Burnout ist ein Begriff, den jeder kennt und kaum einer definieren kann. Selbst für Betroffene ist es oft nicht einfach, den Prozess zu verstehen, der zu ihrem Burnout führte. Die PSI-Theorie zeigt verschiedene Mechanismen auf, die ein Burnout manifestieren können, und beschreibt die Rolle von Emotionen in diesem Prozess. Die PSI-Theorie kann so helfen, das eigene Verhalten zu verstehen und positiv zu verändern.

Von Susanna Borner, Laufbahnberaterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie

Burnout beschäftigt nicht nur Betroffene und Angehörige. Es liegt in unser aller Interesse, nicht zuletzt auf Grund der hohen volkswirtschaftlichen Kosten, die ein Burnout verursacht, den Gründen dieser «Volkskrankheit» Beachtung zu schenken. Die Sozialpsychologin Christina Maslach hat 1976 folgende drei Kernsymptome des Burnout-Syndroms beschrieben: Emotionale Erschöpfung, eingeschränkte Leistungsfähigkeit und Depersonalisierung, was bedeutet, dass Betroffene eine distanzierte, negative Haltung gegenüber ihrer Arbeit und ihren Kollegen zeigen. Zwei Persönlichkeitstypen haben nach neusten Erkenntnissen der Forschung ein erhöhtes Risiko an Burnout zu erkranken: Die «Selbstverbrenner» und die «Verschleisser». Die Selbstverbrenner sind idealistisch oder perfektionistisch veranlagt und haben sehr hohe Ansprüche an sich selbst. Sie treiben sich also (ungewollt) selbst an ihre Grenzen und überfordern sich. Die Verschleisser hingegen möchten den Ansprüchen anderer gerecht werden. Beide Typen können schlecht Nein sagen und sind bereit, über ihre Kräfte hinaus den Leistungsanforderungen gerecht zu werden.

Nicht selten melden sich Personen mit ersten Erschöpfungssymptomen bei mir für eine Laufbahnberatung an. Um nicht vom Regen in die Traufe zu kommen, ist es in solchen Fällen wichtig, nicht nur die «Laufbahn» anzuschauen, sondern auch den «Laufstil», also das eigene Verhalten in alltäglichen beruflichen Situationen zu hinterfragen. Für Burnout-gefährdete Personen kann es daher wichtig sein zu erkennen, wie und warum sie sich in bestimmten Situationen so verhalten, dass sie an ihre Grenzen kommen und wie sie sich selbst schützen können. Nur so macht die Laufbahnberatung auch nachhaltig Sinn.

Der schmale Grat zwischen Anstrengung und Überforderung

Wie kann man nun Burnout-gefährdeten Personen ihre Situation verdeutlichen? Zu Beginn zeigt sich meist nur ein schmaler Grat zwischen Anstrengung und Überforderung. Wenn das Gefühl der Effort-Reward-Balance nicht mehr stimmt – also, wenn ich das Gefühl bekomme, dass sich mein (Mehr-)Einsatz nicht weiter lohnt – kann ein Burnout-Prozess in Gang kommen. Für Betroffene ist dieser Prozess oft so schleichend, dass sie die Gefahr nicht einschätzen können. Deshalb ist es entscheidend, mit den Betroffenen über ihre Einstellungen und Verhaltensweisen rechtzeitig zu sprechen, um die Balance ihrer Ressourcen aufrecht zu erhalten. Wenn ich in der Laufbahnberatung merke, dass ein Klient oder eine Klientin an so einem kritischen Punkt steht oder darauf zusteuert, so ist es mir wichtig, dass die Person versteht, was ihre missliche Lage begünstigt und wie sie nachhaltige Veränderungen unter anderem im Denken und Handeln bewirken kann. Im Gespräch analysiere ich dann die Situation und versuche im nächsten Schritt, den Ursachen auf die Spur zu kommen. Dabei kann die PSI-Theorie hilfreich sein.

PSI-Theorie: Die psychischen Systeme zur Steuerung

Die Theorie der Persönlichkeits-Systems-Interaktion (PSI-Theorie) wurde von Julius Kuhl begründet, einem Professor für Differentielle Psychologie an der Universität Osnabrück. Er unterscheidet vier Funktionssysteme, die unser Fühlen, Denken, Handeln und Reflektieren steuern. Sie interagieren im Wechselspiel miteinander und werden durch Stimmungslagen beeinflusst.

 

Zum einen ist da das Extensionsgedächtnis (EG), welches kreative, sinnerfüllende und emotional befriedigende Handlungen ermöglicht. Es dient als Ratgeberfunktion, da es aus dem Unbewussten heraus agiert, auf Erfahrungen baut und unsere bisherigen Problemlösungsstrategien darin abgebildet sind. Das Extensionsgedächtnis ist in einer entspannt-gelassenen Stimmungslage aktiv. Das Intentionsgedächtnis (IG) hingegen benötigt eine sachlich-nüchterne Stimmung, um aktiv zu werden. Dieses System ermöglicht uns, schwierige Vorhaben zu planen und sie vorzubereiten, bis sie umsetzungsreif sind. Es ist also für Denkprozesse zuständig, die nicht (gleich) unmittelbar zur Handlung führen. Die Ausführungsfunktion wird vom dritten System übernommen, dem Intuitiven Verhaltenssystem (IVS). Dieses erlaubt es uns, Pläne und Absichten auszuführen und ist zuständig für Routineabläufe und komplexe Projektumsetzungen. Die Ausführfunktion läuft bei einer positiv-freudigen Stimmungslage zur Höchstform auf. Die vierte und letzte Funktion ist die Prüffunktion. Sie wird in der PSI-Theorie das Objekterkennungssystem (OES) genannt und ermöglicht es uns, Fehler und Misserfolge zu erkennen. Diese Funktion ist also die Voraussetzung für Lernen und Persönlichkeitsentwicklung. Aktiv ist sie vor allem in negativ-ernster Stimmungslage.

Von der Theorie in die Praxis

Was heisst das nun für Burnout-gefährdete Menschen? Um zu verstehen, wie die Mechanismen der vier Funktionssysteme und die aktuelle Stimmungslage in der Praxis zusammenspielen, zeige ich die Wechselwirkung anhand eines Beispiels auf:

Frau Meier, 42 Jahre, Eventmanagerin, hatte nach langjähriger Leitungstätigkeit im Sponsoring eines Sportclubs eine neue Herausforderung gesucht. Das Angebot einer Grossbank, Projekte im Eventbereich organisieren zu können, entsprach ihren Vorstellungen. Aufgrund ihrer Berufserfahrung wurde ihr keine Einführung zugebilligt. Frau Meier hatte ja ihre Fähigkeiten schon mehrfach erfolgreich unter Beweis gestellt. Doch das Arbeitsumfeld und die Branche waren vollkommen neu für sie. Wegen ihres hohen Leistungsanspruchs versuchte Frau Meier, ihre Arbeitsschritte vorgängig genau zu überprüfen, damit ihr keine Fehler unterliefen. Sie nahm jeden ihrer Arbeitsschritte unter die Lupe und konnte irgendwann kaum noch klare Gedanken fassen. Das ging so weit, dass sie immer ineffizienter arbeitete. Als sie schliesslich wegen grosser Versagensängste wochenlang nicht mehr schlafen konnte, suchte sie das Gespräch mit mir.

Was war passiert? Bei Frau Meier hatte die Prüffunktion, das Objekterkennungssystem (OES), Überhand genommen und sie in ihrem Tun blockiert. Da die Prüffunktion in einer negativ-ernsten Stimmungslage funktioniert und durch diese Stimmung wechselseitig auch immer wieder aktiviert wird, wurden andere Funktionen an ihrer Aktivität gehindert. Die Prüffunktion liess sie praktisch in einer negativen-ernsten Stimmung verharren, und sie fiel ins Grübeln, was wiederum Stress auslöste. Dieser Mechanismus verhindert, dass zum Beispiel das Extensionsgedächtnis (EG), welches uns mit unseren Erfahrungswerten unterstützt, positive Ressourcen zur Problemlösungsbewältigung aktivieren kann. Das wiederum hat zur Folge, dass keine Ideen kreiert, Pläne geschmiedet oder Handlungsschritte iniziiert werden können. Frau Meier war also nicht mehr in der Lage, einer positiven, oder aktiv-freudigen Stimmung Raum zu lassen und so ihr Potential und ihre Erfahrung zur Projektumsetzung zu nutzen. Sie konnte auch Ideen nicht mehr zuverlässig planen, da ihr Intentionsgedächtnis, welches für die Planung zuständig ist, durch die gedrückte Stimmung behindert wurde. Am Ende blockierte die Stimmung auch die Ausführungsfunktion, und so konnte Frau Meier auch die ihr wohl bekannten Handlungsschritte nicht einsetzen, um ihre Projekte weiterzuführen.

Um solche Blockaden aufzubrechen, braucht es in der Regel Bewältigungsstrategien. In der Laufbahnberatung zeige ich betroffenen Klientinnen und Klienten deshalb auf, wie Emotionen unsere Handlungsfähigkeit beeinflussen können. Das Gute daran ist: Menschen können ihre Affekte regulieren, also ihre Stimmungen beeinflussen, und sich so bis zu einem gewissen Grad selbst «managen». Durch Kompetenzstärkung und das Sichtbarmachen der vorhandenen Ressourcen, erarbeite ich mit den Betroffenen Bewältigungsstrategien für ein besseres Stressmanagement. Erst dann ist der Weg für eine erfolgreiche Laufbahnplanung wirklich frei.


Susanne Borner_3517_Zur Autorin
Susanna Borner ist Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW. Nach ihrem Psychologiestudium an der Universität Zürich absolvierte sie verschiedene Nachdiplomstudien in Systemischer Familien- und Paartherapie, Personalmanagement sowie Berufs- und Laufbahnberatung. Am IAP leitet sie den MAS Berufs-, Studien- & Laufbahnberatung und arbeitet als Coach mit Menschen, die sich weiterentwickeln möchten.


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