Am 6. September war Mario Curiger, Generalsekretär und HR-Chef der Bundesanwaltschaft Bern, zu Gast an der Fachtagung IAP Dialog und hielt dort ein Referat zum Thema Individualisierung in Organisationen. Im Interview haben wir ihm dazu drei Fragen zu seinem persönlichen Umgang damit gestellt.  

Herr Curiger, wo liegt die Grenze der Individualisierung in Organisationen?

Es ist sehr wichtig, dass Grenzen bei der Individualisierung gesetzt werden. In dem Moment, in dem die Individualisierung dazu führt, das jeder seine Arbeitsinstrumente selbst aussuchen darf und dadurch eine ganze Kette von nachgelagerten Tätigkeiten gefährdet wird, wirkt Individualisierung zerstörend. Auf der anderen Seite glaube ich, dass, wenn wir von der Individualisierung als Element reden, zum Beispiel, wie man etwas besser machen oder für die Mitarbeitenden mehr Ausgleich und Work-Life-Balance schaffen kann, es meines Erachtens kaum Grenzen gibt. Ein wichtiger Punkt für mich ist bei dieser Sache die physische Nähe in der Zusammenarbeit. Ich glaube, Emotionen und der Kontakt zu einander sind notwendig, damit man überhaupt eine Grundlage für eine gute Zusammenarbeit haben kann. Wir sind ja alle Menschen, wir haben alle Werte und Emotionen, und das ist sehr wichtig. Gänzlich virtuelle Teams sind deshalb sicher eine grosse Herausforderung über längere Zeit.

https://youtu.be/f1kmtmVTQZY

 

Wie gehen Sie persönlich als Führungskraft mit Individualisierung um?

Ich muss differenzieren, wie ich persönlich mit Individualisierung umgehe und wie ich als Führungskraft mit Individualisierung umgehe. Ich persönlich habe eine sehr liberale Einstellung dazu, weil ich glaube, dass es ein wichtiges Motivationselement ist. Aus dem heraus gebe ich selbst im Rahmen meiner Funktion als Generalsekretär jede Möglichkeit, die ich den Mitarbeitenden geben kann. Rund 60-70 Leute kommen dabei in den Genuss von Möglichkeiten wie Homeoffice, Tele-Working und so weiter. Da ist es egal, ob man über Telefon- oder Videokonferenzen arbeitet. Diese Freiheiten nutze ich sehr bestimmt. Es ist ganz anders, wenn man eine sehr konservative Einstellung hat. Die Individualisierungsmassnahmen, die ich als gewinnbringend für alle betrachte, werden von vielen als „Fringe Benefit“ eingesetzt, als Element des Vertrauens sozusagen. Also nach 10 Jahren beweisen, bekommst du dann ein paar Freiheiten. Aber vorher musst du gar nicht danach fragen, du arbeitest dann erst einmal 10 Jahre von morgens 8 bis abends 6 oder so.

Sie haben Ihr Team enorm verkleinert. Hat das die Kultur verändert?

Ob die Reorganisationsmassnahmen etwas in der Führungskultur oder der Unternehmenskultur verändert haben, ist zu diesem Zeitpunkt noch sehr schwierig zu sagen. Wir haben die Massnahmen nach nun zwei, drei Jahren intensiver Grundlagenarbeit auf den 1. Februar 2016 umgesetzt. Es ist noch viel zu früh, jetzt schon Schlüsse daraus zu ziehen, ob es erfolgreich ist oder nicht. Wenn ich mir die Indikatoren anschaue, merke ich, dass wir jetzt – mit 5 anstatt 12 Führungskräften – beginnen können, eine Führungskultur aufzubauen. Die Art zu arbeiten ist nun ganz anders. Es ist alles viel näher, man kann die Themen viel individueller und näher besprechen und miteinander eine Lösung finden. Mit 12 Leuten war das wahnsinnig schwierig. Es ist ein anderer Zustand. Nicht, dass es nicht auch mit 12 Leuten möglich wäre, aber für uns war es in diesem Zustand fast unmöglich. Das hat sich also stark verändert mit dieser Anpassung. Der zweite Punkt, der für uns spürbar ist, ist der Fokus auf Menschen, die wirklich gerne führen. Sie nehmen das auch sehr stark wahr und sind interessiert an Führungsthemen. Das war vorher auch nicht so sehr der Fall. Da hatte man aus verschiedenen Gründen zum Teil Fachpersonal auf Führungspositionen, was nicht ideal ist. Es sind also viele Veränderungen im Gange, und ich hoffe, es wird positiv. Aber das wird die Zeit erst noch zeigen.

 


1 Kommentar

  • Ich finde das Thema Individualisierung am Arbeitsplatz persönlich sehr interessant. Es hat für mich sehr viel mit der Unternehmenskultur zum einen und dem persönlichen „Individualisierungs-Appetite“ zum anderen zu tun.
    Ich selbst beschäftige mich intensiv mit Beziehungsmanagement wobei es um Beziehungen zwischen zwei oder mehr Individuen geht.


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