders die Flexibilität und die Kreativität werden dadurch blockiert. Dr. Charlotte Cordes bietet Seminare an, in denen Führungspersonen und Coachs Tools an die Hand bekommen, wie sie auf etwas ungewöhnliche Art und Weise solche Blockaden lösen und wieder mehr Gelassenheit in ihr Leben holen können. Im Interview erzählt sie von ihrer Arbeit.

Interview mit Dr. Charlotte Cordes

Von Führungspersonen und Coachs wird heutzutage verlangt, dass sie durch und durch perfekt sind. Neben fachlicher Kompetenz sollen sie sehr gute «Soft Skills» besitzen, mit denen sie ihren Mitarbeitenden oder Klienten helfen, sich durch ihr Berufsleben zu manövrieren. Ausserdem wird verlangt, dass sie ein ausgeprägt harmonisches Privatleben führen. Wohlgeratene Kinder natürlich inklusive. Gleichzeitig ist es essentiell, dass sie sich gesund ernähren und Sport treiben, um schlank und fit zu bleiben. Was für ein Stress! Ergebnis ist ein immens hoher Druck auf allen Ebenen, der die geforderte Gelassenheit, Flexibilität und Kreativität stark blockieren kann.

Charlotte, deine Seminare sind nicht nur in Deutschland, sondern auch bei uns in der Schweiz sehr begehrt. Was genau lernt man bei dir?
Mein Background sind das Provokative Coaching und das  Improvisationstheater. Die Haltung hinter diesen beiden Ansätzen ist sehr ähnlich. Wenn es gelingt, diese zu verinnerlichen, verändert sich die Wirkung jedes Einzelnen auf sein Umfeld. Die Arbeit mit Mitarbeitern und Klienten wird dann wesentlich lustvoller und effizienter. Deshalb vermittle ich in meinen Kursen die Schwerpunkte, die hinter dem Provokativen Ansatz und hinter Impro stecken. Mir ist es dabei wichtig, neben dem Theoriebezug einen starken Fokus aufs ‚Machen‘ zu legen. Denn, wie schon Erich Kästner sagte: Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es. Durch Ausprobieren begreifen die Teilnehmer bestimmte Dinge nicht nur rational, sondern sie spüren und erleben sie auch. Dadurch bleibt vieles nachhaltiger hängen und hat oft langfristige Verhaltensänderungen zur Folge.  

Fotograf: Sebastian Schulz

Was ist die Basis deiner Arbeit?
Das Herzstück meiner gesamten Arbeit ist der Humor. Ich meine damit die Art von Humor, die wir im Provokativen Ansatz verwenden. Ein Humor, der nichts mit Schadenfreude und Zynismus zu tun hat, sondern mit dem humorvollen Umgang mit uns selbst und unseren Mitarbeiterinnen, Partnern, Klientinnen, Kindern, Chefs, Eltern… Wir alle stecken immer wieder fest und machen uns selbst das Leben mit den absurdesten Verhaltensweisen zur Hölle. Wir haben das Gefühl, auf der Stelle zu treten und nicht mehr alleine aus der Sackgasse herauszukommen. Wenn es uns gelingt, auch in diesen Situationen über uns selbst und unsere Stolpersteine zu lachen und möglicherweise auch die Mitarbeiterin oder den Klienten dazu zu bringen, ihre fixen Ideen humorvoll zu relativieren, erzeugt das Befreiung und Entspannung und erweitert den Handlungsspielraum. Das ist oft leichter gesagt als getan. Denn gerade in Stressituationen ist es oft enorm schwer, den Humor zu behalten. Doch ich traue jedem zu, dass wir in der Lage sind, unseren Selbst-Humor im Laufe des Lebens zu erweitern. Frank Farrelly, der Erfinder der Provokativen Therapie, aus dem wir das Provokative Coaching entwickelt haben, sagte immer: «Die ersten 10‘000 Versuche sind die schwierigsten!» Helfen kann dabei das Motto: «stay happy when you fail», die sogenannte «Lust am Scheitern».

Was bedeutet «stay happy when you fail»?
Ich selbst hörte diesen Satz zum ersten Mal von Keith Johnstone – einem der Wegbereiter des Improvisationstheaters – als ich 1998 meinen ersten Impro-Workshop bei ihm besuchte. Viele Menschen geisseln sich selbst, wenn sie einen Fehler machen. Dadurch werden sie immer blockierter und unkreativer. Die Ursache entsteht meines Erachtens bereits in der Schule. Fehler werden rot angestrichen und man wird dafür bestraft, entweder durch eine Strafarbeit oder eine schlechte Note. Das erzeugt Stress. Keith Johnstone sagte einmal: Kinder kommen als grosses Fragezeichen in die Schule. Sie sind neugierig, kreativ, stellen Fragen und haben keine Angst, Fehler zu machen. Wenn sie mit der Schule fertig sind, sind sie ein grosses Ausrufezeichen. Sie trauen sich kaum noch, Fragen zu stellen, weil sie denken, dass die Frage falsch oder blöd sein könnte. Die Kreativität ist tot. Wenn es uns als Erwachsener gelingt, das kindliche Fragezeichen wieder hervorzuholen, erleichtert uns das das Leben ungemein und macht uns wesentlich kreativer. Wir schaffen es dann, im Moment des Scheiterns gelassen zu bleiben und uns nicht zu verkrampfen. Das überträgt sich wiederum sofort auf die Zuhörer, Klienten oder Mitarbeiter.

Wie kann man lernen, sich nicht zu ärgern, wenn man einen Fehler gemacht hat?
In meinen Seminaren mache ich zum Beispiel Übungen, bei denen die Teilnehmer Applaus bekommen, wenn sie Fehler machen. In solchen Übungen wird sofort sichtbar, dass alle Menschen kreativer werden, wenn sie merken, dass sie nach einem Fehler nicht bestraft werden. Manchmal entsteht in der kurzen Pause bis zum Applaus ein Moment, in dem man den Akteuren ihre Gedanken ansieht, wie zum Beispiel: «Oh, shit, das war nicht gut!» oder «So ein Mist, ich hab schon wieder einen Fehler gemacht!». Sobald dann aber der Applaus ertönt, kann man beobachten, wie ein Lächeln ins Gesicht tritt und Entspannung den Körper durchfliesst. Das überträgt sich sofort auf das Umfeld, das heisst die Zuschauer, Seminarteilnehmer, Klienten, Mitarbeiter oder sogar die Schwiegermutter.

Kann man das so einfach lernen, wenn man 30 Jahre lang gedacht hat, man dürfe keine Fehler machen, nicht scheitern?
Die Antwort ist: Ja. So lange man lebt, kann man lernen und selbst im hohen Alter kann jeder Mensch noch Dinge verändern. Frank Farrelly sagte einmal: «So lange der Körper warm ist, kann man Therapie machen.» Das gilt auch für die Haltung zum Scheitern, für die Führung von Mitarbeitern, fürs Coaching und für sich selbst.

Sind deine Seminare deshalb so beliebt bei Führungspersonen und Coachs?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen, gerade im Businessbereich, gewohnt sind, alles zu planen und einer inneren Agenda zu folgen. Sie werden dadurch immer verkopfter und sehen im entscheidenen Moment nicht mehr genau hin. Das Ergebnis: Sie nehmen oft nicht mehr wahr, was der Augenblick ihnen gerade bietet. So fokussiert auf ein Ziel, bemerken sie wichtige verbale wie nonverbale zwischenmenschliche Interaktionen immer weniger und verlieren den Moment aus den Augen. Basierend auf dem Provokativem Ansatz und dem Improtheater gibt es eine Reihe von Übungen, mit denen man das ‚Im Hier und Jetzt sein’ von verschiedenen Seiten wieder neu beleuchten und trainieren kann. 

Ein weiterer Aspekt, auf den ich ein starkes Augenmerk richte ist das Thema Status. In Abwandlung von Watzlawicks berühmtem Satz «Man kann nicht nicht kommunizieren», könnte man ergänzen «Man kann nicht ohne Status kommunizieren.» Denn sobald wir verbal oder nonverbal mit anderen Menschen in Beziehung treten, spielt, ob wir das wollen oder nicht, das Thema Status eine Rolle. Begegnen wir jemandem mit aufrechter Haltung oder leicht gebückt? Gibt uns ein anderer zur Begrüssung mit einem kräftigen oder leichten Händedruck die Hand? Schauen wir jemandem bei einem Gespräch in die Augen oder vermeiden wir jeglichen Blickkontakt? Spricht ein anderer laut oder leise mit uns? Wenn wir nicht in der Lage sind, uns aus einem bestimmten Status heraus zu bewegen, kriecht uns schnell die lähmende Angst den Nacken hinauf, sobald wir gezwungen werden, unseren bevorzugten Status zu verlassen. Aus dieser Angst-Sackgasse kommen wir nur heraus, wenn wir ein Gespür für Status entwickeln und lernen, mit verschiedenen Status-Ebenen zu spielen. Dieses Bewusstsein hilft uns auch immens, wenn wir Menschen führen oder coachen.

Inwiefern fliesst der Provokative Ansatz hierbei in deine Arbeit ein?
Der Provokative Ansatz ist die Basis aller meiner Seminare, da er für mich die Grundlage für gute Führung und gutes Coaching ist. Beim Provokativen Ansatz spielt der eingangs erwähnte Humor eine wichtige Rolle. Vereinfacht ausgedrückt praktiziert man das LKW, das Liebevolle Karikieren des Weltbildes des Klienten. Nonverbal ist man wohlwollend und empathisch, das heisst, man traut der Klientin oder dem Mitarbeiter zu, dass sie oder er aus seiner Sackgasse wieder herauskommt. Verbal behauptet man genau das Gegenteil, indem man die selbstschädigenden Verhaltensweisen karikiert, um den natürlichen Widerstand dagegen hervorzurufen. Man lacht gemeinsam mit dem Klienten oder der Mitarbeiterin über seine und ihre fixen Ideen. Klienten sollten dabei immer etwas mehr lachen als Coach oder Chef. Das funktioniert in der Regel wunderbar und hat oft langanhaltende Verhaltensänderungen zur Folge. Allerdings nur, wenn der Anwender zielfrei ist. Ansonsten wird die Vorgehensweise manipulativ und der Schuss geht nach hinten los.

Wie kamst du darauf, mit Provokation zu arbeiten?
Ursprünglich wurde dieser Ansatz von Frank Farrelly in der Psychatrie entwickelt. Am Deutschen Institut für Provokative Therapie, das meine Mutter Dr. E. Noni Höfner in den 80er-Jahren gegründet hat, haben wir diesen Ansatz zur Provokativen Systemarbeit, dem Provokativen Coaching und dem Provokativen Stil weiterentwickelt. Dabei haben wir schon vor fast zwanzig Jahren festgestellt, dass die Philosophie, die hinter den Impro-Techniken steht, sehr ähnlich zu der ist, die den Provokativen Ansatz ausmacht und beides in unsere Aus- und Weiterbildungen integriert. 

Nun gibt es viele Menschen, die mit provokanten Bemerkungen andere verärgern, obgleich sie eigentlich nur den Trotz wecken wollen, um zu motivieren….
Ja, das ist die klassische Krux. Es ist keine Nummer-Sicher-Variante, die ein festes Schema vorgibt, wie man produktiv mit Menschen umgehen kann und sollte, um dann als glückliche Führungsperson oder glücklicher Coach die absolute Erleuchtung zu erlangen. Es kommen sehr viele Menschen zu uns in die Einsteigerseminare, die schon einmal vom Provokativen Ansatz gehört haben oder mal eine DVD von Frank Farrelly in den Fingern hatten. Sie sagen uns oft: «Ach, das. Das mache ich schon lange.» Sie merken meist sehr schnell (von Ausnahmen abgesehen), dass das, was sie als provokativ bezeichnen, nicht das ist, was wir darunter verstehen. Diese unerfahrenen Provokateure provozieren oft ohne die wohlwollende Grundhaltung. Ihre Provokationen werden dann zynisch und ätzend und stossen Klienten und Mitarbeiter vor den Kopf. Das ist nicht das, was wir unter dem Provokativem Ansatz verstehen. Das Provokative Coaching und Impro sehen locker aus, sind aber sehr komplex und erfordern Übung. Ein zweitägiges Seminar bietet einen Einstieg, um vieles auszuprobieren und möglicherweise für sich festzustellen «Hey, das gefällt mir, davon möchte ich mehr». Dann kann man es nach dem Seminar erst einmal in der eigenen Praxis üben. Ich bin kein Missionar, aber wenn es mir gelingt, die Begeisterung, die ich für dieses grosse Feld schon seit fast 20 Jahren hege, weiterzugeben, freue ich mich umso mehr.

Führungspersonen und Coachs müssen bei dir also nicht zu Schauspielern mutieren?
(lacht). Oh nein. Das ist jedoch die Angst, die viele haben, vor allem, wenn sie Improtheater oder Improtechniken hören. Die tiefere Bedeutung dieser Arbeit hat aber nichts mit Schauspiel und Theater zu tun. Keith Johnstone, der einer der Wegbereiter des modernen Improvisatonstheaters ist, hat diese Techniken in den 60er-Jahren entwickelt, um seine eigenen Blockaden zu lösen und wieder kreativer zu werden. Er war damals ein bekannter Dramaturg in England, der immer erfolgreicher wurde und irgendwann massive Blockaden entwickelte. Aufgrund des zunehmenden Drucks von aussen fiel ihm einfach nichts mehr ein. Die Improtechniken halfen ihm, wieder kreativ zu werden und seinen Beruf weiter erfolgreich auszuüben. Diese Situation kennen auch Fach- und Führungspersonen gut. Wird der Druck zu gross, setzen Lähmungserscheinungen ein. Nichts geht mehr. Die Bühne war für Keith Johnstone dabei nie das Ziel, sondern nur ein Nebeneffekt, der einfach passiert ist. Deshalb geht es mir in meinen Seminaren nicht darum, den nächsten Impro-Bühnen-Star zu produzieren, sondern um die Vermittlung der inneren Haltung, die hinter Impro und dem Provokativen Ansatz stecken, um den Umgang mit Mitarbeitern und Klienten zu erleichtern, vor allem in Situationen, die auf den ersten Blick ausweglos erscheinen.

Ist man nach deinem Seminar eine bessere Führungsperson?
Ich glaube, die ganz klassische Vorstellung von Führung weicht im Moment etwas auf. Früher konnte man sich auf rein technische Verhaltensmuster verlassen. Es war in Ordnung, mit messbaren Daten Kopfentscheidungen zu fällen. Es gibt aber heute nicht umsonst so viele Coaching- und andere psychologische Zusatzausbildungen für Führungspersonen. Denn es reicht nicht mehr, nur Inhalte zu vermitteln. Führungspersonen müssen sich auch mit dem Zwischenmenschlichen auskennen und damit umgehen können. Ein Patentrezept, wie man das am besten macht, gibt es leider nicht. Es kommt sehr auf die innere Haltung an, die Wahrnehmung und das wohlwollende, wertschätzende Aussprechen von offensichtlichen Dingen, die einem auffallen. Genau das kann man trainieren, und das tue ich in den Seminaren. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.


Dr. Charlotte Cordes hat Kommunikationswissenschaft und Psychologie studiert und führt seit Jahren Seminare zum Provokativen Ansatz, Einzelcoachings und Improseminare für unterschiedliche Zielgruppen durch. Sie ist Teil der Institutsleitung des Deutschen Institutes für Provokative Therapie (DIP) und hat eine private Coachingpraxis in München. Ausserdem spielt sie seit 1998 aktiv Improvisationstheater. Wer seinen Führungs- und Coachingstil mit ungewöhnlichen Techniken anreichern und lernen will, seine eigenen Grenzen zu sprengen, der kann ihre Arbeit auch in Zürich kennenlernen. Am 20. und 21. Januar 2018 findet der neue Kurs «Haltung und Wirkung in anspruchsvollen Führungs- und Coaching-Situationen» am IAP Institut für Angewandte Psychologie im Toni-Areal in Zürich statt.

 


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