Humor in der Psychotherapie

Psychotherapie ist eine ernste Sache. Es geht um ernsthafte Probleme. Die Psychotherapeuten Peter Hain und Franz Dumbs setzen aber auf Humor. Stellt sich die Frage: Was hat Humor in der Psychotherapie verloren? Am IAP referierten sie über wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse und plauderten aus dem Nähkästchen ihres psychotherapeutischen Alltags.

von Joy Bolli, Redaktion ZHAW Angewandte Psychologie

Ende der 1990er-Jahre waren noch mehr als 90 Prozent aller Therapeutinnen und Therapeuten im deutschsprachigen Raum der Meinung, Humor gehöre nicht in die Psychotherapie. Vereinzelte Stimmen, die das Gegenteil beschrieben, waren zwar schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts vernehmbar. So lachte zum Beispiel der Arzt und Psychotherapeut Alfred Adler schon 1910 mit seinen Patienten in der Therapie. Später erklärte der Neurologe und Psychiater Victor Frankl, wie hilfreich Humor als Rettungsanker für das Überleben von traumatischen Erlebnissen sein kann. Er selbst war in drei Konzentrationslagern inhaftiert gewesen und versicherte, dass er den Alltag im KZ niemals überlebt hätte, wenn er und seine Mitinsassen nicht immer wieder auf den Humor als Überlebensstrategie hätten zurückzugreifen können. Und auch in der Medizin war man schon lange darauf gekommen, dass ein humorvoller Blick auf die Dinge, das eigene Leid relativieren, den Schmerz erträglicher machen und die Heilung fördern kann. Doch die Vorstellung, dass man es in der Psychotherapie nicht lustig haben sollte, hielt sich hartnäckig – vor allem unter Therapeuten selbst. „Wahrscheinlich war es ihnen wichtig, sich selbst und der Welt zu bestätigen, dass auch Psychotherapeuten ihr Geld ernsthaft verdienen“, scherzt Peter Hain. Der in Zürich praktizierende Psychotherapeut ist einer der wenigen Spezialisten auf dem Gebiet der humorvollen Intervention. Als Gast am diesjährigen IAP Kongress lieferte er dem Publikum einen umfassenden Abriss über die Geschichte und die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Humor im psychotherapeutischen Berufsalltag.

Peter Hain auf der Bühne
Peter Hain erklärt wie Humor in der Psychotherapie wirken kann.

Humor hilft beim Reframing

Heute weiss man, dass sich vor allem Ängste mit Humor gut ‘umdrehen’ lassen. Humor kann die Angst in einen neuen Kontext, in einen neuen Rahmen setzen. Zum Beispiel die Angst vor Hunden: „Man muss verstehen, dass Angst sehr anziehend auf Hunde wirkt – vor allem auf die Kleinen”, meint Peter Hain. Auf der grossen Bühne des Konzertsaals im Toni-Areal wirkt der Therapeut eher ernst, sein Humor trocken. Nur selten zieht er die Mundwinkel in ein sichtbares Lächeln. “Stellen Sie sich vor, was für ein Gefühl von Stärke das für die kleinen Hunde ist: Die haben es heutzutage so schwer, sich ein gesundes Selbstwertgefühl zu erarbeiten. Und da kommt jemand, der panische Angst vor ihnen hat. Dieser Mensch gibt ihnen das Gefühl, stark und mächtig zu sein. Wer also Angst vor Hunden hat, der übernimmt eine sehr wichtige und ehrenvolle Aufgabe – als Therapeut für Hunde”. Dieses Umdrehen einer Situation, vom “ich habe Angst vor Hunden” zum “ich therapiere Hunde ehrenamtlich”, dreht die Rollen um. Reframing nennt man eine solche Neubetrachtung des Kontextes. Für Klientinnen und Klienten kann ein Reframing ein Umdenken bewirken. Denn ein neuer Blick auf die Situation kann helfen, das Problem aus einer anderen Perspektive zu sehen und mit neuem Mut anzugehen.

Franz Dumbs zwischen zwei Stühlen
Die Position…
Franz Dumbs sitzt auf dem linken Stuhl.
…bestimmt die Perspektive.
Franz Dumbs geht zum rechten Stuhl
Man muss sich selbst bewegen…
Franz Dumbs sitzt auf dem rechten Stuhl.
…um den Blickwinkel zu verändern.

Humor lebt von der herzlichen Beziehung

Die meisten Menschen, die heute im Publikum sitzen, kennen verfahrene Situationen im therapeutischen Alltag. Viele von ihnen sind selbst Psychotherapeuten. Aber auch Sozialarbeiter, Ärztinnen und Physiotherapeuten sind darunter. Am IAP absolvieren sie eine zusätzliche Weiterbildung, die sich stark am Praxisalltag ausrichtet.

Der IAP Kongress wird alle zwei Jahre speziell für diese Weiterbildungsteilnehmenden durchgeführt. Behandelt werden aktuelle Themen, die hier direkt mit Spezialisten aus den jeweiligen Fachgebieten diskutiert werden können. Dieses Jahr geht es um das Thema Humor, und so lässt die wichtigste Frage nicht lange auf sich warten: Wie kann man lernen, Humor in der Therapie einzusetzen? Der Grad zu Missverständnissen oder gar Verletzungen ist oft gefährlich schmal. Franz Dumbs gibt Antwort: “Humor ist ein Plus, kein Muss”. Der erfahrene Psychotherapeut und Autor des Buches „Humor in der Psychotherapie“ hat sich viele Jahre mit dem Thema beschäftigt. Weder könne man Humor erzwingen, noch erlernen, wenn man ihn selbst nicht besitze, erklärt er. “Man muss sich schon erst einmal selbst auf die Schippe nehmen können. Nur dann kann man dem Gegenüber einen Boden bereiten, dies auch zu tun.”

Auch Dumbs arbeitet erfolgreich mit humorvoller Intervention. Das Geheimnis von gutem Humor liegt seiner Ansicht nach in der Liebe zum Menschen. Humor lebe immer von der herzlichen Beziehung zum Gegenüber und zu dessen Macken. Es gehe darum, den Klientinnen und Klienten zu helfen, ihren Blick liebevoller auf das eigene Menschsein zu richten. Vom Film über das Cabaret, von Slapstick bis zur humorvollen Selbstbetrachtung: Immer ist der herzliche Blick auf den Menschen die Voraussetzung für guten Humor. Eine humorvolle Intervention macht sich also niemals über den Menschen selbst lustig. Auch die Dinge, die das Gegenüber nicht verändern kann, wie zum Beispiel eine Spastik, bleiben Tabu für den Humor. Darin sind sich Dumbs und Hain einig. Unveränderliche Realitäten müsse man einfach anerkennen.

Teilnehmende und Experten diskutieren auf der Bühne.
Psychotherapeutin Imke Knafla leitet die Runde, in der die Teilnehmenden Detailfragen für die Experten ausgearbeitet haben.

“Wichtig ist, dass man die Realität in ihrer Ganzheit wirklich sehen will – und zwar humorvoll anerkennend”, erklärt Hain. “Wenn also jemand sagt: Ich habe Angst davor, in die Migros zu gehen, dann ist es meine Aufgabe, diese Angst ernst zu nehmen und den Boden zu bereiten, dass der Klient oder die Klientin mit der Zeit ihrer eigenen Angst den Ernst nehmen kann”. Hain vergleicht diese Arbeit mit dem kreativen Prozess des Filmemachens. Er spinnt die Geschichte einfach weiter. Was würde passieren, wenn man doch in die Migros geht? Wovor genau hat der Klient oder die Klientin Angst? Und wie würde es aussehen, wenn alle Ängste eintreffen würden? Was, wenn alle Ängste gleichzeitig und in ihrer schlimmsten Form wahr würden? Das Ausmalen solch einer Situation grenzt an das Malen grotesker Bilder. In Hains Erzählungen und Beispielen liegt so viel Lust an überspitzten und verrückten Bildern, dass man als Zuhörer am liebsten selbst dabei wäre. “Wenn man das Filmskript lange genug weiter schreibt, kommt man an den Punkt, an dem das Gegenüber sich fragt, wer hier eigentlich verrückt ist, der Klient oder der Therapeut”, grinst Hain. “Wenn die Realitäten sich verschieben, kann die Angst kippen, und es entsteht zum ersten Mal Raum für einen freieren Blick auf sich selbst”.

Franz Dumbs zeigt einen Trick mit einem Farbstift.
Lachen kann man lernen: Franz Dumbs zeigt vor…
Franz Dumbs gibt Anweisungen mit dem Farbstift zwischen den Lippen.
…wie man seine eigenen Perspektiven sehr schnell „verrückt“…
Das lachende Publikum mit Stiften zwischen den Lippen.
…und sich mit Lachen aus dem Moment „entrücken“ kann.

Neuer Blick, neuer Ansatz

Besonders bei Jugendlichen, die bereits viele Stationen der Beratung hinter sich und alle Einwände von Erwachsenen, Beratern und Therapeuten schon gehört haben, setzt Hain Humor immer wieder konstruktiv ein. “Wenn mir ein Jugendlicher erzählt, dass seine Eltern ‚einfach Scheisse‘ sind, dann ist für mich klar: Du hast deine Eltern eben nicht richtig erzogen”. Der veränderte Blickwinkel lässt aufhorchen. Meint er das ernst? “Natürlich”, entgegnet Hain. “Erst wenn man den Klienten ernster nimmt als er sich selbst, kann er in eine fragende Haltung kommen. Er bekommt die Freiheit, sich selbst ernsthaft zu reflektieren und gedanklich in eine andere Richtung zu bewegen”. Im Falle der eben beschriebenen Jugendlichen, ist also Erziehungsarbeit angesagt. Wohlverstanden, die Jugendlichen müssen lernen, ihre Eltern richtig zu erziehen. Das bedeutet im Klartext: Sie müssen Wege finden, wie sie ihre Eltern zu den Reaktionen bringen können, die sie gerne sehen möchten. Der Weg zu diesem Resultat führt über einfache und klare Erziehungsaufgaben: Mit den Eltern reden, ihnen offen und ehrlich erklären, warum dies oder jenes für das gemeinsame Zusammenleben wichtig ist, gemeinsame Richtlinien finden und die Eltern zwingen, diese auch einzuhalten. Die Jugendlichen müssen dann ihren Eltern Grenzen aufzeigen und die gemeinsam getroffenen Abmachungen selbst einhalten, damit ihre Eltern lernen, dass sie sich entspannen und sich auf die gesetzten Regeln verlassen können. Also alles eine Frage der Erziehung? „Und der Empathie“, fügt Hain hinzu. “Für Einzelkinder ist diese Aufgabe nämlich besonders schwierig. Schliesslich sind sie alleinerziehend”.

Provokation – die hohe Kunst der humorvollen Intervention

Lange wurden Therapeuten darauf trainiert, ihre Klientinnen und Klientin mit Empathie zu begleiten. “Born to be mild” nennt Hain diese Haltung ironisch. Doch Empathie äussert sich nicht nur in mildem Verständnis eines Problems. Manchmal äussert sich Empathie darin, dass man einem Klienten etwas zumutet, von dem er oder sie selbst glaubt, es nicht zu können. “Ein Beinbruch braucht Schonung und Pflege – jedenfalls in den ersten Wochen”, macht Hain ein einfaches Beispiel. “Doch wenn man den Gips sechs Monate lang drauflässt und den Patienten auch danach nie mit Physiotherapie über die anfänglich spürbaren Grenzen hinaus fordert, dann bleibt die Muskulatur schwach, das Bein lahm und man schadet seinem Patienten mehr als man ihm hilft”. Ein einleuchtendes Beispiel. In der Zumutung liegt also die Annahme von Stärke und Fähigkeiten, welche die Klienten selbst vergessen haben, oder aus Bequemlichkeit und Angst ignorieren. Auch nach einem Beinbruch muss man schliesslich die Angst vor dem Schmerz beim ersten normalen Auftreten überwinden. Es ist der Moment, in dem das Gehirn verstehen muss, dass der Körper weit genug gesundet ist, dass man ihm das Wiedererlangen der alten Fähigkeit zumuten kann. Manchmal geht das besser mit ein bisschen Humor. Und manchmal braucht es mehr. Anfang der 1960er Jahre entwickelte der amerikanische Psychotherapeut Frank Farrelly deshalb die Provokative Therapie, die später in Deutschland zum provokativen Stil weiterentwickelt wurde. Diese Form der humorvollen Intervention nutzt die Provokation, um Klientinnen und Klienten aus der “Komfortzone” zu holen. Die Krux dabei: Wenn die Humorfähigkeit von Klient und Therapeut nicht auf derselben Flughöhe sind, kann es zu ernsthaften psychischen Verletzungen kommen. Peter Hain, der viele Jahre mit Farrelly zusammengearbeitet hat und die Provokation als Stilmittel sehr häufig einsetzt, erklärt die Schwierigkeit so: “Man muss die Dinge derart überbetonen, dass es auch für den Klienten oder die Klientin klar ist, dass man das nicht ernst meinen kann. Gleichzeitig muss man die Person emotional berühren und sie aufrütteln, damit sie die eigene Position verlassen und somit die Perspektive wechseln kann. Es ist eine heikle Gratwanderung, die man beherrschen sollte, bevor man einen Menschen auf diesen Weg mitnimmt.” Auch hier bleibt die kritische Frage des Fachpublikums nicht aus: Ist es nicht Anmassung, zu denken, man wisse, was dem Gegenüber zumutbar ist? “Der Schlüssel liegt in der Empathie, nicht im Wissen,” erklärt Franz Dumbs. Wenn man nicht erfühlen könne, welche Fähigkeit sich das Gegenüber selbst versage, dann solle man diese Form der therapeutischen Intervention lieber bleiben lassen. Und wenn man einen Fehler gemacht und das eigene Gefühl einen getrügt hat? “Dann entschuldigt man sich und bringt die Beziehung wieder auf eine stabile Basis,” meint Dumbs. “Diese einfache Regel gilt überall im Leben – und auch in jedem anderen Job.”


IAP Kongress

Der IAP Kongress für Psychotherapie und Beratung greift spezifische Themen aus dem therapeutischen Praxisalltag auf. Ins Leben gerufen wurde er speziell für die Weiterbildungsteilnehmenden der MAS-Lehrgänge für Systemische Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychotherapie und Systemische Beratung am IAP. Hier treffen die Teilnehmenden auf internationale Gast-Referenten, sowie Expertinnen und Experten aus disziplinübergreifenden Fachgebieten. Durch den intimen Rahmen ist ein detaillierter Austausch über Herausforderungen im Praxisalltag möglich. Die zusätzlichen Workshops geben Gelegenheit, Neues auszuprobieren und sich fachübergreifend zu vernetzen.

 


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