Ein Mehrgenerationenhaus für das Unternehmen

Als Führungsperson erlebe ich immer wieder, wie interessant und anspruchsvoll es ist, mehrere Generationen zu führen. Die Mitarbeitenden haben unterschiedliche Stärken, Qualitäten und Ansprüche, und es ist nicht einfach, Menschen mit unterschiedlichen Werthaltungen, Kompetenzschwerpunkten und in unterschiedlichen Lebensphasen gerecht zu werden. Wenn es der Führung aber gelingt, das Potenzial und die Zusammenarbeit zu fördern, kann für ein Unternehmen eine wertvolle Win-win-Situation entstehen.

Von Daniela Eberhardt, Direktorin Human Resources Management, Stadt Zürich

Die demographische Entwicklung zeigt, dass auf dem Arbeitsmarkt in den nächsten zehn Jahren der Anteil älterer Mitarbeitender im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmenden stark ansteigen wird. In Unternehmen werden darum immer öfter verschiedene Altersgruppen zusammenarbeiten, die alle ihre Besonderheiten haben, von bestimmten Ereignissen geprägt wurden und sich mit ihren Wertvorstellungen, ihrem Wissen und ihren Erfahrungen ins Arbeitsleben einbringen. Die Arbeitswelt ist zudem geprägt durch äussere Veränderungen und Trends wie die globale wirtschaftliche Vernetzung oder die fortschreitende Digitalisierung. Dies verändert auch Arbeitsprozesse und Tätigkeiten.

Jede Zeit bringt eigene Generationenerfahrung

Die unterschiedlichen Generationen sind in der Arbeitswelt jeweils in gemeinsame zeitgeschichtliche Erfahrungen eingebettet. Sie teilen also dasselbe Weltwissen ihrer spezifischen Zeit, wie zum Beispiel den Eintritt ins Berufsleben als Schreibmaschine und Telefon noch Standard waren oder die Erfahrungen in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung als Computer und Videokonferenzen aufkamen und schliesslich der heutigen Zeit, in der das «Internet of Things» zu einer weitgehenden Veränderung der Arbeitswelt führt. Auch verändert sich der Mensch selbst in der Lebensspanne. Wir durchleben unterschiedliche mentale und körperliche Entwicklungsprozesse und haben über das Berufsleben hinweg beispielsweise unterschiedliche Ansprüche an die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. All diese Vielfalt bringen die Menschen mit in den Arbeitsprozess, und es wird zur grossen Herausforderung für die Führung, dieser Vielfalt gerecht zu werden.

Mehr Handlungsspielraum für die Organisation

Eine der Führungsherausforderungen der Zukunft im Umgang mit der demografischen Entwicklung ist es, für alle Generationen ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Dies wird umso wichtiger, wenn wir davon ausgehen, dass mit dem Eintritt der heutigen „Babyboomer“ ins Rentenalter die Anzahl an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt abnimmt und den Fachkräftemangel noch verstärken wird. Damit sie den heutigen und künftigen Ansprüchen gerecht werden, müssen Führungspersonen den eigenen Führungsbereich erfolgreich weiterentwickeln und lernen, Generationen nicht nur „zusammen zu führen“ sondern auch „zusammenzuführen“. Wenn dies gelingt, kann eine Win-win-Situation entstehen, in der sich durch eine gute Ergänzung der vielfältigen Erfahrungen auch die Möglichkeiten und der Handlungsspielraum für die Organisation vergrössern. Gleichzeitig kann so verhindert werden, dass altersspezifische Nischen entstehen, die die Führung darauf reduzieren, es allen recht zu machen. Doch wie gelingt das?

Das Haus der Arbeitsfähigkeit
Haus der Arbeitsfähigkeit (nach Tempel und Ilmarinen, 2013)

Das Haus der Arbeitsfähigkeit

Die wichtigste Herausforderung für ein erfolgreiches Arbeitsleben ist die Fähigkeit, den Anforderungen des Arbeitslebens bis zur Pensionierung gerecht zu werden. Generationen zusammen führen baut als Konzept auf vielfältigen theoretischen und praktischen Ansätzen auf. Hauptziel ist es, in der Führung für den Umgang mit demographischen Herausforderungen gewappnet zu sein und die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden bis hin zur Pensionierung so gut wie möglich zu fördern. Was braucht es dazu? Und wie können Führungspersonen zur Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden beitragen? Ein Konzept dazu wurde vom finnischen Forscher Juhanni Ilmarinen entwickelt. Er betont die Wechselwirkung zwischen den Mitarbeitenden und der Organisation, also der Führung. Als Metapher für die Beschreibung der Arbeitsfähigkeit verwendet Ilmarinen ein mehrstöckiges Haus. Im Erdgeschoss dieses Hauses ist die Gesundheit angesiedelt. Sie stellt das Fundament dar. Stellen Sie sich einen 55-jährigen Maurer vor, der seinen Arm nicht mehr heben kann oder eine 40-jährige Managerin, die an Erschöpfungsdepression oder Burnout leidet. Die Grundlage für eine weitere erfolgreiche Berufstätigkeit stürzt erst einmal ein, wie das Fundament eines Hauses. Eigenverantwortlichkeit in Sachen Gesundheit, aber auch eine Führung, die Gesundheit als Fundament für die Arbeitsfähigkeit versteht und ein umfassendes Gesundheitsmanagement anbietet, bilden deshalb in allen Lebensphasen die Grundlage für eine aktive Berufstätigkeit – ein Berufsleben lang.

Führungsaufgaben werden komplexer

Im ersten Stock von Ilmarinens Hause der Arbeitsfähigkeit ist die Kompetenz angesiedelt. Übertragen auf unser Generationenthema bedeutet das, dass es gelingen muss, die Kompetenz im Minimum so weiterzuentwickeln, dass sie neueren Ansprüchen, die sich zum Beispiel aus der Digitalisierung ergeben, standhalten können. Idealerweise geht es aber über den Erhalt der aktuellen Kompetenzen hinaus, denn auch die Berufsbilder werden sich verändern, und es braucht eine gewisse Flexibilität und multiple Fähigkeiten, um diese Veränderung mit vollziehen zu können. Personalentwicklung und die Förderung von Lebenslangem Lernen wird zur zweiten zentralen Führungsaufgabe für ein nachhaltig erfolgreiches Berufsleben. Die Führungsherausforderungen „Gesundheitsmanagement“ und „Lebenslanges Lernen“ werden erweitert um die Fragen des alternsgerechten und generationsübergreifenden Führungsstils. Dieses Thema ist im dritten Stock unseres Hauses angesiedelt. Führung beeinflusst nachweislich die Leistung, das Verhalten, das Wohlbefinden, die Zusammenarbeit und die Gesundheit der Mitarbeitenden. In der Forschung konnte bislang nur ein Faktor nachgewiesen werden, der wirklich dafür sorgt, dass sich die Arbeitsfähigkeit in den letzten ca.10 Jahren vor Erreichen des offiziellen Pensionierungsalters noch erhöht: die alternsgerechte Führung. Dabei geht es darum, die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter mit ihren jeweiligen generations- und altersspezifischen Potenzialen zu verstehen und so zu führen, dass sie ihre Fähigkeiten und Werthaltungen an das Team und die Ziele des Unternehmens anschlussfähig machen können. Unterschiedliche Generationen am Arbeitsplatz haben zudem unterschiedliche Präferenzen: So schätzen die älteren Mitarbeitenden („Babyboomer“) einen kollegialen und konsensorientierten Führungsstil und akzeptieren Autorität, während die mittlere Generation („Generation X“) vor allem klare und transparente Kommunikation schätzt und eine starke hierarchische Ausrichtung ablehnt. Die jüngeren Mitarbeitenden („Generation Y“ oder auch „Millenials“ genannt) orientieren sich hingegen nicht so sehr an Status und beruflichem Aufstieg. Sie suchen die Sinnhaftigkeit und Vereinbarkeit von Lebensbereichen und brauchen Führungskräfte, die „people experts“ sind. Führung bedeutet für diese Generation vor allem zu motivieren, entwicklungsorientiert zu fördern und als Vorbild in der Führungsfunktion aufzutreten.

Das Mehrgenerationenhaus
Das Mehrgenerationenhaus: Führung sollte alle Generationen altersspezifisch abholen. (Zeichnung: Jana Eberhardt, Zürich)

Ein Haus für alle Generationen

Generationen zusammen führen setzt bei diesem alternsgerechten Führen an und geht darüber hinaus. Um beim Bild des Hauses zu bleiben, könnte man sagen, dass wir uns bei generationsübergreifender Führung in einem „Mehrgenerationenhaus“ befinden. Wenn die Führungsperson jede Altersgruppe so abholt, dass es altersspezifisch passt, ist das noch keine Garantie dafür, dass das Zusammenleben – oder auf den Arbeitsprozess übertragen die Zusammenarbeit – mit den verschiedenen Generationen gut klappt. Eine Führungsperson braucht die Fähigkeit, die Mitarbeitenden so zu integrieren, dass die verschiedenen Besonderheiten und Schwerpunkte respektiert und für die gemeinsame Aufgabenbearbeitung aktiv genutzt werden. So kann zum Beispiel die Kombination der Erfahrung im Umgang mit neuen Medien („Millenials“) kombiniert mit der Erfahrung wie Entscheidungen in einer Organisation besser abgestützt und Vorhaben erfolgreich umgesetzt werden („Babyboomer“) ein Team bereichern und erfolgreicher machen. Damit das gelingt ist auch die Ausgestaltung des vierten Stockwerks unseres Mehrgenerationenhauses von zentraler Bedeutung: Es braucht eine Organisations- und Führungskultur, welche die Vielfalt der Generationen schätzt, ihren Ansprüchen entgegenkommt, sie in verschiedenen Lernphasen unterstützt und ihre Zusammenarbeit bewusst fördert.

eberhardt-daniela-01Über die Autorin
Prof. Dr. Daniela Eberhardt ist Diplom-Psychologin und Diplom-Verwaltungswirtin (FH). Sie leitete über viele Jahre das IAP, Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW und ist heute Direktorin Human Resource Management der Stadt Zürich. Ihr Buch Generationen zusammen führen ist im Haufe Verlag erschienen.


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