Lernen Studierende heute anders als früher? An der diesjährigen ZHAW-Tagung «Persönlichkeitsbildung» ging es um neue Formen des Lernens und Lehrens und darum, wie sich das Studium durch die Digitale Transformation verändert.

von Joy Bolli, Redaktorin ZHAW Angewandte Psychologie

Die Digitalisierung des Lernalltags ist nicht neu. Bereits in den 1990er-Jahren als Studierende begannen, ihre Arbeiten mit dem Computer zu schreiben und Informationen aus dem Internet zu verarbeiten, zeigte sich der positive Effekt auf die Bildung. Mit dem Einzug von PDFs, e-Classrooms und e-Prüfungen wurde auch der Alltag von Dozierenden einfacher. Seit einigen Jahren scheint die fortschreitende Digitalisierung jedoch zu einem Bruch im Bildungsalltag zu führen: Während einige Studierende gerne mit digitalen Lehrmitteln wie zum Beispiel Lernvideos oder MOOCs arbeiten, fühlen sich andere abgehängt. Ihnen fehlt der direkte Kontakt zur Lehrperson und die Möglichkeit, einfach eine Frage zu stellen oder nachzuhaken, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Zudem führt die Ablenkung durch das Internet mit weiterführenden Links und Sozialen Medien zu Störungen der Kernlektion und zur Zerstückelung des Lernprozesses.

Malte Persike, Dozent an der Gutenberg Universität Mainz

Präsenzphasen sind der Schlüssel

An der diesjährigen ZHAW Tagung «Persönlichkeitsbildung» wies der Psychologe Malte Persike auf die Komplexität der momentanen Situation in der Bildungslandschaft hin. In seinem Vortrag erklärte er, dass es für jede Studie, die eine positive Auswirkung der Digitalisierung auf die Bildung und den Lerneffekt belegt, eine andere Studie gibt, die das Gegenteil anzeigt. «Wir wissen schlicht noch nicht, welche Auswirkungen digitale Lehrmittel auf die Lernleistung von Studierenden haben», meint er nüchtern. «Wir müssen daher genau beobachten, was für Lernende aber auch für Lehrpersonen Sinn macht und für welchen Zweck man welche Lehrmittel einsetzt.» Malte Persike lehrt an der Gutenberg Universität Mainz und leitet dort Studien zum Thema Digitalisierung im Studium. Die Resultate zeigen, dass digitale Affinität weder vom Alter, noch vom Geschlecht, noch von der Studienfachrichtung abhängt. Vielmehr kommt es auf die Bildungsinstitution an, und auf deren Verankerung der digitalen Methoden im jeweiligen Curriculum. Laut Persike sind rein digitale Studiengänge wenig erfolgreich: «Wir wissen heute, dass bei rein digitalen Curricula durchschnittlich unter 10 Prozent der Studierenden das Studium abschliessen», erklärt er. Deshalb sei eine gezielte Mischung, das sogenannte «Blended Learning», ein guter Weg. Die Herausforderung dabei sei der Übergang zwischen Online- und Präsenzphasen. «Die Präsenzphase ist der Schlüssel zum Lernergebnis. Das bringt jedoch eine klare Erweiterung der Aufgaben von Dozierenden mit sich», meint Persike. Dozierende seien heute nicht mehr nur Lehrpersonen, sondern vor allem Coaches, Partner und Mentoren, die den Studierenden vermehrt auch in technischen Fragen zur Seite stehen müssen. «Man kann nicht einfach digitale Dokumente zur Verfügung stellen oder e-Prüfungen durchführen, ohne Instruktionen und Unterstützung bei technischen Problemen anzubieten.» Laut Persike sei es ein Irrglaube, dass die neuen Generationen automatisch alle digitalen Kompetenzen in die Wiege gelegt bekämen. Viele Studierende seien gar nicht so affin für digitale Lehrmittel. Sie verlangten auch nicht so sehr nach einem Curriculum, das auf digitale Lehrmethoden setze. «Studierende wollen oft einfach nur ihren Leistungsnachweis erbringen. Wenn das den Umgang mit digitalen Lehrmethoden beinhaltet, dann absolvieren sie diesen Teil genauso pflichtbewusst, wie ein Buch zu lesen», erklärt er. Weitaus wichtiger seien digitale Lehrmethoden in der Weiterbildung. Menschen, die bereits in einem von digitalen Instrumenten beherrschten Arbeitsalltag eingebunden sind, begrüssen die technischen Vereinfachungen. Eines ist aber allen Lernenden gemeinsam: Sie kommen lieber in den Präsenzunterricht, schätzen den direkten Austausch und legen grösseren Wert auf eine sinnvoll gestaltete Präsenzphase. Deshalb liegt die grosse Herausforderung für Dozierende darin, den Anschluss von der Online-Lektion zur Präsenzlektion so zu gestalten, dass der Lernprozess gezielt gefördert und das Erlernte verankert wird.


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Digitale Kompetenzen

Neben Fachvorträgen bot die Tagung zehn Workshops zu speziellen Themen, wie zum Beispiel die Produktion von Lernvideos oder die Nutzung von Audience-Apps im Unterricht an. Im Workshop «Digitale Kompetenzen» ging es um das Verständnis von nötigen Kompetenzen im digitalen Zeitalter und um die Einbettung dieser Kompetenzen in den Bildungsalltag von Studierenden, Weiterbildungsteilnehmenden und Dozierenden. ZHAW-Medienpsychologin Sarah Genner führte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Vielschichtigkeit digitaler Kompetenzen ein. In Gruppen aufgeteilt übersetzten die Teilnehmenden anschliessend die einzelnen Kompetenzen in ihren konkreten Bildungsalltag. Dabei betrachteten sie die Herausforderungen aus Sicht der Weiterbildung, der Lehre, der Studierenden und der Dozierenden. Sie erörterten Fragen über Hürden und Schwierigkeiten, über die verschiedenen Möglichkeiten und Anforderungen, und über den Weg, den sowohl Lernende wie Lehrende und Institutionen gehen müssen.

Sarah Genner unterstützt die Gruppenarbeit zum Thema «Digitale Kompetenzen im Hochschulalltag»

«Digitale Kompetenzen umfassen nicht nur den Umgang mit einem technischen Gerät oder Programm», erklärte Sarah Genner. «Es geht auch um soziale Kompetenzen in der Online-Kommunikation und -Kollaboration, um das Verständnis von Rechten im digitalen Raum, um das Wissen über Sicherheit, digitale Identität und eine korrekte Einschätzung aller Auswirkungen bei der Erstellung und Nutzung digitaler Inhalte.» Sarah Genner forscht und lehrt an der ZHAW im Bereich Medienpsychologie. Zudem wirkte sie bei einer neuen Studie des IAP Institut für Angewandte Psychologie mit, in der Fach- und Führungspersonen zur Arbeitswelt 4.0 befragt wurden. Ein erstaunliches Ergebnis dieser Studie war das unterschiedliche Verständnis von Digitalisierung. «Wir haben rund 1600 verschiedene Verständnisbegriffe von den 600 Probanden erhalten», erklärt Genner. Jeder verstehe etwas anderes darunter. Das konnte man von den Workshop-Teilnehmenden nach der einstündigen Übung nicht mehr behaupten. Sie haben die Auswirkungen der Digitalisierung und die Herausforderungen für die einzelnen Bildungsbereiche detailliert auf den Punkt gebracht:

Arbeitsgruppe 1: Herausforderungen in der Weiterbildung

Herausforderungen in der Weiterbildung
In der Weiterbildung liegen die Herausforderungen in der allgemeinen technologischen Kompetenz, der Sicherheitstechnologie und der Einbettung digitaler Plattformen. Auch didaktisch müssen Dozierende die neuen digitalen Instrumente beherrschen und sie souverän im Unterricht einsetzen. Und letztlich müssen sie ihr Curriculum um Inhalte des digitalen Zeitalters je nach Fachbereich anreichern und ihren Teilnehmenden Plattformen und Foren für die Erweiterung ihres professionellen Netzwerkes zur Verfügung stellen.

Arbeitsgruppe 2: Herausforderungen in der Lehre

Herausforderungen für Studierende
Studierende müssen nicht mehr nur Interesse und Leistungswillen mitbringen. Von ihnen wird der kompetente Umgang mit Computern, Programmen, und Sicherheitstechnologie gefordert. Sie müssen sich zudem vermehrt auch über die digitalen Entwicklungen in ihrem Fachgebiet, wie zum Beispiel in der Medizin, Mathematik oder auch der Rechtswissenschaft auf dem Laufenden halten.

Arbeitsgruppe 3: Herausforderungen für Dozierende

Herausforderungen für Dozierende
Dozierende werden zu Content Creators. Dabei müssen sie Kompetenzen im Bereich «Digital Literacy» aufbauen. Das heisst, sie müssen lernen, digitale Lerninhalte zu erstellen. Dabei geht es einerseits um die technische Produktion, zum Beispiel bei Lernvideos, und andererseits um die Strukturierung der Lerninhalte, die auf das neue Medium angepasst sein müssen. Des Weiteren müssen sie die Studierenden stärker motivieren, Inhalte kritisch zu hinterfragen und als Co-Creators aktiv zu werden und ihr Wissen und ihre Kompetenzen professionell im Internet zu publizieren.


7.Tagung zur Persönlichkeitsbildung
Die ZHAW-Tagung «Persönlichkeitsbildung» fand dieses Jahr zum 7. Mal statt und behandelte das Thema «Lernen und Lehren nah am Menschen – oder sind wir schon digital?» Fachpersonen aus den Bereichen Bildung, Medien und Psychologie diskutierten über wesentliche Fragen, die sich zurzeit in Lehre und Weiterbildung stellen und erhielten Einblicke in digital gestaltete Lehrmethoden wie Lernvideos und Audience-Response-Apps. Begleitet wurde die diesjährige Tagung von Illustratoren, die ihre Eindrücke in Zeichnungen und Animationen festhielten.    

  


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